Das Wunder der Mutter Teresa
Der »Engel der Armen von Kalkutta« wird nicht nur in Indien weiter verehrt
Mutter Teresa, vor etwas mehr als fünf Jahren gestorben, liefert in Indien auch nach ihrem Tode Gesprächsstoff.
Im vergangenen Jahr hatte das Wochenmagazin »Outlook« von seinen Lesern wissen wollen, wen sie als größte Persönlichkeit Indiens nach Erlangen der Unabhängigkeit betrachten. Mahatma Gandhi hatte die Redaktion allerdings absichtlich nicht in die Kandidatenliste aufgenommen. Sein Sieg hätte außer Zweifel gestanden. Doch neben Jawaharlal Nehru und seiner Tochter Indira Gandhi, neben den Politikern Sardar Patel, Bimrao Ambedkar und dem gegenwärtigen Premier Atal Bihari Vajpayee, neben prominenten Industriellen wie J. R. D. Tata und Dhirubhai Ambani oder dem Sportstar Sachin Tendulkar fand sich auch Mutter Teresa zur Auswahl. Und was kaum jemand erwartet hatte: Der »Engel der Armen von Kalkutta« belegte vor Nehru und Patel den ersten Platz. Weithin wurde das als Wunder bewertet, denn die langjährige Leiterin des Ordens »Missionare der Nächstenliebe« stammte aus Albanien. Trotzdem hat man sie als Einheimische akzeptiert. An einem zweiten mit Mutter Teresa verknüpften Wunder ist auch der Vatikan höchst interessiert. Er braucht es, damit Agnes Bojaxhiu, so der bürgerliche Name der Nonne, zur Heiligen erklärt werden kann. Papst Johannes Paul II. hat den Prozess der Kanonisierung abgekürzt, weil er von den »heroischen Tugenden« der Frau und davon überzeugt ist, dass ihre Arbeit in den Slums von Kalkutta sie »in der ganzen Welt zu einem Emblem christlicher Nächstenliebe« gemacht hat. Dass Ende 2002 Auszüge aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen publik gemacht wurden, die völlig unerwartete Seiten von Mutter Teresa offenbarten, irritierte den Papst nicht. In ihren von 1958 stammenden Aufzeichnungen äußerte sie Glaubenszweifel. Jedenfalls wurde die sonst übliche fünfjährige Wartezeit nach dem Tode eines Anwärters auf Heiligsprechung bei Mutter Teresa auf ein Jahr reduziert. Aber auf das Wunder konnte der Heilige Stuhl nicht verzichten. Das geschah dann auch pünktlich am 5. September 1998, dem ersten Todestag der Mutter, die im Alter von 87 Jahren gestorben war. Die 30-jährige, an einem Unterleibstumor und schwerer Tuberkulose leidende Bengalin Monica Besra behauptete, das Auflegen eines mit dem Abbild Mutter Teresas verzierten Medaillons auf ihren Unterleib habe sie in unerklärlich kurzer Zeit von ihren Erkrankungen befreit. Ein Arzt namens Bhattacharya bestätigte, dass es für die Heilung keine medizinische Erklärung gebe, man also von einem Wunder sprechen könne. Indiens Rationalisten-Vereinigung meldete ernste Zweifel an. Sie hatte angeblich herausgefunden, dass Monica Besra über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Krankenhäusern behandelt worden war, was schließlich ihre Heilung bewirkte. Auch Selku Murmu, der Gatte der »Wunderpatientin«, meldete sich zu Wort: »Meine Frau war von den Ärzten und nicht durch irgendein Mirakel geheilt worden.« Die mit Wundern befasste Kongregation des Vatikans und ihr nahe stehende Ärzte blieben jedoch bei der Wunder-Version. Deshalb entschied der Papst kurz vor Weihnachten, dass die Seligsprechung - notwendige Vorstufe zur Heiligsprechung - der Nonne 2003 erfolgen wird, wohl im Frühjahr. Für die Heiligsprechung muss allerdings noch ein zweites Wunder beschafft werden. Das wirkliche Wunder der Mutter Teresa - das meint man nicht nur in Indien - ist indes ihr Lebenswerk: Hingabe und Fürsorge, Trost und Beistand für die Ärmsten der Armen, für Ausgestoßene, Sterbende, für Behinderte, Waisen und Witwen, für AIDS- und Leprakranke, für Obdachlose, Drogenabhängige und Alkoholsüchtige, ein Netzwerk der Nächstenliebe mit mobilen Kliniken, Ambulanzen und Hospitälern auf allen Kontinenten. Dieses Werk setzen Tausende Ordensschwestern und -brüder überall in der Welt fort - egal ob...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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