Eine Heimarbeiterin
Christiane Obermann praktiziert an der Musikhochschule »Hanns Eisler« Gleichstellungspolitik als Nebentätigkeit
Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir suchen uns irgendwo hier im Hause ein Büro oder wir gehen in eine Café.« Da geht es schon los: Eine Frauenbeauftragte einer renommierten Berliner Hochschule, die kein eigenes Büro hat! Die Frauenbeauftragte heißt Christiane Obermann, und die Hochschule ist keine geringere als die international anerkannte Musikhochschule »Hanns Eisler«.
Es findet sich ein Büro in der Verwaltungsetage, direkt unter dem Dach des historischen Gebäudes am Gendarmenmarkt, genau gegenüber vom Berliner Schauspielhaus. Ebenfalls ein renommiertes Haus, das Musiker und Künstler aus aller Welt anzieht. Ein Ort, der verpflichtet. Auch die Funktion als Gleichstellungsbeauftragte ruft zur Pflicht auf: Christiane Obermann hat mit dafür Sorge zu tragen, dass die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern - Studierenden, Lehrkräften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - gewährleistet wird. Eine Funktion, die viele Tätigkeiten einschließt: reden, schreiben, debattieren, treffen, organisieren. Und kämpfen. Gegen Bürokratie, überholte Ansichten, Engstirnigkeit, für gleiche Rechte für Frauen, die heute auch an Hochschulen mit dem Image der Kultur- und Weltoffenheit nicht in jedem Fall gegeben sind. Und das alles ohne Büro, ohne Computer, ohne Telefon.
Christiane Obermann ist nebenberufliche Gleichstellungsbeauftragte. Anders als an den großen Universitäten und Institutionen im öffentlichen Dienst können sich kleine Hochschulen wie »Hanns Eisler« keine hauptberufliche Frauenbeauftragte leisten. Eigentlich ist Christiane Obermann Musikerin und unterrichtet an der Hochschule Klavier. Und das mit Leib und Seele. Seit 20 Jahren. Seitdem begleitet sie Studentinnen und Studenten vom ersten bis zum letzten Semester, bejubelt Erfolge und trocknet auch mal Tränen. Sie kennt Alltag und Probleme von Lehrkräften wie auch von Studierenden genau. Auch sie hat hier ihr Diplom »eingespielt«. Seit fünf Jahren ist sie Frauenbeauftragte, kürzlich wurde sie im Amt das zweite Mal bestätigt.
Die Sicht auf das so genannte Gendermainstreaming musste erst geschärft werden. Viele Männer und Frauen in künstlerischen Berufen sind der Meinung, dass es keinen allzu großen Unterschied gibt zwischen den Chancen beider Geschlechter. Auch wollen Musikerinnen und Künstlerinnen in erster Linie wegen ihres Könnens anerkannt werden. Doch noch immer ist der Blick der zumeist männlichen Gutachter zunächst auf Geschlechtsgenossen gerichtet, wenn es gilt, eine Auswahl zu treffen. Ob bei Professuren, Vortragsreihen, Gastdozenturen. »Viele Männer meinen das gar nicht böse, sie merken es einfach nicht. Weil ihr Blick noch nie anders war«, sagt Christiane Obermann. Als Frauenbeauftragte sitzt sie in vielen Auswahlkommissionen. Hin und wieder kommt es vor, dass von denjenigen, zwischen denen eine Wahl beispielsweise für eine Professur getroffen werden soll, keine einzige Frau ist. Es gebe keine auf diesem Gebiet, ist meist die Antwort, die Christiane Obermann auf ihre Nachfrage bekommt. Das kann gar nicht sein, zweifelt sie. Einmal als Musikerin und einmal als Gleichstellungsbeauftragte. Meist recherchiert sie, und manchmal kommt es vor, dass sie Namen von Frauen präsentiert, auch aus dem Ausland, die genau auf die Stelle passen würden. Entweder als Professorin, Unterrichtende oder Studierende.
»Aber es ist keineswegs so, dass das Merkmal "Frau" ausreicht, um von mir empfohlen oder gefördert zu werden. Zuallererst zählt das Können«, räumt Christiane Obermann ein. Dennoch klafft eine Lücke: Zwar beträgt der Frauenanteil an der Musikhochschule 53 Prozent, 47 Prozent davon sind Musikschaffende. Auch sind die Frauen im künstlerischen »Mittelbau« und in Bereichen wie Verwaltung, Bibliothek und Technik mit 60 bzw. 80 Prozent übermäßig stark vertreten. Aber allein der Blick zu den C3-Professuren offenbart ein anderes Bild: Lediglich drei Prozent Frauen sind dort zu finden. Und in den vergangenen zwei Jahren haben sich die Auswahlkommissionen bei den Einstellungen zu C3 und C4 für keine einzige Frau entschieden.
Christiane Obermann versucht die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern auch herzustellen, indem sie die musikalischen Männerdomänen wie Bläser, Komposition und Jazzpiano weiblich verstärken will. So ist es u.a. ihr zu verdanken, dass in den Fachabteilungen »Blasinstrumente, Schlagzeug, Dirigieren« und »Medienmusik« neuerdings zwei Gastprofessorinnen arbeiten. Es sind die beiden ersten Frauen in diesen Bereichen an der Hochschule überhaupt. Auch im Fach »Solokorrepetition« wurde jüngst eine Frau eingestellt
Seit 1995 erhält die Hochschule als staatliche Bildungseinrichtung des Landes Berlin Fördermittel für Professuren sowie Mittel aus dem Berliner Programm zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre. Diese Fonds sind speziell für Frauen konzipiert. Je nach Dauer der Lehrtätigkeit werden bei »Hanns Eisler« jährlich ein bis drei Frauen über diese staatlichen Richtlinien gefördert. Christiane Obermann: »Doch leider tragen nicht alle Frauen, denen diese Förderinstrumente zugute kommen, die Erfolge nach außen. Manche ernten die Früchte, bekennen sich aber später nicht dazu.« Vermutlich ist es ihnen unangenehm, mit Hilfe eines Frauenförderprogramms in eine Position gekommen zu sein, die sie auch gern ohne Hilfe von außen erklommen hätte. Obermanns Kollegin, die Frauenbeauftragte der Hochschule der Künste, Sigrid Haase, bezeichnete dies einmal ironischerweise als einen »Vorteil«, den Gleichstellungsbeauftragte »genießen«: »Wir fördern Frauen, die die Frauenfördermaßnahmen als Ergebnis der Frauenbewegung nutzen und sich dann von ihr distanzieren.«
Ein anderes Feld der Arbeit von Christiane Obermann sind die Probleme der Studentinnen. Solange sie noch ihr Instrument oder ihre Stimme schulen, fallen geringere Chancengleichheit oder schlechtere Startbedingungen im Beruf noch nicht all zu stark ins Gewicht. »Aber sobald Kinder kommen oder sich - wie auch immer geartet - die Frage stellt, Privat- und Berufsleben zu vereinbaren, wird es meist schwierig«, sagt die Mutter zweier inzwischen erwachsener Söhne, die früher auch mit verschiedenen Trios und Orchestern gespielt hat. »In Workshops versuche ich den Studentinnen zu verdeutlichen, wie das Berufsleben einer Musikerin aussehen kann. Aber ich sage auch immer deutlich, wenn eine etwas will, dann könnte sie es schaffen.«
Ist Christiane Obermann eine Feministin? Diese Frage sei schwer zu beantworten, sagt die 52-Jährige. Je länger sie im Amt sei, desto mehr wisse und desto kritischer werde sie. Für ihre Tätigkeit besuchte sie weder eine Universität noch einen Fortbildungskurs. Learning by doing. »Frauenbeauftragte sind ein Instrument zur Herstellung von Chancengleichheit von Frauen und Männern. Es muss sie so lange geben, so lange nicht bei allen Menschen der Blick geschärft ist für die mangelnde Gleichheit«, lautet ihr Credo.
Wie lange Christiane Obermann ihr Amt noch ausführen möchte, weiß sie nicht. Aber: »Irgendwann sollte auch mal eine andere ran.« Ob diese dann ein Zimmer, einen Computer und ein Telefon bekommen wird, bleibt allerdings auch fraglich. Die finanziellen und technischen Mittel sind begrenzt. Bespricht Christiane Obermann mit Studentinnen oder Lehrkräften Probleme, gehen die Frauen meist ins Café. Oder Christiane Obermann wird zu Hause angerufen. Den Großteil der Arbeit erledigt sie ohnehin zu Hause am Schreibtisch. Eine strikte Trennung von Privat- und Berufsleben findet nicht statt. So ist sie jederzeit erreichbar, auch abends und am Wochenende. »Das ist das Los einer Gleic...
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