Wegen des Vorwurfs, Drogenabhängigen Gelegenheit zum Rauschgifthandel verschafft zu haben, stehen seit heute Drogenberater, Beamte und sogar der Ex-Polizeipräsident Bielefelds vor Gericht.
Absurd« nennen viele Mitarbeiter in Drogenberatungsstellen die Vorwürfe gegen Piet Schuin und Michael Wiese. Die beiden Geschäftsführer des Bielefelder Drogenhilfezentrums und einer ihrer Mitarbeiter stehen seit heute vor dem Bielefelder Landgericht. Mitangeklagt in dem Prozess in Sachen Betäubungsmittelgesetz sind auch Polizisten und der ehemaliger Bielefelder Polizeipräsident Horst Kruse sowie zwei leitende Polizeidirektoren.
Die Beamten hätten, so die Anklage, die Weitergabe von Informationen über Rauschgiftdealer an die Staatsanwaltschaft unterbunden und ihre Kollegen am Vorgehen gegen drogensüchtige Prostituierte gehindert: Strafvereitelung im Amt, Beihilfe zur verbotenen Prostitution und Verfolgung Unschuldiger. Dieser Unschuldige sei ein Polizist gewesen, der gegen angebliche Dealer auf dem Gelände der Drogenhilfe vorgehen wollte. Kruse habe ihn deshalb mit einem Disziplinarverfahren überzogen und in eine andere Abteilung versetzt.
»Die Drogenberater stehen mit einem Fuß im Gefängnis«, befürchtet angesichts des Bielefelder Strafprozesses nicht nur Reiner Bathen vom Arbeitsausschuss Drogen und Sucht der Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen. Bathen leitet im westfälischen Hamm ein Drogenhilfezentrum, in dem die Abhängigen ähnlich wie in Bielefeld preiswertes Essen bekommen, duschen und ihre Sachen waschen können sowie Ansprechpartner für ihre Probleme finden. Zu festen Terminen bieten Ärzte in den Einrichtungen der Drogenhilfe Sprechstunden an und die Mitarbeiter geben sterile Spritzen aus, an denen sich niemand mit Aids infizieren kann.
Mit solchen »niedrigschwelligen« Angeboten, die die Abhängigen ohne großen Aufwand anonym nutzen können, wollen die Drogenberater vor allem die Süchtigen erreichen, die anderen Anlaufstellen misstrauen. Weil viele Drogenkranke auf der Straße leben und nicht mehr in Beratungsstellen kommen, haben immer mehr Städte und Gemeinden niedrigschwellige Anlaufstellen eingerichtet. Bundesweit sind es nach Angaben des Fachverbands Drogen und Rauschmittel etwa 170.
In Frankfurt am Main, Hamburg und mehreren nordrhein-westfälischen Städten gibt es inzwischen nach niederländischem und Schweizer Vorbild außerdem »Fixerstuben«, in denen die Abhängigen unter Aufsicht mit sterilen Spritzen Heroin konsumieren dürfen. In Nordrhein-Westfalen müssen die Betreiber dazu Ordnungspartnerschaften mit der Stadtverwaltung, der Polizei und der Staatsanwaltschaft nachweisen. Darin wird unter anderem festgelegt, wer unter welchen Bedingungen die Fixerstuben nutzen darf. In Bielefeld hat die selbe Staatsanwaltschaft, die die Drogenberater und Polizisten anklagt, eine solche Ordnungspartnerschaft im vergangenen Dezember unterschrieben.
»Man kann nicht niedrigschwellig mit Abhängigen arbeiten wollen und ihnen den Konsum ihrer Drogen verbieten«, weiß der Sprecher des Fachverbands Drogen und Rauschmittel, Jost Leune aus Hannover. Die Abhängigkeit von harten Drogen sei »eine Krankheit, die man nicht mit kriminalistischen Mitteln bekämpfen kann«. Die AIDS-Hilfe Bielefeld e.V. und der Dachverband der Deutschen AIDS-Hilfen sehen bei einer Verurteilung der Angeklagten die gesamte, sehr erfolgreich arbeitende niedrigschwellige Drogenhilfe in Deutschland und damit einen zentralen Baustein der Überlebenshilfe und Gesundheitsfürsorge für Drogengebraucher in Gefahr. Auch Reiner Bathen sieht die niedrigschwellige Arbeit mit Drogenabhängigen gefährdet, wenn seine Bielefelder Kollegen verurteilt werden. Schon jetzt muss das Drogenhilfezentrum Hamm Hilfesuchende abweisen, wenn das Kontakt-Café zu voll wird. Statt früher 60 bis 70 lassen die Sozialarbeiter nur noch höchstens 40 Klienten gleichzeitig in die Einrichtung. Nur so könne man alle im Blick haben und Kleinhandel mit Drogen unterbinden.
Tatsächlich arbeiten die Sozialarbeiter in den Kontaktstellen für Drogenabhängige immer am Rande des Erlaubten. Kontrollieren sie zu streng und melden Rauschgiftkonsumenten der Polizei, bleiben die Klienten weg. Sehen sie über Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz hinweg, riskieren sie Prozesse wie in Bielefeld. Der angeklagte Piet Schuin findet die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft »absurd«. Er fragt, welches Interesse die Mitarbeiter einer Drogenhilfeeinrichtung daran haben könnten, dass in ihren Räumen Rauschgift gehandelt und konsumiert wird? Allein 1999 hätten er und seine Kollegen rund 1200 Hausverbote wegen Dealerei verhängt. Klarheit kann nur ein Gesetz bringen, das die Befugnisse der Drogenhilfe klar festlegt. Darauf hat sich der Düsseldorfer Landtag bisher noch nicht geeinigt.
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