Plädoyer für den Dialog

Feindbild Islam - drei Kritiken auf einen Streich

  • Heinz-Dieter Winter
  • Lesedauer: 3 Min.
Bereits nach dem Golfkrieg von 1991 veröffentlichten Jochen Hippler und Andrea Lueg mit einer Reihe namhafter Islamexperten ein bemerkenswertes Buch gegen das im Westen nach wie vor präsente Feindbild Islam. Ihre Kritik bedeutet keinesfalls, dass sie negative Zustände und Entwicklungen im Nahen Osten rechtfertigen oder »unter den Teppich des kulturell Andersartigen« kehren wollen. Aber gerade Feindbilder verhindern, dass »eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Unterdrückung, Frauenverachtung, Menschenrechtsverletzungen stattfinden kann«. Die Autoren weisen nach, wie die ideologische Instrumentalisierung und Verfälschung der Religion des Islam durch Islamisten für politische Zwecke bis hin zum Terrorismus einiger extremistischer Gruppen westliches Feindbilddenken fördern. Der westlichen Politik wiederum machen sie zum Vorwurf, allzu oft darüber hinwegzusehen, dass der Islamismus seine »Ursache in den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Erfahrungen von Menschen im Nahen und Mittleren Osten« hat. Für die Ziele ihres »Krieges gegen den Terrorismus«, das Streben nach den Energiequellen Zentralasiens und Hegemonie in den internationalen Beziehungen, nutzen die USA religiösen Fanatismus aus. Die Autoren würdigen die Anstrengungen in den letzten Jahren, die auf einen »Dialog der Kulturen« zielten, um gegenseitiges Feindbilddenken zurückzudrängen. Doch leider gingen diese bisher ins Leere, nicht zuletzt wegen des Bestehens eines krassen Machtungleichgewichtes »in der politischen, ökonomischen und militärischen Realität«. Ausgesprochen schwierig sei es, »zwischen Mächtigen und Machtlosen einen gleichgewichtigen Dialog zu führen«. Trotzdem appellieren die Autoren eindringlich, »den Dialog mit der islamisch geprägten Welt endlich seriös zu führen«. Dazu bedarf es der Fähigkeit des Zuhörens sowie kritischer Selbstreflexion. Das sei vielleicht »jetzt die letzte Chance für lange Zeit«, betonen die Verfasser. Ein Vorbild für offen-ehrliche Annäherung und Auseinandersetzung lebte die kürzlich verstorbene »Grande Dame der Islamkunde«, Annemarie Schimmel, vor. Durch ihr Wirken und ihr ca. 100 Bücher umfassendes Werk hat sie einen unschätzbaren Beitrag für den Dialog der Kulturen geleistet, was denn auch 1995 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt worden war. Felizitas von Schönborn hat ihre Gespräche mit Annemarie Schimmel als »Spiegelungen des Islam« aufgezeichnet. Ihrem Motto »Brückenschlagen« verpflichtet, hoffte Annemarie Schimmel, dass »durch den Versuch, das Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen zu verbessern, auf lange Sicht etwas eminent Politisches entsteht«. Das in jüngster Zeit sprunghaft angestiegene Interesse am Islam zu befriedigen, ist Anliegen des Leipziger Islamwissenschaftlers Holger Preißler. Er lässt »Stimmen des Islam« zu Wort kommen, zitiert Muslime, die die Vielfalt und die wichtigsten Strömungen des modernen Islam repräsentieren. In seinem Buch geht es um Religion und um Fragen des Alltags, auch von Muslimen in Deutschland, um Kultur und Politik, einschließlich der Djihad- und Terrorismusproblematik, bis hin zu Positionen islamischer Rechtsgelehrter zu neuen wissenschaftlichen Bestrebungen, wie z.B. dem Klonen. Da sich in dem Buch auch Äußerungen bekannter Islamisten befinden, wäre eine klare begriffliche Trennung zwischen Islam und Islamismus als ideologische Instrumentalisierung der Religion zweckmäßig gewesen. Der Autor geht davon aus, dass die unterschiedlichen Tendenzen des Islam sich vielgestaltig fortsetzen werden. Diese müssten in ihrer Dynamik, Differenzierung und Widersprüchlichkeit wahrgenommen werden. Es bleibt mit Holger Preißler zu hoffen, dass der Islam nicht mehr als Gefahr oder Sicherheitsproblem wahrgenommen wird. Denn nur dann, so der Autor, könnte es gelingen, dessen »inneren Reichtum und seine Bereitschaft zum Gespräch, zum Zusammenleben besser zu begreifen und bei gemeinsamen Aufgaben zum Tragen zu bringen« - und, so sei hinzugefügt, den Frieden zu bewahren.
Jochen Hippler/Andrea Lueg (Hg.): Feindbild Islam oder Dialog der Kulturen. Konkret Literaturverlag, Hamburg 2002. 238S., br., 17 Euro. Annemarie Schimmel: Spiegelungen des Islam. Die Grande Dame der Orientalistik im Gespräch mit Felizitas von Schönborn. Quintessenz Verlag, Berlin 2002. 224S., geb., 16,80 Euro. Holger Preißler: Stimmen des Islam zwischen Toleranz und Fundamentalismus. Militzke Verlag, Leipzig 2002. 188S., geb., 14,80 Euro.
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