Endlich packt »Grigori« aus

Das Neueste aus der Stasi-Horror-Schau - und niemand fragt nach

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein wilde Stasi-Horror-Geschichte geistert seit Tagen durch eine nicht ganz kleine Berliner Tageszeitung und verdrängte sogar den drohenden Irak-Krieg oder die Berlinale von den Spitzenplätzen. Andere Zeitungen ziehen nach, Agenturen tragen die Story in die Breite.
Ein Wanja Götz hat sich zu Wort gemeldet und sein geheimstes Wissen preisgegeben. Und er weiß Grauenhaftes über den verflossenen DDR-Geheimdienst zu berichten: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR habe mit Kinderpornografie einflussreiche Persönlichkeiten in Westeuropa erpresst, weiß Götz. »Zu den Erpressten gehören Politiker, Richter und Industrielle, von denen einige nach wie vor Einfluss in den westlichen Demokratien haben.« Die Kinder dafür habe sich der DDR-Geheimdienst aus Heimen geholt. Eidesstattlich erklärte er dies gegenüber besagter Zeitung, die als Mottenpost schon so manch faules Ei ausbrütete. Und dann gleich der nächste Hieb: Auch der belgische Kinderschänder Marc Dutroux habe zeitweise im Auftrag der Stasi gearbeitet, hat die Zeitung herausgefunden. Die geheimen Dinge seien deshalb so geheim, weil nur der amerikanische Geheimdienst CIA die Stasi-Akten kennt - und Götz, müsste hinzugefügt werden, denn der weiß offensichtlich mehr, als alle Geheimdienste zusammen.
Der Mann Götz bezeichnet sich selbst als Verbindungsoffizier zwischen MfS und dem sowjetischen Geheimdienst KGB mit Decknamen »Grigori«. Und keiner fragt nach. Was ist das für einer, der sein Wissen über miese Straftaten 13 Jahre lang versteckt gehalten und somit Täter gedeckt hat?
Im Zentrum der Enthüllungen: Rainer Wolf, Vater des 1993 verschwundenen 12-jährigen Manuel Schadewald. So will »Grigori« erfahren haben, dass Wolf, nachdem er in den Westen gegangen war, im Auftrag der Auslandsspionage des MfS Westeuropäer mit Kinderpornografie erpresst habe. Was bedeutet es schon, wenn der Vater selbst erklärt, er sei nie für das MfS als Profi-Unterwelts-Pornograf tätig gewesen und habe auch sonst nichts mit dem DDR-Geheimdienst am Hut gehabt.
Und noch eine Frage sei gestattet: Wenn also die Stasi einflussreiche Persönlichkeiten mit Kinderpornografie erpresst haben soll, dann müsste es doch einflussreiche Persönlichkeiten gegeben haben oder noch geben, die Kinderpornografie betreiben. Sind die kriminellen Kinderschänder nun die Opfer der Stasi? Verkehrte Welt.
Keine Beachtung hingegen findet in besagter Zeitung oder bei den anderen Medien eine Pressemitteilung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 10. Februar: »Aufgrund vielfacher Anfragen teile ich mit: Berichterstattung "Kinderpornographie: Stasi erpresste Politiker" ist mit MfS-Unterlagen nicht zu belegen. Mehrere Zeitungen und Agenturen berichteten heute unter Berufung auf einen Wanja Götz, das MfS habe westliche Politiker und einflussreiche Persönlichkeiten mit Kinderpornographie erpresst. Dazu wird Bezug genommen auf Rainer Wolf, den Vater des noch immer vermissten Manuel S. Zudem wird ein Zusammenhang mit dem belgischen Fall Dutroux konstruiert. Die Bundesbeauftragte weist darauf hin, dass derartige Vermutungen nicht aus ihrem Hause stammen und ihr auch keinerlei Erkenntnisse vorliegen, die solche Behauptungen stützen.«
Die Behörde dürfte außerhalb des Verdachtes stehen, von der Stasi gekauft worden zu sein.
Auch beim Landeskriminalamt steht man den eidesstattlichen Erklärungen des Herrn »Grigori« skeptisch gegenüber. Was bringen Erklärungen ohne die Spur eines Beweises? Es werden nach Aussagen des LKA Zusammenhänge konstruiert, die so nicht existieren. Da wird vermengt, vermischt, um der Angelegenheit eine ganz bestimmte Richtung zu geben. So ist der Fall des 1994 missbrauchten und ermordeten, damals 8-jährigen Daniel Bayer aus Prenzlauer Berg aufgeklärt, ein Beweis für einen Zusammenhang mit anderen Fällen gibt es nicht. Dennoch ermittelt die Polizei in alle Richtungen, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Und man werde auch die Erklärung von »Grigori« gründlich prüfen.
Alle vier in der bewussten Zeitung aufgeführten Fälle von ermordeten oder verschwundenen Berliner Jungen stammen aus den Jahren 1993 und 1997. Also aus einer Zeit, wo das MfS schon lange Geschichte war. Doch das stört die Story-Schreiber wenig, Hauptsache, man hat wieder einmal die Haut zum Gänseln gebracht. Das entscheidende für die Macher der Story ist das Gerücht, die Spekulation und Denunziation. Was macht es schon, wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt.
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