Späte Verwandlung

Diese Liebe von Josée Dayan

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Jeanne Moreau bleibt selbst als Verführerin höchst autistisch; nichts dringt zu ihr durch, was nicht schon in ihr ist. Das macht sie so unwiderstehlich. In Truffauts Meisterwerk »Jules und Jim« von 1961 spielt sie eine Frau, an der zwei Männer zu Grunde gehen. Sie kann das - über vierzig Jahre später - immer noch spielen. Der junge Philosophiestudent verfällt der alten Frau, die alles hinter sich zu haben meint. Als Künstlerin und Frau. Es ist die Geschichte der Marguerite Duras. Sie beginnt 1980. Da ist die Schriftstellerin 66 Jahre alt. Sie schreibt fast nichts mehr, die wöchentliche Kolumne für »Libération« wird ihr eine Qual. Sie ist Alkoholikerin mit zerstörtem Gesicht, aber sie trinkt nicht mehr; sie wartet auf den Tod. Statt des Todes kommt die unmögliche, die skandalöse Liebe, die sie beharrlich zurückweist, aber die sich nicht abweisen lässt. Der junge Student heißt Yann Andréa und ist achtundzwanzig. Am Anfang war seine Leidenschaft für Marguerite Duras eine »literarische Leidenschaft«, sagt Regisseurin Josée Dayan. Aber jeder Leidenschaft wohnt die Maßlosigkeit inne. So schreibt Yann der berühmten alten Schriftstellerin fünf Jahre lang Briefe, die sie irritieren. Sie lebt wie eine Einsiedlerin, ohne Menschen. Dann steht er selbst vor ihrer Tür in Trouville. Er will ohne sie nicht weiterleben. Eine Erpressung. Und es wird doch eine ganz unerhörte Liebesgeschichte. Das Leben fängt neu an. Sie beginnt wieder zu trinken und zu schreiben. Ein Zerstörungsrausch. Er dauert immerhin noch 16 Jahre, und als Marguerite Duras 1996 stirbt, hat sie in Gegenwart Yann Andréas noch Bücher geschrieben, die weltberühmt geworden sind. Eines heißt »Der Liebhaber«. Die Liebe: ein Sog, der hinabreißt in jene Tiefe, wo Grund und Abgrund dicht beieinanderliegen. Ortega y Gasset schrieb: »Reine Liebe in strengem Sinne ist Liebe, die nicht zur Wirklichkeit wird, sondern ganz Spannung, Eifer, Werbung bleibt.« Jeanne Moreau ist Marguerite Duras. Wegen dieser einmaligen Schauspielerin, die aus einer längst verlorenen Zeit kommt, sollte man diesen seltsamen Film über eine seltsame Beziehung zweier Menschen sehen. Sie passen nicht zusammen, schon weil er jung und sie alt ist. Das Wissen um die Unerbittlichkeit des Getrenntseins durch Alter gibt der Beziehung eine besondere Intensität. Sie trinken, gehen spazieren, reden, arbeiten an ihren Manuskripten. Und immer die Frage: Wie lange noch? Die Nähe des Todes intensiviert ihr Lebensgefühl. Plötzlich wissen sich beide abhängig voneinander. Er demütigt sie mit seiner Jugend, sie ihn mit jener Meisterschaft, mit der sie noch ihr langes Sterben künstlerisch produktiv macht. Wie zeigt man das? Wir sehen Marguerite Duras und Yann Andréa miteinander reden. Mal sanft, mal heftig. Der Film funktioniert über Jeanne Moreaus Gesicht und die Sätze, die sie mit rauchiger Stimme spricht. Durchaus strapaziös. Es lohnt durchzuhalten, obwohl Aymeric Demarigny als Yann Andrea ein reines Nullmedium ist. An diesem weichlichen Schönling verstehen wir nie, was ihn zu solcher Obsession treibt. Denn er sieht nicht aus, als ob er jemals ein Buch zu Ende gelesen, geschweige denn, unvernünftige Dinge nach der Lektüre eines solchen getan hätte. Diese Liebe also bleibt - wie alle echte Liebe - ein Mysterium, über das wir den Kopf schütteln können, aber die existiert, wie sie uns gerade in...

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