Stören Männer im Kreißsaal?

Diskussion nach Unfall im Kreiskrankenhaus Reutlingen neu entfacht

  • Martin Höxtermann
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Sind Väter im Kreißsaal überflüssig? Ein dramatischer Unfall im Kreiskrankenhaus von Reutlingen (Baden-Württemberg), bei der ein Mann bei der Geburt seines eigenen Kindes ohnmächtig wurde und so unglücklich stürzte, dass er wenige Tage später starb, könnte jenen Recht geben, die werdende Väter als Geburtshindernis betrachten und zurück zur Rollenverteilung früherer Zeiten wollen.

Der tragische Unfall in Reutlingen eignete sich am 28. Dezember. Der 35-jährige Industriemechaniker habe der Geburt seines Kindes beiwohnen wollen und sei während der Entbindung in Ohnmacht gefallen, berichtete der Leitende Oberstaatsanwalt von Reutlingen, Hans Ellinger, am Mittwoch. Beim Sturz habe er sich vermutlich einen Schädelbruch zugezogen. Obwohl er sofort »operativ umsorgt« wurde, erlag er drei Tage später seinen Verletzungen. Die Verwandten werfen den Ärzten unzureichende Behandlung vor und haben einen Anwalt eingeschaltet. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft und hat die Obduktion der Leiche veranlasst. »Ein Sachverständiger wird nun die Todesursache untersuchen«, sagte Ellinger. Der Reutlinger Unfall könnte Wasser auf den Mühlen jener sein, die seit langem werdende Väter aus den Kreißsälen verbannen wollen. Immerhin sind heute in Deutschland neun von zehn Männern dabei, wenn ihre Kinder auf die Welt kommen. Eine Entwicklung, die jedoch nicht von allen begrüßt wird. So macht beispielsweise der französische Geburtsmediziner Michel Odent, der Vater der »sanften Geburt« und »Swimmingpool-Geburt«, der in seiner 48-jährigen Berufspraxis bei mehr als 15000 Geburten geholfen hat, Front gegen Väter im Kreißsaal. Der Geburtsvorgang sei ein »urzeitlicher Akt«, bei der sich die Frau »ganz fallen lassen« müsse. Die Anwesenheit eines ängstlichen Vaters störe ihren mentalen Zustand, glaubt Odent. Indem er ständig rationale Fragen stelle, stimuliere er den intellektuellen Teil ihres Gehirns und unterbreche damit den natürlichen Geburtsvorgang. Frauen bräuchten die Freiheit zu schreien, ohne dass ihr Männer gleich fürchten, sie lägen im Sterben. »Es ist besser für die Frau, wenn ihr eine andere Frau beisteht, die selbst schon Mutter ist«, so Odent. Der 71-jährige Geburtsexperte meint sogar, dass die steigende Zahl von Kaiserschnitten auf die Anwesenheit der Väter zurückzuführen sei. Weil die Schmerzen der Partnerin für den zuschauenden Mann oft unerträglich seien, dränge er häufig auf ein stärkeres Eingreifen der Ärzte oder auf einen Kaiserschnitt. Eine Position, die von Boulevardblättern wie »Bild« gern aufgriffen wird, das Geburten wieder zur »reinen Frauensache« erklärt. Ausführlich werden in dem Springerblatt Psychologen zitiert, die davor warnen, dass das Geburtserlebnis bei Männern »Impotenz« auslösen könne. Wenig halten jedoch Hebammen von derlei Stimmungsmache gegen geburtsengagierte Väter. »Männer leisten im Kreißsaal wertvolle Dienste und sind deshalb unverzichtbar«, meint etwa Ina Schneider, Hebamme im Freiburger Geburtshaus »Lichtblick«. Die meisten Väter wissen sehr gut, wie sie mithelfen und beruhigen können, bestätigt auch Uta Ehrmann, Hebamme im Freiburger Josephskrankenhaus. Dort können Männer auch nach der Geburt dabei sein, wenn das Neugeborene gebadet, gewogen und gemessen wird. Wichtig allerdings ist, dass die künftigen Väter bereits an den Vorgesprächen teilnehmen und sich von Anfang an mitverantwortlich fühlen, betonen die Hebammen. So würden im »Lichtblick« von sieben Geburtsvorbereitungskursen vier mit dem Partner stattfinden. Nur der ahnungslose Mann gerate in Panik und verhalte sich so, wie es Odent beschreibt. »Dann wirkt er oft befremdet, wenn er urplötzlich mit einer schreienden Frau konfrontiert wird«, berichten die Hebammen. Man dürfe nicht zur Rollenverteilung der siebziger Jahre zurückzukehren und Geburten wieder zur reinen Frauensache erklären, kommentiert der Bund Deutsche Hebammen die durch Odent ausgelöste Diskussion. »Männer, die emotional und sozial auf Schwangerschaft, Geburt und Vaterschaft vorbereitet sind, reduzieren auch medizinische und technische Interventionen während der Entbindung«, sagte Pressesprecherin Edith Wolber. Deshalb dürften sich Männer nicht zurückziehen, sondern sollt...

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