Langlebig und zeitlos

Clauss Dietel und Lutz Rudolph - Gestaltung ist Kultur. Eine Werkausstellung

  • Larissa Schulz-Trieglaff
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.
In der DDR war sie bekannt, die »Erika 50/60«, die Schreibmaschine, in den 70er Jahren auf vielen Tischen zu finden. Entworfen wurde sie 1971 von Clauss Dietel, produziert zwei Jahre später. Erika blieb nicht lange dieselbe. In den Folgejahren ging sie in die Breite, dafür wurde sie flacher, als Ende der 70er Jahre die elektronischen Maschinen auf den Markt kamen. Diese von Dietel gestalteten Geräte sollten lange halten und hatten dann doch nur noch eine kurze Daseinsberechtigung. Anfang der 90er Jahre wurden sie endgültig von den Computern verdrängt. Den Formgestaltern Clauss Dietel und Lutz Rudolph ist eine Werkausstellung in der Sammlung industrielle Gestaltung in der Berliner Kulturbrauerei gewidmet. Zu sehen sind Autos, Maschinen, Motorräder, Mopeds, Möbel, Lautsprecher und Radios, die sie seit den 50er Jahren entworfen haben. Kennen gelernt haben sich die beiden Gestalter an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, seit 1960 arbeiteten sie als lockere Ateliergemeinschaft zusammen. Angestellt waren Dietel und Rudolph nur zwischendurch für kurze Zeit. Sie haben alles darangesetzt, sich als Freischaffende zu etablieren, in der damaligen Zeit eine Seltenheit und nicht gern gesehen. »Wir wollten nicht kaserniert werden wie die Architekten«, sagte Clauss Dietel. Bei ihren Entwürfen sahen sie sich in der Tradition des Bauhauses: Die Nutzung, der Gebrauchsgegenstand sollte im Vordergrund stehen, die Form im Hintergrund, ohne Schnickschnack, ohne Schmuck. Langlebig, leicht, lütt (klein), lebensfreundlich und leise - diese Eigenschaften sollten die Dinge besitzen. Dietel und Rudolph wandten sich gegen Modewellen, denen die Gestaltung der Dinge unterworfen waren und sind. An Radios, Lautsprechern und Fahrzeugen arbeiteten sie zusammen, bei architektonischen Aufgaben gingen sie getrennte Wege. Dietel gestaltete eher technische Geräte und Maschinen, Rudolph entwarf Bestecke, Stühle und Teppiche. Doch zurück zur Ausstellung: Hinter den Schreibmaschinen steht aneinander gereiht eine ganze Heli-Radio-Generation. Eines der älteren Radios, das von 1962 aus dem Gerätebau Hempel KG Limbach-Oberfrohna, wirkt aus heutiger Sicht komisch. Fast eineinhalb Meter ist es lang mit einer Holzummantelung. Im Laufe der Jahre wird es kleiner, das Holz weicht einer schwarzen Schale. Dafür treten Lautsprecherboxen auf den Plan, die es in sich haben. Das Rundfunkgerät »RK 5«, gestaltet von Dietel und Rudolph 1967 und 1969, wird eingerahmt von zwei weißen kugelrunden Boxen - »K 20« ihr unvergesslicher Name. Die Boxen wirken irgendwie deplatziert, als wären sie nicht von dieser Welt. Damals aber waren sie sicherlich der letzte Schrei und nicht ganz so billig. Man kann sich vorstellen, wie sie die Jugendzimmer beschallten. Aber schön? Schön sind sie nicht. Das werden sie auch in den kommenden Jahren nicht, auch nicht kleiner oder farbiger. Braun oder grün sind sie in den 70er Jahren, grau 1980. Nicht nur manche dieser Gegenstände erscheinen aus heutiger Sicht seltsam, auch ihre Namen. Entweder sind sie technisch-minimalistisch und damit völlig unsinnlich, als solle mit aller Gewalt Distanz zum Gebrauchsgegenstand geweckt werden. Oder sie wirken heimelig-kitschig, als werde dem Nutzer der Beginn einer langen Freundschaft eingeredet. Nach dem Motto: Erika, deine beste Freundin. Abseits der langen Heli-Radio-Reihe steht ein raffiniert erdachter Apparat, der »Programat«. 1968 entwarfen Dietel und Rudolph ein dunkelgrünes Radio mit weißen Tasten und roten Reglern. Man stellte sich nicht einen Sender ein, sondern wählte ein Thema: Sport, Tanzmusik, Unterhaltung, Kultur. Da sich der »Programat« nicht nur an die Sender der DDR hielt, sondern auch an westdeutschen Wellen hängen blieb, ging er gar nicht erst in die Produktion. Lutz Rudolph entwarf allerlei Gegenstände für Wohnzimmer und Küche. Da ist die dreiteilige »Moccadolly« von 1962, ein zeitloses Kaffeebrühgerät mit einer mollig-runden Form und einer kleinen Tülle. Die könnte auch in heutige Küchen passen. Ebenso das Besteck »M 140« mit den dünnen Griffen, das in der Hand zu halten laut Zeitzeugenaussagen etwas Geschick erforderte. Es sollte, so Rudolph, zum Essen in Ruhe und mit Genuss anregen, statt zum hastigen Runterschlingen großer Mengen. Wer sich mit diesen Dingen einrichtete, wollte eine Haltung ausdrücken und sich abgrenzen gegen die Nierentische und Tütenleuchten der Elterngeneration, schrieb eine Journalistin Anfang der 80er Jahre. Und da ist »U«, der schlichte Stahlrohrsessel. Lutz Rudolph entwarf ihn 1975 und knüpfte damit an das Bauhaus an. In einen kastenartigen Rahmen sind Sitz und Lehne aus Leinen eingespannt, zusätzliche Polster machen den Stuhl richtig bequem. In zwei aufgenähten Taschen an der Rückseite konnte man allerlei Zeug verstauen. Ein Verkaufsschlager wurde das Möbelstück nicht, da haltbare Materialien nicht vorhanden waren. Auch die zur Verschraubung notwendigen Imbus-Schrauben gab es in der DDR nicht. Von 1965 bis 1980 entwarfen die beiden Gestalter zahlreiche Pkws, ein Schwerpunkt ihrer Arbeit und eine Leidensgeschichte. Im Erdgeschoss des Museums stößt man auf die vielen nicht verwirklichten und die wenigen verwirklichten Pkw-Modelle. Darunter befindet sich der Wartburg 353, dessen Grundkonzept von Dietel stammt, die »Tourist«-Variante von Rudolph. Andere Entwürfe scheiterten an der Dummheit damaliger Funktionäre. 1965 lief die Entwicklung eines kompakten, flexiblen Kleinwagens an, dessen Grundentwurf sich am Renault R 16 orientierte. Dietel und Rudolph gestalteten Details der Musterfahrzeuge bis die SED 1969 durch Günter Mittag den Abbruch befahl. Dietel: »Das war das hoffnungsvollste Projekt nach 1945, mit ihm wäre die internationale Avantgarde des Automobilbaus aufzuschließen gewesen. Von ihm erholte sich der Pkw-Bau der DDR nie wieder. Die größte Chance war vertan.« Stattdessen lief der Trabant Jahrzehnte lang vom Band, den Dietel schon in seiner Diplomarbeit heftig kritisierte, weil die Enge des Innenraums ein geducktes Sitzen erzwang und die äußere Form auf dem Stand der 50er Jahre war. Dietel forderte für die Autofahrer eine bequeme und aufrechte Sitzhaltung, optimale Sichtverhältnisse, Sicherheit und eine einfache Bedienung. Beteiligt waren die beiden Gestalter außerdem an allen Sorten Mopeds, Mokicks, Motorrädern und -rollern. Dietel wirkte gestalterisch an den Mokicks Star und Sperber mit und an der berühmten MZ ETZ. Andere Motorroller wurden erfolgreich erprobt, aber nicht produziert. Nach der Wende brachen langjährige Kontakte ab, da viele Unternehmen abgewickelt wurden. Allerdings kamen neue: Mitte der 90er Jahre setzten Dietel und Rudolph Aufträge für Volkswagen und Porsche um. Lutz Rudolph hat sich danach mehr und mehr zurückgezogen, Clauss Dietel hat verstärkt als Architekt gearbeitet und Häuser und Gebäudeteile für Privatleute und öffentliche Einrichtungen entworfen. Außerdem arbeitet er mit kleinen Betrieben und Existenzgründern zusammen. Die Ausstellung zeigt die Vielseitigkeit und die Entwicklung der beiden Gestalter, sie beschreibt ihre Erfolge und ihr Scheitern am fehlenden Material und an den oft kleinkarierten Vorstellungen der DDR-Funktionäre. Sie zeigt einige ihrer Produkte, die langlebig sind, zeitlos und schön, sie zeigt aber auch Gegenstände, über die man schmunzeln kann und die nur für kurze Zeit einen Höhepunkt hatten. Deutlich aber wird: Die Erika, das Heli-Radio und der Programat dürfen nur noch im Museum stehen, die dahinter steckende Philosophie von Dietel und Rudolph hat in Zeiten der geforderten Nachhaltigkeit all...

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