»Tami oder Frau Dietrich verschenkt ein Collier«

Die schwarze Seite einer Diva in einem Theaterstück

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Wahre Schauspielkunst ist selten. Wo sie sich zeigt, reißt sie die Mauer zwischen »falschen« und »echten« Gefühlen ein, lässt Unsichtbares Gestalt annehmen, durchdringt Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Margarete Steinhäuser ist so eine Ausnahmedarstellerin. Vier Stühle, ein Hut und ein Bademantel genügen ihr, um vier Menschen und deren tragische Verstrickung darzustellen - und den Mythos Marlene Dietrich empfindlich anzukratzen. Regisseur Peter Wittig hat ein Stück verfasst, das sich einem eher unrühmlichen Kapitel im Leben des Weltstars widmet. »Tami oder Frau Dietrich verschenkt ein Collier« handelt von der Russin Tamara Matul, die sich vor der Oktoberrevolution nach Paris geflüchtet hatte. Dort lernte sie die Dietrich kennen und begleitete sie in die USA. Jahrzehnte litt sie unter der Liebe zu Marlenes Mann, Rudolf Sieber, den die Diva nach der Geburt ihrer Tochter aus dem Schlafzimmer verbannt hatte. Der beruflich Erfolglose ließ seinen Frust an Tami aus; auch durfte sie, um Gerüchte zu vermeiden, kein Kind von ihm bekommen und ließ etliche Abtreibungen über sich ergehen - eine Tortur, an der sie schließlich zerbrach. Sie starb einsam im Irrenhaus. Dietrichs Tochter Maria Riva widmete Tami ihr Buch und holte sie so aus der Vergessenheit. Wittig hat Fakten und Fiktion zu einem emotionsgeladenen Stück zusammengesetzt, das tief in seelische Abgründe blickt. Die Sympathie gehört Tami, die ihrer großen Liebe alles opfert und doch keinen Trost findet: »Geliebter bei Nacht, Peiniger bei Tag.« Sie gerät am tiefsten in den Strudel der gegenseitigen Abhängigkeiten und driftet ab in eine Albtraumwelt, in der ihre abgetriebenen Kinder sie anklagen. Ihre Selbstanklage gipfelt in dem Schrei »Ich bin eine Mörderin!« In der Dietrich sieht die Inszenierung die wahre Schuldige. »Ich habe meinem Mann ein russisches Spielzeug besorgt. Jetzt ist es kaputt«, bilanziert sie kalt. Die preußische Soldatentochter ist stolz auf ihre Disziplin und ihren Fleiß, da bleibt kein Raum für Schwäche. Wittig zeigt eine egoistische, gnadenlose Frau, die allein für ihr Image lebt. Nur in der Erinnerung an den Geliebten Jean Gabin darf sie Gefühle zeigen. Getragen wird das Stück von der fantastischen Margarete Steinhäuser, die wie ein Chamäleon von einer Rolle in die andere schlüpft. Meisterhaft, wie sie mit dem Bademantel zugleich die Rolle der Tami abstreift und zur stolzen Marlene wird. Zieht sie den Bademantel über, verändern sich Mimik, Gestik, Stimme, wird aus dem Weltstar die gequälte Kreatur. Eine dramatische Charakterstudie, die bis an die Grenzen des Erträglichen geht.
31.1.-2.2., 20 Uhr, theaterforum Kreuzberg, Eisenbahnstr. 21, Tel. 61108933.
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