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Fragwürdiger Umgang mit Bosniern
Bundes- und Länderregierungen möchten die einst Aufgenommen wieder los werden
Von einst 700000 Flüchtlingen aus dem früheren Jugoslawien, die in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik Zuflucht fanden, leben derzeit weniger als 100000 noch hier. Trotz Einwanderungsdebatte ist an ein dauerhaftes Bleiberecht für sie nicht gedacht.
Vor zehn Jahren, im Sommer 1991, kamen die ersten Süd-Slawien-Flüchtlinge in die Bundesrepublik. Zunächst waren die Flüchtlinge Kroaten, die zumeist nach wenigen Monaten wieder ausreisten und Kosovo-Albaner, die bereits damals Opfer ethnischer Diskriminierungen waren. Der Höhepunkt der Fluchtbewegung fand in den Jahren 1992 bis 1995 statt. Als in Bosnien-Herzegowina ein heftiger Bürgerkrieg tobte, nahm die Bundesrepublik 350000 Bosnier auf.Heute kaum noch vorstellbar: In der öffentlichen Meinung herrschte in der ersten Hälfte der 90er Jahre ein großes Verständnis für Bosnier. Die Menschen durften anfangs ihren Wohnsitz frei wählen und arbeiten, weil die Bundesregierung in den 80er Jahren mit Jugoslawien entsprechende Verträge geschlossen hatte. Im europäischen Maßstab nahm die Bundesrepublik in absoluten Zahlen die größte Zahl von Bosnien-Flüchtlingen auf und erwarb dadurch internationales Ansehen. Dass die Bundesrepublik ein so begehrtes Zielland für Jugoslawien-Flüchtlinge war, lag daran, dass es hier im Ergebnis der Anwerbepolitik der 70er Jahre größere bosnische, kroatische, serbische und albanische Gemeinden gab. Neuankömmlinge konnten Kontakte zu Familienangehörigen knüpfen.
Für großen Teil Rückkehr sinnvoll
Nach der Konferenz von Dayton im Dezember 1995 änderte sich das Klima gegenüber den Bosnien-Flüchtlingen grundlegend. Der Krieg galt als beendet, folglich sollten sie heimkehren. Die offizielle deutsche Politik ging davon aus, dass früher oder später alle Bosnier wieder in ihre alte Heimat ausreisen sollten, es wurden Stufenpläne für die Rückkehr entwickelt. Für einen großen Teil der Flüchtlinge war eine Rückkehr möglich und sinnvoll. Die deutsche Politik übersah aber, dass bei allen Fluchtbewegungen ein Teil der Flüchtlinge im Fluchtland verbleiben. Wegen der faktischen Teilung des Landes Bosnien-Herzegowina in eine muslimische und eine serbische Teilrepublik, die in Dayton als Provisorium angedacht war, aber in der Folgezeit zementiert wurde, verloren viele Flüchtlinge ihre Heimat auf Dauer. Hinzu kommt die große Zahl binationaler Familien, die in Jugoslawien bis Ende der 80er Jahre eine Selbstverständlichkeit waren, infolge der ethnischen Separierung heutzutage ein Problem darstellen.
Auch für Roma, die unter allen Volksgruppen Diskriminierungen ausgesetzt waren, blieb eine Rückkehr meist unvorstellbar. Darauf nahm die deutsche Politik in der 2.Hälfte der 90er Jahre immer weniger Rücksicht. Mit der Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes von 1997 begann die sozialpolitische Vertreibung der Flüchtlinge. In Berlin wurde nunmehr vielen Bosniern unterstellt, sie seien nur eingereist, um Sozialhilfe zu bekommen. Mit dieser Begründung stellten einige Sozialämter die Sozialhilfe nach einer Frist von wenigen Tagen ein, die Flüchtlinge sollten nur noch ein Rückflugticket und Wegzehrung erhalten.
Für andere Flüchtlinge folgte ein Dahinvegetieren in ghettoähnlichen Wohnheimen, ohne Bargeld und ohne die Möglichkeit, Speisen selbst zuzubereiten. Oft war nicht einmal ein Schulbesuch für die Kinder möglich, weil Schulen ohne Fahrgeld nicht erreichbar sind. Einen Ausweg aus dem Dilemma, weder in die alte Heimat zurückkehren noch hier menschenwürdig leben zu können, sahen viele im Weiterwandern nach Kanada, in die USA oder Australien. »Wir führen seit wenigen Monaten einen politischen Diskurs über Zuwanderung«, beschrieb die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck (Bündnisgrüne) im Frühjahr 2000 das Dilemma. »Gleichzeitig wird bei denen, die schon hier leben, integriert sind und deutsch sprechen in Kauf genommen, dass sie in die USA, Kanada und Australien weiterwandern, wo schon heute mehr Bosnier leben als in Deutschland.«
Was wird mit den Misshandelten?
Zum damaligen Zeitpunkt wohnten nach Angaben des Flüchtlingsrates UNHCR noch 30000 bis 40000 von einst 350000 bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland. Heute sind es nach groben Schätzungen noch 20000 bis 300000. Darunter befinden sich viele ehemalige Insassen von Haftlagern. In Bayern lebten nach einer Studie der Gesellschaft für bedrohte Völker 300 ehemalige Lagerinsassen, von denen bis Anfang 2000 etwa 140 gegen ihren Willen Deutschland verließen. »Sie wanderten weiter in die USA oder kehrten nach Bosnien und Herzegowina zurück. Etwa 80 Prozent der Verbliebenen haben einen Antrag auf Weiterwanderung nur zum Schein gestellt. Dies war die einzige Möglichkeit, eine Verlängerung der Duldung um einige Monate zu erwirken. Etwa 20 ehemalige Lagerhäftlinge in Bayern gelten als potentielle Zeugen für das Haager Kriegsverbrechertribunal«, heißt es in der Studie.
Bei den meisten der verbliebenen Bosnier handelt es sich um schwersttraumatisierte Menschen, bei denen nach Gutachten von Fachärzten allein die Ankunft am Ort ihres Leidens die Traumatisierungen wieder aufreißen würden. Marieluise Beck: »Diese Menschen könnten aber in der Bundesrepublik ein normales Leben führen und sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst verdienen, wenn wir ihnen das gestatten würden.« Anfang 2000 verschärften die Innenminister mehrerer Bundesländer die Gangart, um Bosnier aus dem Land zu drängen. Die Innenverwaltungen in Berlin, Bayern und Baden-Württemberg zogen fachärztlichen Gutachten über Traumatisierungen in Zweifel und schickten die Menschen zu einem Amtsarzt, der unter fragwürdigen Bedingungen diese Gutachten zumeist für null und nichtig erklärte. Auch Schwersttraumatisierte wurden in Nacht- und Nebelaktionen in Flugzeuge verfrachtet. Selbst für die, die noch bleiben konnten, gibt es keine Perspektive. Der Aufenthalt wurde meist nur für wenige Wochen oder Monate verlängert.
Nach Schätzungen des Berliner Flüchtlingsrates haben auch unter dem neuen Senat nur rund 20 Prozent der traumatisierten Bosnier in Berlin inzwischen eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsbefugnis. Im Mai diesen Jahres beschloss die Innenministerkonferenz, dass Flüchtlinge aus Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis bekommen können, wenn sie in den letzten beiden Jahren Arbeit hatten. Das war eher eine Entscheidung mit Blick auf die aktuelle Zuwanderungsdebatte als ein humanitärer Akt.
In den ostdeutschen Bundesländern wird kaum jemand davon profitieren, weil Bosniern das Arbeiten untersagt war. In Dänemark, den Niederlanden, Österreich und Großbritannien haben Bosnier, die seit J...
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