Der Raum des Lebens

Vor 75 Jahren wurde die Theorie der Biosphäre begründet

Spätestens seit in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Wüste des US-Bundesstaates Arizona ein gigantischer Glashauskomplex namens »Biosphere 2« in Betrieb genommen wurde, ist das Wort Biosphäre auch Laien geläufig. Doch der Begriff ist weit älter. Im Jahre 1926 erschien im damaligen Leningrad erstmals das Buch »Biosfera« des russischen Geowissenschaftlers Wladimir Iwanowitsch Wernadski (1863-1945). In ihm wurde die Theorie der lebenden Hülle des Planeten Erde, der Biosphäre, begründet. Die Bedeutung dieser Theorie würdigten die Biologin Lynn Margulis und der Wissenschaftspublizist Dorion Sagan (USA) jüngst mit den Worten: »Wernadski hat für den Raum geleistet, was Darwin für die Zeit getan hat: Während Darwin dokumentierte, dass alles Leben von einem entfernten Urahnen abstammt, zeigte Wernadski, dass alles Leben einen stofflich einheitlichen Raum einnimmt, die Biosphäre.« Eine deutsche Übersetzung des Wernadskischen Buches gibt es leider immer noch nicht. Wernadski begriff das Leben als planetare Erscheinung und die Biosphäre als eine Hülle der Erde, die vom Lebenden selbst gebildet wird. Es durchdringt und integriert die Gesteinshülle (Lithosphäre), die Wasserhülle (Hydrosphäre) und die Gashülle (Atmosphäre) des Planeten und bedingt zutiefst ihre Beschaffenheit. Das zeigt sich im biogenen Ursprung des atmosphärischen Sauerstoffs ebenso wie in der Lithosphäre als dem Bereich einstiger Biosphären, als steinernes Entwicklungsprodukt der Biosphäre. Das Geschehen in der Biosphäre beruht wesentlich auf der Ausnutzung der aus dem Weltall einstrahlenden Sonnenenergie durch die chlorophyllhaltigen Lebewesen wie Cyanobakterien und grüne Pflanzen. Durch die Lebenstätigkeit der Organismen wird die kosmische Energie der Sonne in irdische (chemische, mechanische, thermische, elektrische usw.) umgewandelt. Insgesamt ist die Biosphäre das umfassendste Ökosystem des Planeten - ein gigantisches, vielfältig untergliedertes, thermodynamisch offenes, selbstregulierendes und sich entwickelndes System. Seine von Wernadski begonnene Erforschung ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Der Terminus »Biosphäre« und desgleichen die Ausdrücke »Hydrosphäre« und »Lithosphäre« wurden von dem österreichischen Geologen Eduard Sueß (1831-1914) eingeführt, als er im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts seine Auffassung vom Hüllenaufbau der Erde begründete. Durch Wernadski bekam der Begriff der Biosphäre seinen spezifischen Inhalt. Seine Biosphäre-Konzeption erwuchs wesentlich aus der von ihm grundlegend geförderten Geochemie und der von ihm als deren Teilwissenschaft begründeten Biogeochemie, die Geochemie und Biochemie verknüpft. Aus Wernadskis Biosphäre-Theorie ging seine Auffassung von der Noosphäre, der Sphäre der Vernunft, als erdgeschichtlich jüngstem Entwicklungsstadium der Biosphäre hervor. In ihm wird die Biosphäre durch eine neue geologische Kraft, durch die Menschen, ihr Denken und ihre Arbeit, ihre Wissenschaft und Technik umgestaltet. Humanistisch und optimistisch, gegenwärtig utopisch anmutend, sagte Wernadski die Gestaltung der Biosphäre als Noosphäre im Interesse der frei denkenden und demokratisch verfassten Menschheit voraus, di...

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