Das Zittern des Auerhahns

Das »harzhafte« Hasseröder wird demnächst unter belgischer Regie gebraut. Doch in Wernigerode bleibt man gelassen - hat man doch schon einmal aus einem Besitzerwechsel das Beste gemacht

  • Peter Richter
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.
Klaus König begeistert sich am Hasseröder schon dann, wenn es noch gar nicht genießbar ist. In neun Riesenbottichen des Sudhauses rotiert eine undefinierbare Brühe, Blasen platzen auf gelblichem Schaum, es riecht nach Malz und Hefe. Durch dick verglaste Bullaugen kann man einen Blick aufs Frühstadium des »Hasseröder Premium Pils« werfen, aber dafür hat König kein Auge. Er orientiert sich lieber an den Monitoren seiner Schaltwarte. Jeder zeigt einen der Kessel - die Würzpfanne, die Maischpfanne, den Läuterbottich, die Whirlpools. Man kann sie grafisch abbilden lassen, aber der Biersieder König bevorzugt die Zahlenkolonnen. »Die zeigen mir, was läuft«, sagt knapp der einstige Elektriker, der hier seit zehn Jahren das Bier aufmischt. Für Nostalgie hat der 45-Jährige wenig Sinn. Und sein Arbeitsort schaut auch kaum so aus, wie man sich gemeinhin eine Brauerei vorstellt. Da ist kein rotes Backsteingebäude mit verschnörkelten Giebeln, sind keine hohen gotischen Fenster oder wuchtigen Säulen. An der Einfahrt zum Wernigeröder Gewerbepark Nord-West beherrschen riesige Metallzylinder das Bild, ein langer Klotz, der auch das Sudhaus beherbergt, Lagerhallen. Man könnte eher an ein Chemiewerk denken, wäre da nicht wenigstens ein flaches, holzverschaltes Verwaltungsgebäude und das übergroße Wappen am Tor, mit dem stolz den Hals reckenden Auerhahn, der Biertrinkern inzwischen vertraut ist wie der Bock auf dem Starkbieretikett oder der Löwe vom bayerischen Weizen. Denn Hasseröder Bier ist in deutschen Landen inzwischen ein Begriff. Wurden 1990 gerade mal 150000 Hektoliter produziert und getrunken, waren es im Vorjahr schon 2, 33 Millionen Hektoliter. Bis Oktober 2002 ein weiterer Anstieg um 52000 Hektoliter, was einen Marktanteil von 4 Prozent bedeutet. Im Osten beträgt er sogar 10,8 Prozent. Die Frage nach dem Geheimnis dieses Aufschwungs macht Peter Grzeschiok etwas verlegen. »Wir arbeiten nach alten Rezepten unserer Braumeister. Die Qualität ist gleich bleibend«, sagt der Betriebsratsvorsitzende unbestimmt. Er zuckt die Schultern. Qualität, soll das wohl heißen, ist für uns selbstverständlich, und erreicht wird sie durch sorgfältige Arbeit am Produkt, wozu auch gehört, dass sich Hasseröder nicht in zahlreichen Sorten verzettelt, sondern auf seinen Renner setzt - das Premium Pils. Auf dem Hof pumpt gerade ein Tieflader seine Malzladung in einen unterirdischen Tank, von wo sie ins Sudhaus gelangt. Malz kommt aus dem nahen Peine, wo es aus heimischer Braugerste hergestellt wird. Wasser und Hopfen als Würze hinzu - und damit hat es sich schon nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516, nach dem »forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen«. Hopfen liefert die oberbayerische Hallertau. Und das Wasser fließt - Grzeschiok ist es fast peinlich - aus der Leitung. »Unsere Talsperren bieten doch gutes Oberflächenwasser«, entschuldigt er sich. Nur Hefe wird dann noch gebraucht - zum Gären und Reifen. Dann kann gezapft werden. An der Wand des vorgespülten Glases soll das Bier entlang laufen, etwa bis zur Hälfte. Dann eine Minute stehen lassen und vorsichtig nachzapfen. Zum Schluss die Schaumkrone modellieren. Nach drei Minuten ist Hasseröder trinkfertig. Der Erfolg des Hasseröders hat viele Väter. Da sind solche Leute wir Klaus König, der eigentlich kein Brauer ist, aber ein Qualitätsfetischist. »Ich kann mit dem Computer umgehen, meine Kollegen konnten brauen«, sagt er. »Da haben wir uns gegenseitig etwas beigebracht.« Nicht mehr als 20 solche Fachleute sind es, die in der unmittelbaren Bierproduktion arbeiten, und von ihrer Sorgfalt hängt zuerst ab, dass das untergärige Vollbier mit seinen 11,3 Prozent Stammwürze und 4,8 Alkoholprozenten immer so »mild, harzhaft frisch und zugleich körperreich« schmeckt, wie die Werbung verheißt. Aber natürlich gehören noch viele andere dazu - von der Abfüllung bis zum Transport, vom Marketing mit seinen 100 Vertretern bis zur Verwaltung. 360 Leute arbeiten derzeit am Auerhahnring vor den Toren Wernigerodes - und verdienen für hiesige Verhältnisse gut. 4453 Mark brutto nennt Grzeschiok den Brauerlohn noch in der alten Währung. Dazu kommen vermögensbildende Leistungen, 150 Euro im Jahr für die Altersvorsorge und - nicht zu vergessen - monatlich 45 Liter Hasseröder als »Haustrunk«. Doch auch etwas abseits des Harzes, das räumt der Betriebsratsvorsitzende freimütig ein, sitzen Leute, die zum Höhenflug des Hasseröder Auerhahns beitrugen. Denn die Brauerei existiert zwar schon seit 1872 und braute 1896 bereits 25000 Hektoliter Bier. Sie war in der DDR, zumindest regional, ebenfalls erfolgreich, aber sie erlebte 1989 auch, was viele erfahren mussten: Die Biertrinker probierten die neuen Marken, die sie aus der Fernsehwerbung längst kannten. Die Folge waren Kurzarbeit und Existenzangst - aber nur ein knappes halbes Jahr. Dann fand sich ein Investor, der nicht kam, um einen lästigen Konkurrenten aufzukaufen und ihn dann still zu legen, sondern selbst mit dem Ostpfund wuchern wollte. 1990 kaufte die Hannoveraner Gilde-Brauerei den Hasseröder Betrieb und machte von Anfang an »Nägel mit Köpfen«, so Grzeschiok. Die Niedersachsen hatten erkannt, dass am Harzrand eine - wenn dieses Bild im Zusammenhang mit Bier gestattet ist - Hochleistungskuh graste; die wollten sie melken und nicht schlachten. Es wurde investiert, das Marketing entwickelt, ein ausgefeilter Außendienst aufgebaut. Neue Produktionsstätten entstanden erst am alten Standort, und als der zu eng wurde, zog man auf die grüne Wiese. Seit 1997 fließt das Bier aus dem neuen Werk am Auerhahnring. Der Erfolg gab dem Gilde-Management Recht, aber er weckte auch Begehrlichkeiten bei der einschlägigen Konkurrenz. Der Bierkonzern Interbrew aus Leiden in Belgien, längst die Nummer 3 in der Welt und auch in Deutschland unterwegs auf Expansionskurs, hatte nach dem Kauf der Marken »Becks« und »Diebels« nun auch auf Hasseröder ein Auge geworfen. 490 Millionen Euro war den Belgiern die gesamte Gilde-Brauerei wert, zu deren Substanz die Wernigeröder inzwischen über die Hälfte beisteuern. Nur 250 Aktionäre hat das Unternehmen, das unerwünschte Anteilseigner fernhielt, um die Traditionsmarke nicht zu gefährden. Doch viel Geld bricht jeden Widerstand. Als Interbrew bereit war, für jede der bisher mit 65000 Euro dotierten Aktien nun 275000 Euro zu zahlen, liefen die Anleger in Scharen über - am Schluss auch die Stadt Hannover, die allein etwa über zehn Prozent der Wertpapiere verfügte und sich für die Erhaltung des Stammsitzes stark gemacht hatte. Sie handelte zwar schließlich noch einiges für die städtische Traditionsbrauerei aus: 30-jährige Garantie als Rechtssitz der Gilde, 15-jährige Gewerbesteuerzahlung, zehn Jahre lang jährlicher Marketing-Etat von 3,5 Millionen Euro, acht Jahre je 500000 Mark für das »Hannover-Projekt«. Nur für fünf Jahre aber Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, was Interbrew zudem dadurch unterlaufen kann, dass es bei Nichteinhaltung für jeden Entlassenen lediglich 10000 Euro »Vertragsstrafe« zahlen muss. Die Stadt Wernigerode hätte gewiss auch gern solche Bonbons und die mehr als 52 Millionen Euro für 190 Gilde-Aktien entgegengenommen, aber sie ist natürlich an der Hasseröder Brauerei mit keinem Cent beteiligt. Belegschaft wie Management im Harz erfuhren vom Interbrew-Coup aus der Zeitung, was zumindest die Manager derart verunsicherte, dass sie für keinerlei Auskünfte zur Verfügung standen. Der gerade noch so kraftstrotzende Auerhahn geriet im steifen belgischen Expansionswind ins Zittern, aber Betriebsrat Grzeschiok bleibt gelassen. »Niemand wird eine Menge Geld für eine gut gehende Brauerei ausgeben und dann eine Schuhfabrik daraus machen«, sagt er und vertraut auf die Leistungen der Beschäftigten. »Man wird sich angucken, wie die Rentabilität hier ist, die Personalausstattung. die Möglichkeiten zur Ausweitung des Marktes ...« Da ist er nicht bange, und Interbrew-Chef Hugo Powell scheint ihm Recht zu geben, wenn er über seine Pläne spricht: »Wir bauen eine Perlenkette, bei der jede Perle schön sein muss.« Man weiß auch in Leiden, dass ausländische Biere hier zu Lande kaum Fuß fassen; also expandiert man mit dem, was in Deutschland bereits attraktiv ist. Und doch: Grzeschiok wäre kein guter Arbeitnehmervertreter, wenn er sich nur darauf verlassen würde. Er kennt natürlich die Auswirkungen von »Strukturveränderungen«. Nicht nur für die Beschäftigten des größten Arbeitgebers der Region, sondern auch für viele Fremdfirmen - von den Spediteuren, in deren Händen allein der Transport liegt, über Reinigungskräfte bis zum Sicherheitsdienst. Man hat sich bei anderen Interbrew-Filialen umgehört, man denkt für alle Fälle über einen Sozialplan nach, aber, so fügt der Betriebsratsvorsitzende schnell hinzu, »bisher gibt es dafür keinen Bedarf«. Man baut auf die eigenen Stärken: Tradition, Engagement, Leistung. Davon versteht man etwas. »Was in Hannover oder Leiden geschieht, können wir nur zur Kenntnis nehmen. Wir können es nicht durchschauen und auch nicht beeinflussen.« Wenn denn also heute bei den Hannoveraner Neumillionären die Champagnerpropfen knallen, dann sind die Hasserö- der eigentlich schon zufrieden, wenn sie die Kronenkorken ihres Haustrunks öffnen können - und nicht stimmt, was die regionale Presse bereits kolportierte: dass der Betriebsrat zur Standortrettung die Streichung des Deputats angeboten hat. Da nämlich bleibt Grzeschiok g...

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