Genehmigungspflichtiges Gedenken
Kaufering VII: Ein einst hoffnungsvolles Projekt verkommt in Eigensinn und freistaatlicher Ignoranz
Wer von München mit dem Auto kommt, muss durch Landsberg hindurch, über den Lech hinweg, vorüber an einer ehemaligen Kaserne, die bis zur Schließung vor ein paar Jahren nach Hitlers Leningrad-Belagerer Ritter von Leeb benannt war. Von dort sind es dann nur noch einige hundert Meter, die man behutsam fahren muss, um den Wegweiser nicht zu übersehen, auf dem steht: Europäische Holocaust-Gedenkstätte Kaufering VII.
Es ist heiß, kein Lufthauch. Rechts des weißen Schildes hat man eine Spur durchs saftig-hohe Gras gemäht. Ihr Ende ist nicht erkennbar. Wer ihr folgt, geht dennoch fehl. Man muss sich weiter links halten, nur so gelangt man vor rostenden Maschendraht und ein mit Fahrradschlössern gesichertes Tor. Schilder verbieten das Weitergehen aus »Sicherheitsgründen«. Denkmalsschänder seien hier bereits mehrmals am Werke gewesen. Doch warum das Fotografieren untersagt ist...?
Das Eigentum am eingefriedeten Gebiet und damit das Hausrecht beansprucht eine »Bürgervereinigung Landsberg«. Eine Telefonnummer ist angegeben, hier könne man eine Führung beantragen. Führung wohin? Führung wodurch? Hinter dem Tor entdeckt man so etwas wie Erdbunker, weiter drüben recken sich drei leere Fahnenstangen in den Himmel.
Bürgervereinigung, das suggeriert demokratisches Miteinander. In aller Regel vereinen sich Bürger zu gutem Zweck. Wer in Landsberg nachfragt, dem wird bestätigt, dass es auch in diesem Fall so gewesen ist. Vor über zwei Jahrzehnten. Ein Lehrer namens Anton Posset stand an der Spitze von Bürgern, die ganz anders als die Oberen der Stadt - und deshalb mit der historischen Wahrheit im Bunde - behauptete: Ja, hier waren Konzentrationslager, ja hier wurden, als der Krieg sich seinem Ende näherte, Zehntausende, vor allem Juden, durch Arbeit vernichtet. Den ersten Platz im Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte hat eine Posset-Arbeitsgruppe und dafür Lob und Anerkennung vom damaligen Bundespräsidenten Carstens eingesammelt.
Franz-Josef Strauß, damals Ministerpräsident in Bayern, regte Mitte Oktober 1983 die Gründung der Bürgervereinigung an, die sich um die Reste des KZ-Kaufering kümmern sollte, auf »dass junge Menschen sich mit Erscheinungen der Vergangenheit befassen, die erkennen lassen, zu welch entsetzlichen Verirrungen es führen kann, wenn der blinde Glaube an ein vermeintlich gutes Ziel Mittel und Wege dorthin aus den Augen verlieren lässt«. Strauß war ein schlauer Fuchs, der Freistaat wollte sein Erinnern auf das KZ Dachau beschränken. Kaum dass man den Namen Flossenbürg noch wahrhaben wollte.
Kaufering VII, einst ein für das »Projekt Ringeltaube« aufgemachtes Dachau-Außenlager wurde »privatisiert«. Strauß-Freund Alexander Moksel, der mit Fleisch und guten Diensten in Richtung DDR viel Geld machen konnte, spendete. Wie es heißt 50000 Mark. Damit ersteigerte die Bürgervereinigung einen Teil des Geländes aus dem Besitz einer Erbengemeinschaft. Der große Rest gehört der Stadt Landsberg am Lech. Die Stadt tat sich schwer und unter einstiger CSU-Bürgermeisterschaft erst einmal nichts. Sollte es, so hieß es scheinheilig, jemals wirklich solche Lager bei Landsberg gegeben haben, dann könne man sich nicht erklären, warum die von den Insassen »kalte Krematorien« genannt wurden. Und dass, obwohl Landsberger Bürger, angestellt bei der Organisation Todt, nicht nur die Arbeit der aus halb Europa und vor allem aus Auschwitz angekarrten jüdischen Sklaven organisierten. Im Verein mit SS, Wehrmacht und sogar der örtlichen Hitlerjugend bewachte man die Sklaven auch noch. Baufirmen wie Holzmann, Moll, Stöhr oder Dyckerhoff&Widmann sowie Held&Francke hatten die Projekte unter sich. Geleitet wurden sie von einem Ingenieurebüro Schlempp, dem der spätere Bundespräsident Heinrich Lübke vorstand.
Während man diese Scheußlichkeit verdrängte, kokettierte man in der Stadt mit der Überlieferung, »der Führer« habe hier »Mein Kampf« und damit die »Geburtsurkunde des Nationalsozialismus« diktiert. In der Tat, Hitler saß nach seinem 1923 gescheiterten Putsch in der Landsberger Haftanstalt. Gegen diesen bundesdeutschen Zeitgeist des Vergessens und Verdrängens kämpfte die Bürgervereinigung zunächst ebenso engagiert wie erfolgreich an. Doch Posset, so sagt nicht nur sein einstiger Mitstreiter und Schulkollege Dr. Ernst Reim, nahm immer wunderlichere Züge an. Er verrannte sich, hielt nur noch sich für den Maßstab aller Dinge, was weder seinen pädagogischen noch den Qualitäten bei der historischen Aufarbeitung zu Gute kam. Reim, der nach seiner Pensionierung von Kultusministerium mit Schülerführungen betraut worden war, wurde von Posset aus »seinem« Verein ausgeschlossen. Reims Tochter, einst Possets Schülerin, die zum Thema »Ringeltaube« eine Dissertation hinlegte, wurde von ihm angefeindet. Nach und nach, so erzählt man, vertrieb Posset alle, die für das Projekt so wichtig waren. Der Eigensinnige schrieb bitterböse Leserbriefe quer durchs Land, entfernte ein gespendetes Denkmal, weil dessen Schöpfer nicht mehr auf »seiner Seite« standen. Plötzlich pappten die Verbotsschilder an dem Zaun. Wer rein will, soll zahlen. Dreistellig, so tuschelte man wissend, wolle er Schülergruppen »melken«. Dass nur noch er das Sagen habe, wollte er vor Gericht einklagen. Er lag im Dickicht, um jene zu überführen, die »unbefugt« das Gelände betreten wollten. Nicht einmal einen der Befreier, den US-Oberst a. D. Irving Heymont, verschonte er. Nun käme sogar Antisemitisches aus Possets Munde, weil »die feigen Juden«, die ihn in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit einem »popligen Messingleuchter« auszeichneten, ihn verraten hätten.
Das alles könnte man als menschliche Tragödie, möglicherweise auch nur als Geltungssucht abtun, die unglücklicherweise eben auch ein Gedenkstätten-Projekt zunichte macht. Nur entsteht dabei der Verdacht, der Freistaat sehe dies Trauerspiel nicht ohne Genugtuung. Erst lädt er eigene Untätigkeit auf die Schultern eines Bürgervereins. Dann stellt man genau diese Konstruktion als Hindernis für eigenes Engagement auf. Längst hätte es für den Freistaat Möglichkeiten zur Enteignung und zu staatlich gefördertem Gedenkstättenausbau gegeben. Wenn es dafür einen zusätzlichen Beleg braucht, dann ist es die Tatsache, dass Reims Nachfolgerin für Schülerführungen vor sechs Jahre eine Petition einreichte, man möge ihr doch bitte für diesen »Nebenjob« zwei Wochenstunden gutschreiben. Sie wartet noch immer auf einen Entscheid.
Dass Bayern sich generell kein solides Verhältnis zur NS-Zeit leistet, kann man nicht behaupten. Das Gegenteil. Von der verwahrlosten Europäischen Holocaust-»Gedenkstätte« muss man nur wieder in Richtung Landsberg fahren, vorbei an der ehemaligen Ritter von Leeb-Kaserne, dann links. Man kommt zum Spöttinger Friedhof. Der liegt unmittelbar neben der Justizvollzugsanstalt, er gehört dem Bayerischen Staat seit 1923. Gerade hat man die Grabkreuze neu gesetzt und mit einem Kupferdach versehen.
Auf dem Friedhof sind jene beerdigt, die im Gefängnis gestorben sind. Wenige »einfach so«, die Mehrzahl wurde hingerichtet: Raubmörder, Fremdarbeiter, man hat Verstorbene des DP-Lagers der US-Besatzungsmacht bestattet. Und auch von alliierten Gerichten verurteilte Kriegsverbrecher. Eine Hinweistafel sucht man auch hier vergebens. Das ist aber auch schon alles, was der Spöttinger Totenacker mit Kaufering VII gemein hat. Auf dem gepflegten Gefängnishain liegen unter anderem Standartenführer Wolfram Sievers, als Chef des SS-Ahnenamtes verantwortlich für Menschenversuche, SS-Sturmbannführer Martin Gottfried Weiss, Kommandant der KZ Neuengamme, Dachau, Majdanek und Obergruppenführer Oswald Pohl, der als Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes verantwortlich war für die Häftlingsausbeutung, also auch für die vergessenen KZ-Lager Kaufering. Man muss übrigens nicht lange suchen, um herauszufinden, wo Hitlers Henker vergraben sind. Jemand hat ausschließlich vor de...
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