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Neue Ermittlungen zum Tod in Heldrungen
Jetzt auch Polizisten der Einsatzzentrale im Visier
Die PDS-Fraktion im Thüringer Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, in der nächsten Sitzung des Justizausschusses Bericht über den Stand der neuerlichen Ermittlungen zu den Todesschüssen von Polizisten auf einen Wanderer 1999 in Heldrungen zu erstatten.
Sie begründet ihre Forderung mit offenkundigen Widersprüche zwischen den Gutachten der Staatsanwaltschaft und denen der Angehörigen des Toten, die eine Wiederaufnahme der im Herbst 1999 bereits eingestellten Ermittlungen erzwungen hatten. Zwei Jahre nachdem der Kölner Tourist von zwei Polizisten, die lediglich seine Identität feststellen sollten, mit dem »Mörder von Remagen«, Dieter Zurwehme, verwechselt und in seinem Hotelzimmer erschossen wurde, hat die Staatsanwaltschaft nach Angaben einer Behördensprecherin ihre Ermittlungen auf weitere Beamte der Einsatzzentrale in Nordhausen ausgedehnt. Den Hintergrund dafür bildet ein neues Gutachten der Staatsanwaltschaft, in dem nach Darstellung des Anwaltes der Witwe bekräftigt wird, die beiden Beamten seien durch die Stresssituation bei der Identitätsfeststellung überfordert gewesen und im juristischen Sinne nicht schuldig. Genau dieser Sicht widerspricht ein im Juni vorigen Jahres vorgelegtes Gutachten, das im Auftrag der Hinterbliebenen angefertigt wurde. Gerade wegen der nervlichen Anspannung hätten die Polizisten ihr Handeln besonders gut unter Kontrolle halten müssen, heißt es darin. Die Widersprüche machten misstrauisch, betonte der parteilose Abgeordnete Roland Hahnemann. Er fragt sich, »warum seltsamer Weise gerade dieser Fall des tödlichen Schusswaffengebrauchs der Polizei nicht in die Statistik der Innenministerkonferenz über polizeiliche Todesschüsse eingegangen ist«. Die PDS erhofft vom Bericht der Regierung nicht nur Aufklärung über den Verlauf der Ermittlungen, sondern möchte vor allem wissen, »in wie weit Gutachten der Staatsanwaltschaft die verantwortlich Handelnden eventuell ungerechtfertigt schützen«. Die Heldrunger Todesschüsse hatten bereits vor zwei Jahren heftige Kontroversen im Landesparlament ausgelöst, die in der Forderung von CDU-Abgeordneten nach dem Rücktritt des damaligen Innenministers Richard Dewes (SPD) gipfelten. Der hatte bei seinem Bericht vor dem Landtag Fehler der Polizei eingeräumt, die kapitale Ausmaße hatten. Vom Polizeiführer vom Dienst waren die Zivilfahnder ohne Personenbeschreibung und ohne Fahndungsfoto des Gesuchten nach Heldrungen geschickt worden. Der Pensionswirt erklärte später, hätte man ihm das Fahndungsfoto gezeigt, wäre ihm sofort klar gewesen, dass sein Gast nicht der Gesuchte ist. Allein die Hintergründe, die zu der vagen Vermutung geführt hatten, Zurwehme sei in der Pension untergetaucht, hätten die Polizei zur Vorsicht mahnen müssen. Nach einer Sendung von »Kripo live« hatte eine Anruferin der Polizei mitgeteilt, einen Mann mit Rucksack und Wanderstock in der Pension gesehen zu haben. Mit diesen Utensilien sollte der Schwerverbrecher unterwegs gewesen sein. In Erfurt war bereits vor zwei Jahren vermutet worden, dass nicht allein Dilettantismus sondern auch der falsche Ehrgeiz, den damals spektakulären Fall allein lösen zu wollen, zu den verhängnisvollen Folgen geführt haben. Die Bayerische Polizeioberrätin Petra Sandles diagnostizierte seinerzeit in einer Expertise »Defizite im Agieren der Beamten vor Ort« und vermutete, die Polizisten seien einer Mischung aus Jagdtrieb und Angst unterlegen. Trotz der selbst für Laien offensichtlichen Fehler auch von vorgesetzten Beamten konzentrierten sich die Ermittlungen 1999 allein auf die beiden Beamten, die vor Ort waren. In einer Presseinformation verwies die PDS-Fraktion jetzt darauf, dass 1999 allein 15 Menschen durch Schüsse von Polizeibeamten starben. Der Zeitschrift »Cilip-Bürgerrechte und Polizei« zufolge waren es sogar 19 Menschen, die bei Polizeieinsätzen erschossen wurden. Einer akribischen Statistik des Blattes zufolge verfügten dabei nur drei der Getöteten über eine Schusswaffe, zwei machten davon Gebrauch. Drei weitere Erschossene hatten lediglich eine Schreckschusspistole,...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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