Liebe, die ihr Fett abkriegt

Karen Duve: Suggestive Prosa, tragisch und komisch

Aufsehen erregte Karen Duve 1999 mit ihrem Erstling, dem »Regenroman«, der Geschichte eines frischvermählten Paares, das in seinem Haus am Rande eines Moores allmählich einregnet und - von anderen Strapazen abgesehen - fast völlig versinkt. So suggestiv wirkte diese Prosa, dass man sich beim Lesen - selbst bei strahlendem Sonnenschein - am Ende selber wie durchnässt fühlen musste. Ähnlich nervaufreibend, wenn nicht noch obstinater, geht Karen Duve nun in ihrem zweiten Roman zu Werk. Es handelt sich um die hemmungslose Lebensbeichte von Anne, die als Kind, als Schülerin und als junge Frau Jagd auf die Liebe macht. Bereits früh fühlte sie sich zu Hause von ihren Eltern vernachlässigt, von ihren Geschwistern beherrscht und zurückgesetzt; auch in der Schule kam sie sich bei den Lehrern und Klassenkameraden so nachhaltig verstoßen vor, dass sie sich schließlich selber bewusst marginalisiert. Sie verfällt immer öfter einer rasenden Fresssucht, um dann wieder eiserne Diätkuren einzulegen - und dies alles, um sich mehr oder weniger wahllos diversen Jungen an den Hals zu werfen. All diese Liebschaften scheitern über kurz oder lang - nicht nur an Anne, weil sowohl ihr Herz als ihr Körper verfettet ist. Auch an den Jungen, bei denen sich der Ekel mit der Impotenz paart. Obwohl klüger als der Durchschnitt ihrer Altersgenossen, schmeißt Anne ihr Studium und zieht es vor, erst für einen Akkord-Lohn Hundeleinen zu fertigen und danach in die Taxibranche zu wechseln. In dieses oder jenes Männerbett lässt sie sich locken, aber nirgendwo findet sie das, was ihr vorschwebt. Zwischendurch versucht sie sich aus Verzweiflung in Affären mit lesbischen Freundinnen und besucht einen SM-Damen-Club. - Aber sie kann einfach ihren ehemaligen Klassenkameraden, den stets überlegen tuenden Peter Hemstedt, nicht vergessen. Wenn der Roman beginnt, ist Annes Geschichte fast schon am Ende. Denn sie befindet sich, inzwischen satte 117 Kilo wiegend, im Anflug auf London, wohin es Hemstedt verschlagen hat. Anfangs scheint auch diese Verzweiflungsreise vergeblich, dann jedoch setzt Karen Duve eine überraschende Pointe, indem sie Anne und Peter in dessen Londoner Wohnung zu-, ja ineinanderfinden lässt. Der italienische Cinéast Bernardo Bertolucci hat seinerzeit für seinen Film »Das große Fressen« vier bedeutende Schauspieler und eine übergewichtige Diva aufbieten müssen, um dem Publikum gründlich den Ekel am Prassen einzutreiben; die nur scheinbar farblose, trockne Beicht-Prosa der Erzählerin Karen Duve wirkt derart nachhaltig, dass sogar den magersten Leser, die grazilste Leserin die Angst beschleicht, sie erstickten an den Fettschichten, die sie sich mit diesem schrecklich schön...

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