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  • Kultur
  • Kritische Beobachtungen eines „nichtverwendbaren“ Künstlers

Interessiert sich niemand für die Arbeitslosen des Kunstmarktes?

  • Dr. MARION PIETRZOK
  • Lesedauer: 3 Min.

70 Holzschnitte enthält sein viertes, eben im Linie Verlag erschienenes Buch. Gerd Umbach, 1949 in Mannheim geboren, hat die 200 Exemplare selbst gebunden, und 10 Mark sind für ein ganz und gar in Handarbeit hergestelltes Taschenbuch in Halbleinen nicht zu viel. Der empfindsame, aufmerksame Beobachter gesellschaftlicher Verhältnisse, der er als Künstler ist, widmete es den unzähligen Opfern der faschistischen Bestien in den Jahren des Nationalsozialismus. Der Titel: „Konzentrationslager“.

Gewalt, Erniedrigung, Leid, Angst, aber auch Hoffnung spiegeln die nur knapp postkartengro-ßen Holzschnitte. Sie schildern die Entstehung der braunen Herrschaft und ihre menschenverachtendpn Auswüchse in den Vernich-

tungslagern. Der Künstler versteht seine Bilder nicht als Metapher, er „erzählt“ von Situationen, die an die menschliche Existenz rühren. Die stark schwarz-weiß kontrastierenden, ausdrucksvollen Schnitte erinnern an die Frans Masereels.

In der Tat hat sich Gerd Umbach diesen engagierten Antifaschisten künstlerisch zum Vorbild genommen. Die klar in die Fläche eingebundenen figürlich-realistischen Kompositionen in diesem Band als auch andere Arbeiten zielen nicht auf ästhetisches Behagen ab. „Kunst soll Erkenntnis schaffen“, sagt Umbach, und ich glaube, er betont dabei die Erkenntnis über den Verstand. Manchmal zu sehr, wie mir,scheint.

Auch mit seinen Zeichnungen will er „anderen Zeichen geben“. Er fragt: „Warum gibt es Arbeitslo-

se, warum gibt es Sozialhilfeempfänger, warum gibt es Obdachlose, warum gibt es Selbstmörder, warum gibt es Krieg?“ Sein auf die Funktion begrenzter künstlerischer Anspruch hat zweifellos etwas mit der Biographie Umbachs zu tun. Er hat selbst erfahren, was soziale Ausgrenzung, eine der Quellen faschistischen Gedankentums, bedeutet. Seiner Biographie, die er seinem jüngsten Buch voranstellt, ist zu entnehmen, daß er „unten“ war, ganz unten.

Zunächst schien sein Weg ohne große Besonderheiten: Nach abgeschlossener Lehre als Buchdrucker studierte er an der Werkkunstschule Mainz und danach an der Akademie der Bildenden Künste in München mit Diplomabschluß. Es gab Ausstellungen seiner Werke (München, Ludwigshafen, Mainz), aber München „war ein elitäres

Pflaster, auf dem für mich nichts mehr klappte“. Dort gab es „wenig Bereitschaft zum Denken“ Selbst Freunde, vermeintliche, wandten sich von ihm ab. Unverständnis wurde ihm, der sich über gesellschaftliche Not entrüstete, entgegengebracht. Er erlebte die wachsenden Gegensätze zwischen arm und reich, die Rüstungspolitik, die Gebrechen der Wohlstandsgesellschaft als persönliche Verwundung.

Es entstanden Zeichnungen, die er später in seinen Büchern „Zeichnerische Gedanken zur Wohlstandsgesellschaft“ und „Raketenbrevier“ zusammenfaßte.

Umbach verließ das ignorante München, versuchte in Berlin Fuß zu fassen, verdiente seinen Unterhalt mit Hilfsarbeiten, und oftmals hatte er weniger als Sozialhilfe, schließlich nicht einmal ein Dach

über dem Kopf. Es fehlte nicht viel zu seinem physischen Ende. Die letzten fünf Jahre kam er in der Küche eines Berliner Freundes unter.

Gerd Umbach ist, wie der Münchner Kunsthistoriker und Galerist Richard Hiepe vergangenes Jahr in der Zeitschrift „tendenzen“ schrieb, „kein verwendbarer Künstler“ Er ist „einer von den gut 60 Prozent aller Künstler, von denen man in der Künstlerenquete der Bundesregierung und anderen Erhebungen schaudernd liest: die keinen Tausender im Monat verdienen und auf die Leistungen des Ehepartners oder andere Zuwendungen angewiesen sind“. Umbach, ohne alle Zuwendungen und Mittel, ist ein „Arbeitsloser des Kunstmarktes“, für den „sich niemand interessiert“. Oder doch?

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