Alles mitnehmen, was rumliegt

Die 6. Erotikmesse »Venus« in Berlin

  • Nino Ketschagmadse
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Der Gang in Erotikshops, Vibratoren als Weihnachtsgeschenke - als »schmuddelig« gilt derlei schon lange nicht mehr. Unverholen nimmt die Sexindustrie weibliche Kundschaft ins Visier. Die Rechnung geht auf, das schlug sich auch in den Besucherinnenzahlen der 6. Erotikmesse »Venus« nieder.

Das schönste Kompliment für meine Arbeit ist es, wenn mir ein Mann beichtet, dass er auf meine Bilder masturbiert.« Helmut Newton, von dem dieser Satz stammt, galt lange Jahre als Hassobjekt für Feministinnen. Im Rahmen seiner aktuellen Ausstellung »Sex and landscapes« in Düsseldorf zeigt der 82-jährige Fotokünstler erstmals auch pornografische Aufnahmen. Die vier großformatigen Bilder sich liebender Paare hängen zwar in einem diskret abgetrennten Kabinett, für Aufregung sorgt so etwas heutzutage aber ohnehin nicht mehr. Schließlich sind nicht zuletzt durch ambitionierte Kinofilme wie »Romance« die Grenzen zwischen Erotik und Pornografie im Fließen. Trotz allgemeiner Wirtschaftsflaute boomt das Geschäft mit der Sexualität. Ein Indikator dafür: Die Aussteller- und Besucherzahlen der internationalen Erotikmesse »Venus«, die zum sechsten Mal in Berlin stattfand - die weltweit größte Veranstaltung ihrer Art. Knapp 300 Unternehmen aus insgesamt 23 Ländern lockten über 4000 Händler und mehr als 20000 Privatleute in die Messehallen unterm Funkturm. In der Halle fürs Fachpublikum ging es ruhig und gesittet zu. Im übrigen Ausstellungsbereich, der jedem Volljährigen für 20 Euro offen stand, hingegen eng und laut. Drei Tage lang, manchmal bis um 10 Uhr abends, vermeintliche Schnäppchen aus den Bereichen Video/DVD, Magazine, Gels und »wahre Wunder« verheißende Tinkturen, Intimschmuck sowie Bekleidung für jeden Geschmack und jeden Anlass. Ein Aussteller etwa offerierte hochpreisige Lederklamotten, die genauso gut im KaDeWe oder Motorradshop hängen könnten. Auch sonst Normalität pur. Wie bei jeder anderen Messe galt auch hier, alles mitnehmen, was rumliegt - oft zum Ärger der Aussteller. Die Bilder-CD-Roms bei »Beate Uhse« waren zwar als Gratis gezeichnet, aber im 10-Minuten-Takt nachlegen wollte das Standpersonal nicht. Irgendwann blieben die vier gläsernen Schalen einfach leer. Andere Firmen hatten erst gar nichts zu verschenken, zogen aber dennoch interessierte Blicke an. Insbesondere jene, die noch Fragen offen ließen, beispielsweise die, wie der bekannte Rapper und HipHop-Künstler Ice T wohl als Stargast in einem Porno, für den er auch die Musik geschrieben hat, rüberkommt. Aber der Film war noch nicht ganz fertig, lediglich Poster machten auf den ungewöhnlichen Rollentausch aufmerksam. An vielen anderen Ständen flimmerten Monitore um die Wette: Viele Videoausschnitte waren kaum voneinander zu unterscheiden. Gespreizte Beine, offene Münder, Körperflüssigkeiten, Kopulierende, mal verschiedenen, mal gleichen Geschlechts, aber selten in trauter Zweisamkeit - außer den Fachhändlern, die teils »ganz besonders« ausgefallene Geschmäcker bedienen wollten, sah bei dieser wenig inspirierten Massenware kaum einer mehr hin. Die Besucher der »Venus«, auffallend viele Pärchen, waren auf der Suche nach etwas Anderem. Nur ein einziges Männchen verirrte sich eigens in eine Videokabine, die eigentlich Sexshopbesitzern neueste technische Ausstattungen vermitteln wollte, und kriegte die Tür nicht zu. Vor diesem Hintergrund schien der Anspruch des amerikanischen Unternehmens Hustler, das sich mit seinen spielfilmgleichen Produktionen verstärkt an Paare wendet, »Nummer 1 auf dem europäischen Markt« zu werden, nicht unmöglich. Firmengründer Larry Flint höchstpersönlich verkündete dieses Ziel auf der Messe. Umringt von Promi-Bodyguards, die manch einem Berliner bekannter vorkamen als der Mann im Rollstuhl, der unermüdlich Autogramme gab. Während die deutsche Konkurrenz von Touch Video bei ihrer Neuheit »Herbertstraße« - einem Film über das Treiben auf St. Pauli mit authentischen Laien-»Darstellern« - auf dem Videocover mit dem Spruch »Für Frauen verboten« kokettiert, sinnierte Flint über Wesentlicheres. An seiner Kritik zur Kirche und der US-Politik habe sich nichts geändert. Und so lobte der mittlerweile 60-Jährige auch den deutschen Kanzler Schröder, weil der »als einziger Nein zu Bushs Irakplänen« gesagt hätte. Um aber auf die Streifen, denen »richtige« Drehbücher zu Grunde lagen, zu kommen, präsentierte Hustler nicht nur politisches Gewissen, sondern vor allem den Zweiteiler »Brasilian Snake« - eine über jeweils drei Stunden lange Kombination aus spannungsgeladenem Spielfilm und betont ästhetischen Hardcore-Szenen mit durchweg hübschen Darstellern, die, anders als früher in dieser Branche üblich, keineswegs auf ihre Geschlechtsteile respektive ihre akrobatischen Fähigkeiten reduziert sind. Der Macher heißt Pierre Woodman, bereits 2001 in Berlin mit einem Venus-Award als bester Regisseur ausgezeichnet. Und auch in diesem Jahr verteilten die Organisatoren der Erotikmesse wieder Preise - ganz so wie bei den großen Filmfestivals in Cannes und Hollywood, nur nicht mit ganz so viel Glamour und verletzten Eitelkeiten. Diesmal freute sich unter anderem Mario Salieri, als bester Regisseur, über den Venus-Award für seinen Film »The Private Gladiator«, der an Ridley Scotts Oscar-prämierten Sandalenfilm erinnern soll. Schließlich ist es eine aufwändige Adaptation dieses Stoffs, gedreht mit einem riesigen Budget, über 200 Darstellern, Stuntmen, aufwändigen Kampfszenen und Kostümen, Dekorationen und Requisiten, die sogar aus dem »Originalfilm« stammen. Ein Aufwand, der den meisten deutschen Produzenten noch fremd ist. Am Stand von »Videorama« etwa plauderte Geschäftsführer Michael Schrey lieber von seiner wiederentdeckten Vorliebe für einheimische Darstellerinnen. Mit Tschechinnen wolle er fortan nicht mehr arbeiten, weil man sich mit denen nicht vernünftig unterhalten könne. Und die versammelte, durchweg männliche »Fachjournalisten«-Schar spendete artig Applaus, als ob es ihnen bei derlei Filmen auf die Worte der Damen ankomme. Vielleicht wollten sie aber auch nur die Zeit abkürzen, bis ihnen der Firmenchef gestattete, »seine Mädels« zu fotografieren. Überhaupt, Bilder wurden auf der »Venus« in Unmengen geschossen. Auch die Hobbyfotografen gaben den zumeist weiblichen Stars der Messe präzise Anweisungen, sich so und so zu bewegen, den nackten Busen auch mal in die Hände zu nehmen. Zum Erstaunen einiger Besucher verbat sich aber sogar manche harterprobte Pornodarstellerin, von jedermann angefasst zu werden. Andere hatten damit kein Problem, standen mit Rat und Tat gar für besonders innige Aufnahmen bereit. Schließlich wollten die Jungs, die um derlei Fotos baten, bei den zu Hause gebliebenen Kumpels Eindruck schinden, und schließlich sind die es ja, die ihre Filme kaufen oder ausleihen und somit der Darstellerinnen täglich Brot sichern. Mehr Spaß als diese immer wieder auftauchenden Horden von Männern machten den Filmfrauen aber offensichtlich Pärchen, weil diese »entspannter« auf sie zugingen. »Guck mal«, machte ein 76-Jähriger seine etwa gleichaltrige Begleitung auf ein Model aufmerksam, das sich gerade abwechselnd mit der männlichen und dann mit der weiblichen Hälfte eines Liebespaars Ende Zwanzig fotografieren ließ. Besonders neidisch sah der alte Herr dabei aber nicht aus, und die Oma wirkte so, als ob sie der Darstellerin am liebsten zu soviel Unverkrampftheit gratulieren wollte. Ein paar Meter weiter pries ein Aussteller Liebeshilfe für einsame Männer, so genannte »Wassermuschis«, an. Und weil Messe war, gabs den ganzen Spaß zum halben Preis. Weniger marktschreierisch wurden aufblasbare Männer, Liebestropfen und Videos im Zehnerpack unters Volk gebracht. Innovationen waren rar. Einzig die »Dongdong-Hotbag« schien wirklich neu zu sein. Letztere dient Frauen dazu, ihre Dildos schön warm zu halten. »Frauen mögen es nicht, wenn das Ding kalt ist. Sie müssen es oft zehn Minuten lang in der Hand anwärmen, und inzwischen ist vielleicht die Lust weg.« Und so hat David Koriat eben eine elektrische Textiltasche mit Thermostat für die Lustgeräte erfunden, die wie ein Kulturbeutel und damit auf Reisen äußerst unverdächtig aussieht und in aufgeklapptem Zustand auch als Schulterwärmer oder gegen Bauchschmerzen geeignet ist. Der Marktführer unter den Erotik Shops habe sich hellauf begeistert gezeigt und kräftig geordert. Die Endverbraucherpreise sollen bei rund 70 liegen. Andere Firmen wollten von den Besuchern kein Geld, sondern boten ihnen vielmehr die Möglichkeit, welches zu verdienen. Frische Gesichter mit »natürlichem Aussehen« waren gefragt, Frauen für Webcam-Aufnahmen, »besondere Darsteller im SM- und Fetischbereich«. Für die, die etwas weniger freizügig agieren wollten, bot sich an, gegen Provisionsbeteiligung zu Hause erotische Verkaufspartys zu veranstalten. Für zwei Freundinnen, die schon den halben Tag durch die Hallen schlenderten, auch nicht das richtige Angebot. »Wir wollen richtige Männer sehen, bis jetzt waren aber nur Schwule dabei.« Und so hofften sie vor der sehr umlagerten Live-Show-Bühne auf einen regelrechten Augenschmaus. Nachdem sie aber den dunkelhäutigen, grazilen und noch dazu gut gebauten Fakir verpasst hatten, sah's auch hiermit eher mau aus. Was folgte, war eine kleine Modenschau mit zwei jungen Paaren, von denen die Jungs sich so ungelenk gaben wie die Arbeiter im englischen Komödienhit »Ganz oder gar nicht« bei ihrer ersten Stripteaseprobe. Eine Blondine mit auch auf zehn Meter Entfernung noch schwabbelnder Cellulitis brachte zu Heavyklängen ihren Busen zum Hüpfen, und eine Sado-Maso-Hochzeitsgesellschaft fand ebenfalls nur verhaltenen Beifall. Viele Besucher hatten »mehr Action erwartet«. Insgesamt »recht langweilig« sei es, und vor allem »das Preisverhältnis stimmte nicht«. Dennoch stand für die Organisatoren bereits fest: Die Messe bleibt, sie bleibt in Berlin, und sie wird »sogar noch globaler«. In diesem Jahr kamen Ausst...

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