Absurd: Bonbons mit Vitaminen

Experten diskutierten in Berlin über Kinder-Ernährung und Inhaltsstoffe

Für eine gesunde Ernährung der Kinder zu sorgen, hat sich Bundesernährungsministerin Renate Künast (Grüne) auf die Fahnen und in den Koalitionsvertrag geschrieben. Denn die Zahl der stark übergewichtigen Kinder hat sich in Deutschland während der letzten 15 Jahre verdoppelt - ein schlechter Trend schwappt da aus den USA nach Europa. Dagegen sollen nun Informationskampagnen helfen.


Die Kinder essen zu süß, zu fett und bewegen sich zu wenig«, fasste Regina Wollersheim, Abteilungsleiterin für Ernährungspolitik, das Problem zusammen. Gegen diesen Trend sollen im nächsten Jahr ein Kongress, Runde Tische und Aufklärungskampagnen wirken. Auftakt zur Maßnahmenplanung war eine Diskussion am Mittwoch mit Künast und Ernährungsfachleuten. Auslöser für dieses Treffen war ein Artikel von Hans-Ulrich Grimm über Chemikalien im Essen, erschienen im Magazin »Stern« (Nr. 46).
Nachdem der Streit über die Richtigkeit des Artikels oder eine schlampige Recherche zwischen dem Autor und den anwesenden Doktoren geschlichtet war, klärten sich bald die gemeinsamen Forderungen. Ein Unterrichtsfach Ernährung in der Schule sei sinnvoll, befanden alle. »80 Prozent aller Lebensmittel stehen vorgefertigt im Regal, über Inhaltsstoffe weiß man kaum etwas«, sagte Susanne Langguth von der Südzucker AG und Vorstandsmitglied des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL).
»Die Gesellschaft hat sich geändert, also muss sich auch die Bildungsarbeit ändern«, konstatierte Renate Künast. Allerdings könnte das schon an finanziellen Problemen scheitern. Nicht jede Kita kann selbst kochen oder die Kinder Möhren im Gartenbeet säen lassen. Auch die Schulbücher müssen sorgfältig geprüft und überarbeitet werden. »80 Prozent der Lehrmaterialien sind fehlerhaft«, berichtete Astrid Potz, Referentin für Ernährungsgrundlagen.
Über die Gefahren der Zusatzstoffe waren sich fast alle einig: Erst die Masse machts. In Unmengen genossen, kann jeder Stoff schädlich sein. Zitronensäure ist nicht nur in Obst enthalten, sondern steckt auch als saurer Geschmacksverstärker in Säften, Gummibärchen etc. und kann auf Dauer die Zahnoberfläche schädigen. Kinderärztin Hildegard Przymbel empfiehlt: »Wasser ist der beste Durstlöscher.« Doch leider geben Eltern ihren Kindern meistens »so ein Zeug« wie Punica, fügte sie bedauernd hinzu. Auch das alte Märchen, dass ein Apfel vor dem Schlafengehen gesund sei oder gar das Zähneputzen ersetze, muss ausgeräumt werden. So habe das Kind erst recht eine hohe Säurebelastung über Nacht im Mund, erklärte Susanne Langguth.
Das Institut für Ernährungsforschung gibt drei einfache Tipps: Reichlich Obst und Gemüse essen, tierische Produkte nur mäßig verzehren und Fette meiden. »Nach meiner 20-jährigen Berufserfahrung kann ich sagen, wenn Kinder das erstmal begriffen haben, sind sie sehr konsequent«, schilderte Kinderärztin Hildegard Przymbel.
Ebenfalls einhellig wurde die Forderung nach einer ausführlichen Ernährungsstudie gestellt, auf deren Basis offene Fragen geklärt und konkrete Vorhaben folgen können. Hier verkündete Astrid Potz, dass die Vorbereitungen dazu im kommenden Jahr beginnen. Allerdings werde eine umfangreiche Studie nach ersten Schätzungen 4,6 Millionen Euro kosten.
Strittig blieb das Thema Werbung. Beeinflusst sie die Essgewohnheiten? Darf sie gesundheitsfördernde Aspekte hervorheben? Susanne Langguth glaubt die Wirkung der Werbung überschätzt, Hildegard Przymel ist sich sicher, dass diese Einfluss nimmt. Worüber sie sich aber am meisten ärgere, seien Süßigkeiten, die mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert sind. »Zu sagen, wenn mein Kind schon Bonbons isst, dann wenigstens mit Vitaminen, ist doch abstrus!«, empört sie sich. Solche Süßigkeiten sollten verboten werden, zumal sie irreführend seien, fand die Kinderärztin. Außerdem sei auch nicht unbedingt die Menge der Süßigkeiten Schuld an schlechten Zähnen, sondern deren Verweildauer im Mund, ergänzte Langguth. Also ist eine schnell vertilgte Tafel Schokolade weniger bedenklich als ein genüsslich gelutschter Lolli.
Renate Künast möchte sich erreichbare Ziele stecken. »Natürlich ist Selbstkochen gesünder, aber das macht keiner auf Dauer.« So sollte man für den Anfang erst einmal das Kochen positiv darstellen - als Genussfaktor in der Freizeit. »Mich würde keiner mit Fertigpizza kriegen«, lachte sie. Zumindest darf nach der Ministerin nicht alles bei der Politik hängen bleiben. Auch die Elternseite müsse aktiv werden. Susanne Langguth bekundete großes Interesse und das Bedürfnis der Ernährungswirtschaft, am Maßnahmenkatalog mitzuarbeiten. Allerdings sei das Thema zu komplex für schnelle Lösungen, betonte sie. Nachhaltig müsste die Wirkung der Kampagnen sein, fanden auch die anderen Diskussionsteilnehmer. Am schönsten wäre es wohl, die Zeit zurückzudrehen, wo man noch Zeit und Sinn hatte, gemeinsam zu kochen, wo es noch keine Mikrowellen gab, Babies nicht mit Gläschennahrung aufwuchsen und Fertigessen ein negatives Image hatte. Allerdings standen da auch noch die Frauen verstärkt hinterm Herd und bekochten die Familie. Die Gesellschaft wandelt sich, und angesichts des reichhaltigen Lebensmittelangebotes in Kaufhallen und auf Märkten sollte es wohl kein Problem sein, etwas Gesundes und Leckeres zu finden. Und man muss ja auch nicht jeden amerikanischen Trend nachäffen.
Die Kinder essen zu süß, zu fett und bewegen sich zu wenig«, fasste Regina Wollersheim, Abteilungsleiterin für Ernährungspolitik, das Problem zusammen. Gegen diesen Trend sollen im nächsten Jahr ein Kongress, Runde Tische und Aufklärungskampagnen wirken. Auftakt zur Maßnahmenplanung war eine Diskussion am Mittwoch mit Künast und Ernährungsfachleuten. Auslöser für dieses Treffen war ein Artikel von Hans-Ulrich Grimm über Chemikalien im Essen, erschienen im Magazin »Stern« (Nr. 46).
Nachdem der Streit über die Richtigkeit des Artikels oder eine schlampige Recherche zwischen dem Autor und den anwesenden Doktoren geschlichtet war, klärten sich bald die gemeinsamen Forderungen. Ein Unterrichtsfach Ernährung in der Schule sei sinnvoll, befanden alle. »80 Prozent aller Lebensmittel stehen vorgefertigt im Regal, über Inhaltsstoffe weiß man kaum etwas«, sagte Susanne Langguth von der Südzucker AG und Vorstandsmitglied des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL).
»Die Gesellschaft hat sich geändert, also muss sich auch die Bildungsarbeit ändern«, konstatierte Renate Künast. Allerdings könnte das schon an finanziellen Problemen scheitern. Nicht jede Kita kann selbst kochen oder die Kinder Möhren im Gartenbeet säen lassen. Auch die Schulbücher müssen sorgfältig geprüft und überarbeitet werden. »80 Prozent der Lehrmaterialien sind fehlerhaft«, berichtete Astrid Potz, Referentin für Ernährungsgrundlagen.
Über die Gefahren der Zusatzstoffe waren sich fast alle einig: Erst die Masse machts. In Unmengen genossen, kann jeder Stoff schädlich sein. Zitronensäure ist nicht nur in Obst enthalten, sondern steckt auch als saurer Geschmacksverstärker in Säften, Gummibärchen etc. und kann auf Dauer die Zahnoberfläche schädigen. Kinderärztin Hildegard Przymbel empfiehlt: »Wasser ist der beste Durstlöscher.« Doch leider geben Eltern ihren Kindern meistens »so ein Zeug« wie Punica, fügte sie bedauernd hinzu. Auch das alte Märchen, dass ein Apfel vor dem Schlafengehen gesund sei oder gar das Zähneputzen ersetze, muss ausgeräumt werden. So habe das Kind erst recht eine hohe Säurebelastung über Nacht im Mund, erklärte Susanne Langguth.
Das Institut für Ernährungsforschung gibt drei einfache Tipps: Reichlich Obst und Gemüse essen, tierische Produkte nur mäßig verzehren und Fette meiden. »Nach meiner 20-jährigen Berufserfahrung kann ich sagen, wenn Kinder das erstmal begriffen haben, sind sie sehr konsequent«, schilderte Kinderärztin Hildegard Przymbel.
Ebenfalls einhellig wurde die Forderung nach einer ausführlichen Ernährungsstudie gestellt, auf deren Basis offene Fragen geklärt und konkrete Vorhaben folgen können. Hier verkündete Astrid Potz, dass die Vorbereitungen dazu im kommenden Jahr beginnen. Allerdings werde eine umfangreiche Studie nach ersten Schätzungen 4,6 Millionen Euro kosten.
Strittig blieb das Thema Werbung. Beeinflusst sie die Essgewohnheiten? Darf sie gesundheitsfördernde Aspekte hervorheben? Susanne Langguth glaubt die Wirkung der Werbung überschätzt, Hildegard Przymel ist sich sicher, dass diese Einfluss nimmt. Worüber sie sich aber am meisten ärgere, seien Süßigkeiten, die mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert sind. »Zu sagen, wenn mein Kind schon Bonbons isst, dann wenigstens mit Vitaminen, ist doch abstrus!«, empört sie sich. Solche Süßigkeiten sollten verboten werden, zumal sie irreführend seien, fand die Kinderärztin. Außerdem sei auch nicht unbedingt die Menge der Süßigkeiten Schuld an schlechten Zähnen, sondern deren Verweildauer im Mund, ergänzte Langguth. Also ist eine schnell vertilgte Tafel Schokolade weniger bedenklich als ein genüsslich gelutschter Lolli.
Renate Künast möchte sich erreichbare Ziele stecken. »Natürlich ist Selbstkochen gesünder, aber das macht keiner auf Dauer.« So sollte man für den Anfang erst einmal das Kochen positiv darstellen - als Genussfaktor in der Freizeit. »Mich würde keiner mit Fertigpizza kriegen«, lachte sie. Zumindest darf nach der Ministerin nicht alles bei der Politik hängen bleiben. Auch die Elternseite müsse aktiv werden. Susanne Langguth bekundete großes Interesse und das Bedürfnis der Ernährungswirtschaft, am Maßnahmenkatalog mitzuarbeiten. Allerdings sei das Thema zu komplex für schnelle Lösungen, betonte sie. Nachhaltig müsste die Wirkung der Kampagnen sein, fanden auch die anderen Diskussionsteilnehmer. Am schönsten wäre es wohl, die Zeit zurückzudrehen, wo man noch Zeit und Sinn hatte, gemeinsam zu kochen, wo es noch keine Mikrowellen gab, Babies nicht mit Gläschennahrung aufwuchsen und Fertigessen ein negatives Image hatte. Allerdings standen da auch noch die Frauen verstärkt hinterm Herd und bekochten die Familie. Die Gesellschaft wandelt sich, und angesichts des reichhaltigen Lebensmittelangebotes in Kaufhallen und auf Märkten sollte es wohl kein Problem sein, etwas Gesundes und Leckeres zu finden. Und man muss ja auch nicht jeden amerikanischen Trend nachäffen.

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