Wer Hindenburg streicht, vergisst Manteuffel!

Reichspräsident soll Ehrenbürger bleiben, Bersarin soll es werden- fordert Walter Momper

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Der erste sowjetische Stadtkommandant Berlins, Nikolai Bersarin, erhält die Ehrenbürgerwürde zurück. Das versicherte Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) am Dienstagabend bei einem Vortrag in der Urania. Dazu gebe es einen gültigen Beschluss des Abgeordnetenhauses, bestätigte der SPD-Politiker. Diesen Beschluss werde der Senat umsetzen. Wann, vermochte Momper allerdings nicht zu sagen. Er sei schließlich nicht Mitglied des Senats. Im März oder April kommt zumindest die Bersarin-Ausstellung des Museums Karlshorst ins Abgeordnetenhaus. Das kündigte Momper an, der vor 47 Zuhörern über Ehrenbürger Berlins sprach. Als Grund für die Entfernung Bersarins aus der Ehrenbürgerliste im Jahre 1992 sei genannt worden, dass dieser Militär, Kommunist und Stalinist gewesen sei, so Momper. Was jedoch erwarte man anderes von einem General der Roten Armee, wollte er wissen. Diese Frage stellte er auch in Bezug auf die behauptete Verantwortung Bersarins für tausende Tote bei der Besetzung des Baltikums durch die Sowjetunion 1941. Inzwischen sei die Unschuld Bersarins erwiesen. Momper erwartet weitere Diskussionen. Als der einstige Stadtkommandant 1992 durch eine Aktion in der Sommerpause von der Ehrenbürgerliste verschwand, vermisste Gesine Lötzsch Debatten. Diese habe es erst zwei Jahre später gegeben, als die Bersarinstraße umbenannt werden sollte, so die PDS-Bundestagsabgeordnete. Zu würdigen sei, wie der Stadtkommandant gegen Plündern, Vergewaltigen und Brandschatzen vorging, meinte Momper und erinnerte an einen Befehl vom Mai 1945, in dem Bersarin einen Patrouillendienst anordnete. Eine Kopie davon trug der Steglitzer Gert Porsche mit sich. Porsche kennt das kriegszerstörte Berlin aus seinen Kindertagen und lobte deshalb die »außergewöhnliche Leistung« des Generals, die Stadt wieder auf die Beine zu bringen. Kurt Wernicke vom Luisenstädtischen Bildungsverein gab zu bedenken, dass die Ehrenbürgerwürde ursprünglich eine sozialpolitische Maßnahme war. Das normale Bürgerrecht musste mit 30 Talern erkauft werden. Insofern mache eine postume Verleihung keinen Sinn. Trotzdem will Wernicke, dass der lange nach seinem Tod von Ostberlin zum Ehrenbürger gemachte Bersarin diese Ehre zurück erhält. Momper plädiert dafür, die 1813 eingeführte Ehrenbürgerliste als historisches Dokument zu werten, auf dem sich auch »superböse Konservative« und »Despoten« finden. Man sollte nicht nach den heutigen Maßstäben beurteilen, wer auf die Liste gehöre. Nicht zu dulden seien lediglich schlimme »Mörder und Menschenschinder«. Hitler, Göring, Goebbels und Frick seien allerdings 1948 »eher zufällig« entfernt worden. Die Liberalen forderten damals in Westberlin die Streichung des späteren DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck, Ehrenbürger seit 1946. Die SPD stimmte zu, verlangte laut Momper jedoch die gleichzeitige Streichung der Nazis. Aus seiner Sicht verteidigte Momper den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gegen die Grünen. Sie hatten beantragt, den Steigbügelhalter Hitlers zu streichen. Aus der PDS-Fraktion signalisierte man Unterstützung. Der Kulturausschuss tagt am 13. Januar. Hindenburg steht aber nicht auf der Tagesordnung. Der Feldherr im Ersten Weltkrieg sei ein stockkonservativer »Monarchist reinsten Wassers« gewesen, räumte Momper ein. Als Reichspräsident habe er sich jedoch loyaler als erwartet zur Weimarer Republik verhalten. Die Machtergreifung Hitlers sei durch den Greis »kaum noch zu verhindern gewesen«. Wenn überhaupt jemandem ein Vorwurf zu machen sei, dann der KPD, behauptete Momper. Diese habe mehrfach Ernst Thälmann aufgestellt, anstatt einen Kandidaten des demokratischen Lagers zu unterstützen. Wer Hindenburg streiche, müsse auch andere streichen, wie zum Beispiel Zar Nikolaus I., der die polnische Freiheitsbewegung niederschlug, Heinrich von Kamptz, Eugen von Puttkammer, Graf von Brandenburg, Otto von Manteuffel und Generalfeldmarschall von Wrangel- Momper zufolge Schnüffler, finstere Reaktionäre und Schlächter der 48er-Revolutionäre. Auf diese Idee werde aber hoffentlich niemand kommen. Echt ehrenbürgerwürdig und ein »Vorbild« für SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin sei dagegen der Kämmerer Heinrich Falckenberg (1771-1845), der Stadtschulden abbaute. Schuldenfrei war man leider erst nach 50 Jahren.

Wir sind käuflich.

Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.

- Anzeige -
- Anzeige -