Allerlei Heimlichkeiten um ein »Weihnachtsgeschenk«

Schmiergelder interessieren rund um die Raffinerie weniger als Jobs und Aufträge

  • Hendrik Lasch und Peter Richter
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Während in Berlin, Genf, Karlsruhe und demnächst vielleicht noch anderswo die Vorgeschichte der Elf-Raffinerie untersucht wird, ist man nahe am Werkzaun froh, dass die Anlage steht.

Willkommen und Abschied« heißt die Revue über die Nachwendezeit, mit der das Neue Theater Halle dieser Tage im Klubhaus Leuna gastiert. Willkommen hieß es auch für einen prominenten Gast, der sich vor gut acht Wochen im Carl-Bosch-Saal des Klubhauses feiern ließ. Aufgeräumt und attackenfreudig hatte sich Altkanzler Helmut Kohl damals in dem Chemiearbeiter-Klubhaus präsentiert, in dem er im Mai 1991 als Regierungschef eines seiner berühmt-berüchtigten Ehrenworte gegeben und den Arbeitern der Chemiekombinate Buna und Leuna versichert hatte, alles zu tun, damit es für die mitteldeutsche Chemieindustrie keinen »Abschied« gebe. Alles bis hin zu Schmiergeldzahlungen? Das seien nur »verfälschende Veröffentlichungen«, lanciert von Leuten, die sich »in Berlin in bestimmten Ausschüssen zusammenrotten«, konterte Kohl. Pfui, mochten auch viele der Gäste im Saal gedacht haben. Sie feierten den Gast lieber dafür, dass er sein »Kanzlerversprechen« gehalten hat - gleich, unter welchen Umständen.

Bernard Bertossas vergebliches Mühen

Doch gerade diese Umstände sind es, die am Genfer See einen 59-jährigen Generalstaatsanwalt seit Jahren umtreiben. 60 Aktenordner hatte Bernard Bertossa über das »Ostdeutsche Observatorium« angelegt, ein Codewort für den so genannten Leuna-Deal, den Verkauf der Leuna-Raffinerie und des ostdeutschen Minol-Tank-stellennetzes an den französischen Ölkonzern Elf-Aquitaine vor neun Jahren einschließlich der dabei geflossenen Schmiergelder in Höhe von 256 Millionen Francs respektive 80 Millionen Mark. Voriges Wochenende sind die Akten endlich in Deutschland angekommen, bei Generalbundesanwalt Kay Nehm. Die Justizministerin hatte sie angefordert, nachdem Bertossa das Konvolut jahrelang deutschen Ermittlern offerierte, ohne auf ein interessierendes Echo zu stoßen.
Bertossa ist in seiner Branche das, was man einen »harten Hund« nennt. Mit seinem kleinen, aber hoch motivierten Stab jagt er seit elf Jahren Mafiosi und hochgestellte Bestechliche aus der ganzen Welt. Über den ehemaligen panamesischen Präsidenten Manuel Noriega hatte er ebenso eine Akte angelegt wie über Philippiniens Diktator Ferdinand Marcos. Er war an der Verhaftung Augusto Pinochets beteiligt und sorgte für die Festnahme des korrupten Jelzin-Vertrauten Pawel Borodin. Schon warnen sich Geldwäscher und andere Wirtschaftskriminelle gegenseitig vor allzu offensichtlichen Aktivitäten im Amtsbereich des Genfer Anklägers. Behördlicher Unwillen ist ihm, der bei seinen Ermittlungen auch vor hochkarätigen Titeln nicht Halt macht, vertraut, und er hat eine besondere Zähigkeit entwickelt, solche Widerstände zu überwinden.
Bereits 1998 hatte er seine Ergebnisse erstmals deutschen Staatsanwälten angeboten, doch diese stellten sich gewissermaßen tot. Detailliert schilderte kürzlich die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« die »Abwehrschlacht« der bundesrepublikanischen Justiz gegen ein Leuna-Ermittlungsverfahren. Nach dem Schweigen 1998 übermittelte Bertossa ein Jahr später selbst ein »Rechtshilfeersuchen« an die Staatsanwaltschaft Augsburg, das er mit so vielen Details fütterte, dass jede Ermittlungsbehörde schon des Legalitätsprinzips wegen zu eigenen Recherchen verpflichtet gewesen wäre. Doch in Deutschland wurden die Akten wie heiße Kartoffeln zwischen Staatsanwaltschaften hin und her geschoben; keiner mochte sie richtig in die Hand nehmen.
Darauf versuchte es Bertossa bei der Polizei. Im März 2000 offerierte er dem Bundeskriminalamt eine Namensliste der Kantonalpolizei Genf, in der sich auch 29 hochrangige CDU-Politiker fanden, die Geschäfte in der Schweiz tätigten. Darunter Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, Sachsen-Anhalts Ex-Ministerpräsident Werner Münch, frühere Bundesminister wie Friedrich Bohl und Günther Krause, einstige Staatssekretäre, der langjährige CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep. Die Liste, die erst vergangene Woche wieder Aufsehen erregte, sollte in Deutschland durchgecheckt werden, aber ehe die Untersuchungen richtig begannen, wurden sie gestoppt - auf Weisung des inzwischen sozialdemokratisch besetzten Innenministeriums.
Nach diesem Fehlschlag versuchte es Bertossa noch einmal bei den Staatsanwälten. Im September 2000 übermittelte er ihnen einen 17-seitigen Extrakt seiner Erkenntnisse, darunter ein detailliertes Schaubild der Geldflüsse im Zusammenhang mit dem »Ostdeutschen Observatorium«, die so genannte »Tapete«, die die »Zeit« jüngst veröffentlichte. Sie zeige einen komplizierten Vorgang, »kriminelle Erträge zu verteilen«, erläuterte der Genfer Generalstaatsanwalt. Und hoffte, das »sollte die Eröffnung einer Strafuntersuchung in Deutschland begründen«. Ein Dreivierteljahr passierte nichts; da wandte er sich schließlich an die Justizministerin - und hat doch inzwischen alle Hoffnung aufgegeben. »In Deutschland wird es niemals ein Leuna-Verfahren geben«, zitiert das Hamburger Wochenblatt seine Resignation.
»Was wirklich passiert ist damals, weiß doch heute keiner«, sagt Torsten Weise angesichts dieses Szenarios. Weise ist seit vier Wochen Bürgermeister von Spergau. Der kleine Flecken zwischen Merseburg und Bad Dürrenberg hat es dank Kohls Engagement zu einiger Berühmtheit gebracht. Auf Spergauer Fluren steht heute der größte Teil der vom französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine gebauten Mitteldeutschen Erdölraffinerie (MIDER), um die es sich beim so genannten Leuna-Deal eigentlich dreht. 5,1 Milliarden Mark hat der inzwischen mit Total-Fina fusionierte Ölriese in die 1998 fertiggestellten Anlagen gesteckt - und das ist für Weise das Entscheidende. »Dass gemauschelt wird, ist allgemein bekannt«, sagt der Amtschef: »Und ohne Geld läuft doch heute ohnehin nichts.« Ebenso bekannt ist: »Wenn die Raffinerie nicht gekommen wäre, sähe es heute hier trübe aus.«
Das sieht sein Merseburger Amtskollege Reinhard Rumprecht ähnlich. Die Raffinerie habe eine »immense Bedeutung« dafür, dass die Einwohner seiner und der umliegenden Städte »in Lohn und Brot kommen«, sagt er, der kürzlich auf PDS-Ticket ins Amt des Oberbürgermeisters gewählt wurde. Zwar sei der Anteil an »lebendiger Arbeit« nicht mehr so hoch wie in den früheren Chemiebetrieben: 580 Menschen arbeiten heute auf dem riesigen MIDER-Werksgelände, 2000 sind in den direkten Tochterunternehmen beschäftigt, rund 95 Prozent davon kommen aus den früheren Raffinerien in Leuna und Zeitz. Doch die Signalwirkung für weitere Ansiedlungen sei hoch gewesen, sagt Rumprecht. Mit 9500 wird die Zahl der Arbeitsplätze im gesamten Chemiedreieck angegeben. Der Landkreis Merseburg-Querfurt, sagt der OB, gehört auch dank der Raffinerie heute zu den wirtschaftlich stärksten im Lande.
Der Chef der Metallbaufirma Rödiger in Spergau indes hat sich von dem Werk mehr versprochen. Aus seinem Fenster sieht er die Türme der Methanolanlage, am Ende der Straße ragt der fragil wirkende Turm auf, auf dem die ewige Sicherheitsflamme der Raffinerie brennt. Rödiger selbst kann den Effekt der Industrieansiedlung in seinen Firmenbüchern mit einem Wort beschreiben: »Null«. Eine Steigleiter hier, ein paar Meter Geländer da habe er montieren dürfen, sagt der Kleinunternehmer, »alles in allem vielleicht für 10000 Mark im Jahr«. Nicht viel für einen Betrieb mit einem Dutzend Schlossern, nicht genug angesichts der noch immer zu ertragenden Belastungen, meint der langjährige Gemeinderat: »Mal stinkt es nach Öl, mal rußt die Flamme.« All das würde man gerne in Kauf nehmen, wenn man am wirtschaftlichen Erfolg des Mineralölriesen teilhaben dürfte. Aber »800 Arbeitsplätze hat man uns Gemeinderäten versprochen«, sagt Rödiger, »vielleicht 80 sind gekommen«.

Subventionen und Moral

Nicht sehr viel, wenn man bedenkt, dass Elf für sein Engagement in Sachsen-Anhalt beträchtlich »geschmiert« wurde - und zwar ganz offiziell. Mehr als fünfeinhalb Milliarden Mark, so rechnet eine Studie des Wissenschaftlers Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam vor, zahlte die Treuhandanstalt dafür, dass die Franzosen eine neue Raffinerie bauten: 2,7 Milliarden für die Investitionen einschließlich Verlustausgleich und Ablösung von Altschulden, 1,6 Milliarden direkte Privatisierungskosten, 900 Millionen Beräumungskosten, 400 Millionen für Sozialmaßnahmen. Auch um diese »Subventionen« durchzusetzen - so ist man heute sicher, wurden die 256 Millionen Francs Schmiergelder an den Lobbyisten Dieter Holzer gezahlt - ausgerechnet am 24. Dezember 1992, ein generöses »Weihnachtsgeschenk«. Wen dann er »bescherte«, liegt bislang im Dunklen.
Oberbürgermeister Rumprecht wünscht sich möglichst schnell Klarheit darüber, welche Gelder wohin geflossen sind. Strafrechtliche Verantwortung sei dabei die eine Seite, Moral die andere: »Es ist nicht verwerflich, dass die Wirtschaft mit Geld gelockt wird«, sagt er und erinnert an die dreistellige Millionensumme für BMW im nahe gelegenen Leipzig. Doch es sei »sehr wohl verwerflich, wenn riesige Summen an Stellen fließen, wo sie für bürgerschaftliche Zwecke verloren sind«. Für die geschätzten 80 Millionen Mark angeblicher Schmiergelder, rechnet er vor, hätten vier Turnhallen vom Kaliber der Spergauer gebaut werden können.
Mit der Moral allerdings ist das rund um die Raffinerie offenbar so eine Sache. »Den Menschen, die im Werk ihren Unterhalt verdienen, kann man nicht vorwerfen, dass sie die Vorgänge von damals nicht interessieren«, sagt Rumprecht. Wie heißt es doch bei B...

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