Union sieht Rot-Grün in Irak-Frage »umfallen«

Kurswechsel der Bundesregierung befriedigt CDU/CSU und spornt zu weiter gehenden Forderungen an

  • Peter Richter
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Genüsslich beobachtet die Union, wie die rot-grüne Bundesregierung Schritt für Schritt ihre einst ablehnende Aussage zur Beteiligung an einem Irakkrieg korrigiert und damit in den Schoß der Bündnis-»Familie« zurückkehrt.

Sie fallen um«, konstatierte Wolfgang Schäuble befriedigt nach Fischers jüngster Erklärung über eine mögliche Zustimmung der Bundesregierung zum Angriff auf den Irak im UN-Sicherheitsrat. Und Friedbert Pflüger sprach von einem »Kurswechsel auf Raten«, mit dem sich Rot-Grün der Union annähere. Die beiden CDU-Außenpolitiker verschweigen dabei zwar, dass auch CDU und CSU im Wahlkampf höchst widersprüchliche Positionen hinsichtlich eines Irak-Krieges bezogen hatten, doch nach der Niederlage am 22. September bemühten sie sich schnell um einen klaren Standpunkt, und wie zuletzt häufig war dabei Roland Koch der Wortführer. Der hessische Ministerpräsident hatte bereits Mitte Oktober davor gewarnt, die Bedeutung des Irak-Themas bei künftigen Wahlen zu unterschätzen. Da eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Krieg sei und zwei Drittel der Bevölkerung gar verneinten, dass Deutschland gegenüber den USA noch zu Dankbarkeit verpflichtet wäre, könne die Union mit ihrer proamerikanischen Grundposition leicht in eine »strategische Falle« geraten. Daher verlangte er, zum einen massive Überzeugungsarbeit zu leisten, um den Meinungstrend in der Bevölkerung umzukehren. Zum anderen müsse die Bundesregierung gezwungen werden, in der Irakfrage »in den Geleitzug der europäischen Partner zurückzukehren«. Zumindest auf dem Weg zum zweiten Ziel ist die Union inzwischen weit vorangekommen. Fischers Umfall sei »in die richtige Richtung« erfolgt, lobte Schäuble und setzte zugleich nach: »Im Sicherheitsrat zustimmen und dann nicht mitmachen, ist keine verantwortliche Haltung gegenüber den Vereinten Nationen.« Unter Kochs und Schäubles Regie hat die Union in der Frage einer uneingeschränkten Zustimmung zum amerikanischen Waffengang gegen den Irak weit gehende Geschlossenheit hergestellt. Und der frühere Parteivorsitzende plädierte vor dem Bundestag sogar dafür, künftig über Präventivschläge gegen »Schurkenstaaten« nachzudenken. »Mit dem Zweitschlag schützen wir unsere Bevölkerung nicht mehr«, sagte er. Er knüpfte daran die Forderung, »über Möglichkeiten und Grenzen des Selbstverteidigungsrechts im Völkerrecht« zu diskutieren. Auch eine erneute UN-Resolution hält Schäuble nicht für zwingend und verlangt vorbehaltlose Beteiligung an den darin bereits angedrohten »ernsten Konsequenzen« für Saddam Hussein: »Prinzipiell ausgeschlossen werden darf dabei nichts, da wir sonst aus der Solidarität der Völkergemeinschaft ausscheren.« In diesen Chor stimmen auch andere ein - sogar Ex-Kanzler Helmut Kohl, der es 1991 noch tunlichst vermieden hatte, dass sich die Bundesrepublik aktiv am ersten Irakkrieg beteiligt, und sich davon durch eine Milliardenspende für die Kriegsteilnehmer freikaufte, verlangt jetzt einen anderen Kurs und dringt auf Beteiligung am Waffengang: »Wenn ein Krieg gegen den Irak notwendig wird, dann sollten wir gemeinsam mit unseren amerikanischen und europäischen Freunden sowie der UNO handeln.« Alle Forderungen der USA - nach Überflugrechten, nach Einsatz in AWACS-Flugzeugen und nach logistischer Hilfe - müssten erfüllt werden. Auch Israel solle die verlangten »Fuchs«-Transportpanzer erhalten. Nachdem die Union zunächst nicht verlangt hatte, die Irak-Problematik im von ihr initiierten Untersuchungsausschuss zum »Wahlbetrug« zu behandeln, scheint sich aber nun das Blatt zu wenden: Mit ihrer neuen Haltung in der Irak-Krise sähe man sich in dem Bemühen gestützt, Rot-Grün »einen besonders dreisten Wahlbetrug« nachzuweisen, sagte der CDU-Obmann im »Lügen-Ausschuss«, Peter Altmaier. CSU-Chef Edmund Stoiber kritisierte die Unterstützung Schröders für Fischer in der Irak-Frage als »neuerlichen Wahlbetrug« und Angela Merkels neuer Stellvertreter im CDU-Vorsitz, Christoph Böhr, hat inzwischen eine Erweiterung des Untersuchungsauftrages um die Frage verlangt, ob der Kanzler den Wählern zur Situation um Irak »Sand in die Augen streute«. Allerdings läge ein solcher »Wahlbetrug« ganz im Kalkül der Union: Die will sich nicht zuletzt dadurch als wahrhaft verlässlicher Bündnispartner der USA erweisen, dass sie die Regierung zwingt, sich »aus der selbst verschuldeten Isolierung« zu befreien. Mit dieser Taktik hat die Union bereits jetzt den Wahlkampf des SPD-Spitzenkandidaten in Hessen, Gerhard Bökel, der sich »kategorisch und in aller Deutlichkeit« gegen einen Irakkrieg ausspricht, weitgehend neutralisiert - so wie schon in Niedersachsen die Kampagne Gabriels für eine Vermögensteuer. CDU und CSU hoffen zugleich, damit auch einen Keil in die Koalition zu treiben, was allerdings weniger Erfolg versprechend erscheint. Denn Fischers Versuchsballon wurde fast von der gesamten grünen Führungsriege unter ihre Obhut genommen, damit er ja nicht platzt. CDU-Chefin Angela Merkel hält ein Nein der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat zum Irak-Krieg ohnehin für unmöglich, da das Votum in enger Abstimmung mit den Bündnispartnern erfolgen müsse. »Die Bundesregierung wird den Bürgern sagen müssen, dass auch...

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