Parteichef von Stalins Gnaden

Der Thälmann-Skandal - Einblicke in eine Geheimkorrespondenz

Im September 1928 wurde Ernst Thälmann seines Amtes als Vorsitzender des ZK der KPD enthoben. Begründung: Er habe um die Unterschlagung von Parteigeldern durch seinen Freund, den Parteisekretär des Bezirks Wasserkante, John Wittorf, gewusst und verschwiegen. Zwei Wochen später ist Thälmann wieder inthronisiert - dank persönlicher Intervention Stalins.

Der damals von vielen Genossen als empörend empfundene, in der Thälmann-Hagiographie der DDR glattgebügelte Skandal ist bekannt, doch können erst jetzt in Moskau gefundene Dokumente präsentiert werden. Die Historiker Hermann Weber und Bernhard H. Bayerlein veröffentlichen demnächst bei Aufbau die geheime Korrespondenz, in die hier Einblick geboten wird.

Ossip Pjatnitzki: Telegramm an Nikolai Bucharin und Jossif Stalin
28.9.1928
Am 27. September haben TASS und die »Prawda« von ihren Korrespondenten im Klartext folgende überraschende Meldung erhalten: Das ZK der KPD hat am 26. September den Beschluß gefaßt, die Geheimhaltung der Vorgänge um den Politsekretär der Bezirksleitung Wasserkante (Wittorf) gegenüber den leitenden Parteiinstanzen durch Thälmann aufs schärfste zu mißbilligen. Thälmann hatte versucht, die Angelegenheit des Politsekretärs und Mitglieds des ZK, Wittorf, der Parteigelder unterschlagen hat, unter Umgehung der Parteiinstanzen zu liquidieren. Da die Vorgänge um Wittorf die Partei schwer schädigen, hält das ZK Thälmanns Verhalten für einen politischen Fehler.
Auf seinen eigenen Antrag wird diese Angelegenheit dem EKKI überwiesen, bis zu ihrer Erledigung ruhen die Funktionen Thälmanns. Der Beschluß wurde offenbar in der »Roten Fahne« veröffentlicht. Wir haben gestern gefordert, uns unverzüglich über diese Angelegenheit zu informieren. Noch am gleichen Tage traf die Nachricht ein, daß Dengel, Eberlein, Remmele und Ewert nach Moskau kommen. Sobald sie hier sind und die Sache geklärt ist, werden wir Sie informieren...
(Unterschrift) Pjatnitzki

Jossif Stalin: Chiffretelegramm an Wjatscheslaw Molotow
Tuapse, 1.10.1928
Thälmanns Schuld wird dadurch gemildert, daß sein Fehler uneigennützig und von dem Wunsch diktiert war, dem Hamburger Sekretär die Möglichkeit zu geben, sich ohne Skandal zu korrigieren. Da ich nicht alle Materialien kenne, äußere ich nur eine vorläufige Meinung, die sich bei Prüfung aller Tatsachen nach meiner Ankunft in Moskau ändern kann. Erstens, Thälmann hat einen groben Fehler begangen, als er das Vergehen des Hamburger Sekretärs dem ZK vorenthielt, wofür er mit dem bekannten Beschluß des ZK seine Strafe erhalten hat. Zweitens, die Veröffentlichung des Beschlusses, noch dazu ohne Wissen der KI, ist ein feindseliger Akt gegen die Partei und die KI, die nur den Kapitalisten und der Sozialdemokratie nützt. Dieser Akt ist vom hochgradigen Fraktionsgeist Ewerts und Gerharts diktiert, die die Interessen ihrer Fraktion über die Interessen der Partei und der KI gestellt haben. Für ihre Schuld sehe ich keinerlei mildernde Umstände. Ewert und Gerhart (d.i. Gerhart Eisler) müssen aus dem ZK ausgeschlossen und aus Deutschland abberufen werden. Stalin.
1.10.28, 3.00 Uhr
Station Tuapse

Robert (d.i. Karl Volk) und Otto Unger: Erklärung, vorgelegt in der Sekretariatssitzung des ZK der KPD
Berlin, vermutlich 6.10.1928
In der heutigen Sekretariatssitzung wurde in der Aussprache zu der vom Polbüro beschlossenen Veröffentlichung der Erklärung der 25 Genossen des Z.K., in welcher sie ihre Zustimmung zum Beschluss des Z.K. vom 26. Sept. zurückziehen, von den Genossen Robert und Unger folgende schriftliche Erklärung abgegeben:
Erklärung.
1.) Die heutige Veröffentlichung des Pol-Büros ist ein Vorgang, wie er sich in der Geschichte der K.P.D. noch nicht ereignet hat.
Der einstimmige Beschluß des Z.K. wird unter fadenscheinigen und unwahren Behauptungen über den Haufen geworfen.
Das im Z.K. einstimmig angenommene Ergebnis der Untersuchung der zentralen Revisionskommission wird annulliert. Anscheinend bekennt sich die Mehrheit des Z.K. zur Verteidigung der »Verheimlichung von Unterschlagungen«, der Verteidigung des »Bruches der Parteidisziplin«, der »schweren Schädigung der Parteiinteressen.« (Siehe Resolution des Z.K.-Plenums vom 26.9.)
2.) Diese Veröffentlichung einiger Genossen, die unter dem Namen des Polbüros erfolgt, bedeutet einen furchtbaren Schlag gegen die Partei, setzt die Partei vor den Arbeitermassen herab, gibt der Sozialdemokratie Waffen zum Angriff gegen die Kommunisten, muß in den breiten Parteimassen die Autorität des Zentralkomitees und der Bezirksleitung untergraben, muß Stimmungen auslösen, die jede praktische Arbeit schachmatt setzen.
3.) Die Veröffentlichung sprengt die Parteidisziplin. Woran sollen sich die Parteimitglieder halten, an die einstimmigen Beschlüsse der Plenar-Tagung des Z.K. oder an die persönlichen Erklärungen der Mehrheit der Genossen des Zentralkomitees? Sie macht die Zurückstellung der Diskussion unmöglich. Sie zerreißt die Einmütigkeit der Parteiorganisation. Sie zerschlägt die Parteifront zum Volksbegehren.
4.) Wir lehnen jede Verantwortung für die Zustimmung des Sekretariats der B.L. zu dieser Erklärung ab. Wir haben trotz zahlreicher Vorbehalte bisher die Beschlüsse des Z.K. bedingungslos in der Parteimitgliedschaft vertreten. Diese Veröffentlichung zu vertreten, erklären wir uns außerstande, denn sie widerspricht den Grundprinzipien der revolutionären Bewegung zur bedingungslosen Verteidigung der Reinheit der Partei.
gez. Robert
O. Unger.

Jossif Stalin an Ernst Thälmann
Moskau, 15.10.1928
Teurer Genosse Thälmann. Zuerst war es für uns sehr schwer zu verstehen, auf welche Weise neunzig Prozent der Mitglieder des Z.K., die nicht zu den Rechten und Versöhnlern gerechnet werden können, einen Beschluß fassen konnten, und ihn veröffentlichen, der faktisch die Diskreditierung der Führung der KPD und vor allem des Gen. Thälmann bedeutete.
Der Brief des Genossen Ulbricht wirft Licht auf diese Angelegenheit. Im Briefe des Genossen Ulbricht vom 6. Oktober d. J., in dem er schildert, wie schwer es ihm war, die Mitglieder des ZK zu überzeugen, ihre Abstimmung im Z.K. am 26. September d. J. im Bezug auf Gen. Thälmann rückgängig zu machen, wird eine Resolution angeführt, die von denjenigen Mitgliedern angenommen wurde, die ihre Abstimmung zurückgezogen hatten. Dort heisst es: »In Anbetracht des Verhaltens des Genossen Thälmann in der Hamburger Angelegenheit ziehen die Unterzeichnenden die Schlußfolgerung, daß es notwendig sein wird, Garantien zu schaffen zu einer kollektiven Mitarbeit in der Zukunft.«
Diese Resolution zeigt auf diejenige Unzufriedenheit, die vorhanden ist bei einigen Mitgliedern des ZK im Bezug auf die Arbeitsmethoden der leitenden Organe der K.P. Deutschlands. Wahrscheinlich gingen einige Mitglieder des Z.K., die man nicht Rechte oder Versöhnler nennen kann, davon aus, daß keine Kollegialität in der Führung vorhanden war. Es ist sehr möglich, daß eben eine solche Überzeugung oder Meinung sie in die Hände der Rechten gestoßen hatte. Ich bin der Ansicht, daß man aus dieser Sachlage die Lehre ziehen muß. Um in der Zukunft eventuelle Mißverständnisse zu vermeiden, ist es notwendig, die Arbeitsmethoden in den leitenden Organe so zu ändern, dass es in der Zukunft keine Beschwerde zum Fehlen der Kollegialität geben wird.
Ich rate Ihnen, persöhnlich an der Arbeit des Sekretariats und Polbureaus tätig und ständig teilnehmen. Es ist notwendig den ideologischen Kampf gegen die Rechten und Versöhnler zu verstärken, besonders in den Bezirken, wo ganze lokale Organisationen oder ein bedeutender Teil der Mitglieder hinter ihnen stehen.
Ich drücke fest Ihre Hand und wünsche Ihnen allseitige Erfolge
Ihr I. Stalin

Walter Ulbricht: Brief an Pjatnitzki für das Sekretariat des EKKI
Berlin, 3.11.1928
Lieber Genosse, beiliegend übermittele ich die bisherigen Abstimmungsergebnisse in Berlin. Dabei ist zu beachten, daß in einigen Fällen frühere Linke sich der Stimme enthielten.
Mit gleicher Post erhält das Sekretariat des EKKI die Kopie eines Aufsatzes... Die Lage hat sich hier insofern etwas verschärft, als die Versöhnler durch ihre Erklärung in der Sitzung des Zentralkomitees offen den Kampf angesagt haben. Das bedeutet, daß sie noch mehr als bisher sich als Wegbereiter der Rechten bestätigen. Die Folgen einer solchen Taktik zeigen sich gegenwärtig klar in Leipzig und Halle. In diesen beiden Gebieten, wo die Versöhnler den Apparat in Händen haben, ist der Kampf gegen die Rechten am schwierigsten, weil Rechte und Versöhnler gemeinsam gegen den Beschluß des EKKI Stellung nehmen... In Thüringen und Breslau entwickeln sich die Verhältnisse günstig...
In Ergänzung meiner Bemerkung im letzten Brief mache ich besonders darauf aufmerksam, daß der Genosse Wilhelm Pieck vollständig die Politik des EKKI und des Polbüro unterstützt und seit meinem letzten Brief ohne Vorbehalt gegen die Rechten und Versöhnler kämpft. Ich nehme an, daß Du die Erklärung des Genossen Pieck in der letzten Gesamt-Bezirksleitungs-Sitzung Berlin-Brandenburg gelesen hast. Pieck will einen Brief an Klara Zetkin schreiben.
Mit kommunistischem Gruß
Ulbricht.

Ernst Thälmann: Brief an Jossif Stalin (Auszug)
Berlin, 7. 11. 1928
Verehrter Gen. Stalin. Einige Zeilen zur Orientierung in der innerparteilichen und allgemeinen Lage. Im nächsten Brief werde ich einen ausführlicheren Bericht geben, als ich es jetzt kann...
Unsere Einwilligung, daß Gen. Ulbricht in der nächsten Zeit abreist, ist noch nicht realisiert, da wir eine große politische und innerparteiliche Arbeit durchführen müssen. Wenn jedoch die Anwesenheit eines deutschen Vertreters im Politsekretariat des EKKI unbedingt notwendig ist und wenn es wünschenswert ist, daß am Plenum des ZK der KPdSU(B) ein deutscher Vertreter teilnimmt, dann bitte ich das dringend telegraphisch mitzuteilen. Wir denken, daß Ulbricht die Möglichkeit hat, Anfang Dezember zu reisen. Richard und Freund waren auf der Reichsparteiarbeiterkonferenz und haben von dort einen sehr guten Eindruck mitgenommen. Die Mängel und Lücken in der allgemeinen Diskussion, in der zu viel über den innerparteilichen Kurs und zu wenig über die politischen Aufgaben gesprochen wurde, sind verständlich, wenn man die gegenwärtige allgemeine Situation in der Partei im Auge hat. Richard war selbst im Ruhrgebiet und hat dort einen sehr guten Eindruck erhalten und er hat dort verstanden, warum die Parteimitglieder sich so scharf gegen die rechte Gruppe gewandt haben, gegen die rechten Positionen und gegen die versöhnlerischen Tendenzen in der Partei. Noch heute Abend fahre ich mit zwei anderen Genossen ins Ruhrgebiet, untersuche dort vor Ort die Kampfsituation, arbeite Sonderinstruktionen für die Konferenz am Freitag aus, lege die Linie des Aufrufs fest, der dort angenommen werden soll und spreche mit verantwortlichen Parteiarbeitern des Ruhrgebietes über die allgemeine Unterstützung in Deutschland. Jetzt ist keine Zeit, von weiteren Fragen zu berichten. Ich schließe und äußere mich zu dem Spezialbrief in meinem nächsten Brief.
Ich drücke Ihnen die Hand, Ihr
(Unterschrift mit Bleistift) Teddy

Dmitri Manuilski: Brief an Ossip Pjatnitzki
14.12.1928, Streng geheim
Deinen letzten Brief habe ich erhalten (im Moment liegt er mir nicht vor, daher gebe ich das Datum später an). Ich schreibe diesen Brief auf der Sitzung des Plenums des ZK, daher bin ich sehr in Eile, heute Nacht fahre ich zur Tagung des Schweizer ZK und zu den Italienern. Wenn ich zurück bin, schreibe ich ausführlicher. Jetzt einige Worte zu den deutschen Angelegenheiten:
1) Zu Trawin. Ich habe mit Thälmann und Remmele über deinen Vorschlag gesprochen. Sie sind voll einverstanden, daß Trawin kommt und sich besonders mit den deutschen Dingen befaßt, daher wäre es gut, wenn Trawin bald ausreisen könnte.
2) Zu Neumann, Heinz. Ich war nicht dafür, daß Neumann nach Deutschland reist. Meine Meinung ist, es wäre besser, wenn er lernen würde. Wenn nun die deutsche Partei ihn aber gegen meine Meinung, deine, die von Bucharin und anderen Genossen zurückberufen hat, halte ich es doch nicht für richtig, daß er jetzt fährt. Man kann nicht mit einer Partei alle zwei, drei Monate Turnübungen machen. Die Parteien müssen in Ruhe arbeiten können. Neumanns Rückberufung wird von den Brandler- und Ewert-Leuten als ein Abgehen von dem Kurs benutzt werden, der auf dem 6. Weltkongreß und danach in den Beschlüssen des EKKI zur Hamburger Angelegenheit eingeschlagen wurde. Weshalb die Partei noch einmal in Unruhe versetzen? In der russischen Delegation auf dem 6. Kongreß habe ich versucht, die Position der Mehrheit der deutschen Genossen in der Ewert-Frage zu mildern. Jedem, der die deutschen Dinge auch nur ein wenig kennt, war klar, daß diese Position der Mehrheit Komplikationen auslöst, zur Entfernung einiger Genossen aus der obersten Führung und aus den unteren Organisationen führt, von denen die Mehrheit zu den Spartakisten gehört hat. Es gibt ein französisches Sprichwort: »Le vin tiré - il faut le boire...«
Herman Weber/Bernhard H. Bayerlein: Der Thälmann-Skandal. Aufbau Verlag, erscheint Ende Februar, 22,50.

Der damals von vielen Genossen als empörend empfundene, in der Thälmann-Hagiographie der DDR glattgebügelte Skandal ist bekannt, doch können erst jetzt in Moskau gefundene Dokumente präsentiert werden. Die Historiker Hermann Weber und Bernhard H. Bayerlein veröffentlichen demnächst bei Aufbau die geheime Korrespondenz, in die hier Einblick geboten wird.

Ossip Pjatnitzki: Telegramm an Nikolai Bucharin und Jossif Stalin
28.9.1928
Am 27. September haben TASS und die »Prawda« von ihren Korrespondenten im Klartext folgende überraschende Meldung erhalten: Das ZK der KPD hat am 26. September den Beschluß gefaßt, die Geheimhaltung der Vorgänge um den Politsekretär der Bezirksleitung Wasserkante (Wittorf) gegenüber den leitenden Parteiinstanzen durch Thälmann aufs schärfste zu mißbilligen. Thälmann hatte versucht, die Angelegenheit des Politsekretärs und Mitglieds des ZK, Wittorf, der Parteigelder unterschlagen hat, unter Umgehung der Parteiinstanzen zu liquidieren. Da die Vorgänge um Wittorf die Partei schwer schädigen, hält das ZK Thälmanns Verhalten für einen politischen Fehler.
Auf seinen eigenen Antrag wird diese Angelegenheit dem EKKI überwiesen, bis zu ihrer Erledigung ruhen die Funktionen Thälmanns. Der Beschluß wurde offenbar in der »Roten Fahne« veröffentlicht. Wir haben gestern gefordert, uns unverzüglich über diese Angelegenheit zu informieren. Noch am gleichen Tage traf die Nachricht ein, daß Dengel, Eberlein, Remmele und Ewert nach Moskau kommen. Sobald sie hier sind und die Sache geklärt ist, werden wir Sie informieren...
(Unterschrift) Pjatnitzki

Jossif Stalin: Chiffretelegramm an Wjatscheslaw Molotow
Tuapse, 1.10.1928
Thälmanns Schuld wird dadurch gemildert, daß sein Fehler uneigennützig und von dem Wunsch diktiert war, dem Hamburger Sekretär die Möglichkeit zu geben, sich ohne Skandal zu korrigieren. Da ich nicht alle Materialien kenne, äußere ich nur eine vorläufige Meinung, die sich bei Prüfung aller Tatsachen nach meiner Ankunft in Moskau ändern kann. Erstens, Thälmann hat einen groben Fehler begangen, als er das Vergehen des Hamburger Sekretärs dem ZK vorenthielt, wofür er mit dem bekannten Beschluß des ZK seine Strafe erhalten hat. Zweitens, die Veröffentlichung des Beschlusses, noch dazu ohne Wissen der KI, ist ein feindseliger Akt gegen die Partei und die KI, die nur den Kapitalisten und der Sozialdemokratie nützt. Dieser Akt ist vom hochgradigen Fraktionsgeist Ewerts und Gerharts diktiert, die die Interessen ihrer Fraktion über die Interessen der Partei und der KI gestellt haben. Für ihre Schuld sehe ich keinerlei mildernde Umstände. Ewert und Gerhart (d.i. Gerhart Eisler) müssen aus dem ZK ausgeschlossen und aus Deutschland abberufen werden. Stalin.
1.10.28, 3.00 Uhr
Station Tuapse

Robert (d.i. Karl Volk) und Otto Unger: Erklärung, vorgelegt in der Sekretariatssitzung des ZK der KPD
Berlin, vermutlich 6.10.1928
In der heutigen Sekretariatssitzung wurde in der Aussprache zu der vom Polbüro beschlossenen Veröffentlichung der Erklärung der 25 Genossen des Z.K., in welcher sie ihre Zustimmung zum Beschluss des Z.K. vom 26. Sept. zurückziehen, von den Genossen Robert und Unger folgende schriftliche Erklärung abgegeben:
Erklärung.
1.) Die heutige Veröffentlichung des Pol-Büros ist ein Vorgang, wie er sich in der Geschichte der K.P.D. noch nicht ereignet hat.
Der einstimmige Beschluß des Z.K. wird unter fadenscheinigen und unwahren Behauptungen über den Haufen geworfen.
Das im Z.K. einstimmig angenommene Ergebnis der Untersuchung der zentralen Revisionskommission wird annulliert. Anscheinend bekennt sich die Mehrheit des Z.K. zur Verteidigung der »Verheimlichung von Unterschlagungen«, der Verteidigung des »Bruches der Parteidisziplin«, der »schweren Schädigung der Parteiinteressen.« (Siehe Resolution des Z.K.-Plenums vom 26.9.)
2.) Diese Veröffentlichung einiger Genossen, die unter dem Namen des Polbüros erfolgt, bedeutet einen furchtbaren Schlag gegen die Partei, setzt die Partei vor den Arbeitermassen herab, gibt der Sozialdemokratie Waffen zum Angriff gegen die Kommunisten, muß in den breiten Parteimassen die Autorität des Zentralkomitees und der Bezirksleitung untergraben, muß Stimmungen auslösen, die jede praktische Arbeit schachmatt setzen.
3.) Die Veröffentlichung sprengt die Parteidisziplin. Woran sollen sich die Parteimitglieder halten, an die einstimmigen Beschlüsse der Plenar-Tagung des Z.K. oder an die persönlichen Erklärungen der Mehrheit der Genossen des Zentralkomitees? Sie macht die Zurückstellung der Diskussion unmöglich. Sie zerreißt die Einmütigkeit der Parteiorganisation. Sie zerschlägt die Parteifront zum Volksbegehren.
4.) Wir lehnen jede Verantwortung für die Zustimmung des Sekretariats der B.L. zu dieser Erklärung ab. Wir haben trotz zahlreicher Vorbehalte bisher die Beschlüsse des Z.K. bedingungslos in der Parteimitgliedschaft vertreten. Diese Veröffentlichung zu vertreten, erklären wir uns außerstande, denn sie widerspricht den Grundprinzipien der revolutionären Bewegung zur bedingungslosen Verteidigung der Reinheit der Partei.
gez. Robert
O. Unger.

Jossif Stalin an Ernst Thälmann
Moskau, 15.10.1928
Teurer Genosse Thälmann. Zuerst war es für uns sehr schwer zu verstehen, auf welche Weise neunzig Prozent der Mitglieder des Z.K., die nicht zu den Rechten und Versöhnlern gerechnet werden können, einen Beschluß fassen konnten, und ihn veröffentlichen, der faktisch die Diskreditierung der Führung der KPD und vor allem des Gen. Thälmann bedeutete.
Der Brief des Genossen Ulbricht wirft Licht auf diese Angelegenheit. Im Briefe des Genossen Ulbricht vom 6. Oktober d. J., in dem er schildert, wie schwer es ihm war, die Mitglieder des ZK zu überzeugen, ihre Abstimmung im Z.K. am 26. September d. J. im Bezug auf Gen. Thälmann rückgängig zu machen, wird eine Resolution angeführt, die von denjenigen Mitgliedern angenommen wurde, die ihre Abstimmung zurückgezogen hatten. Dort heisst es: »In Anbetracht des Verhaltens des Genossen Thälmann in der Hamburger Angelegenheit ziehen die Unterzeichnenden die Schlußfolgerung, daß es notwendig sein wird, Garantien zu schaffen zu einer kollektiven Mitarbeit in der Zukunft.«
Diese Resolution zeigt auf diejenige Unzufriedenheit, die vorhanden ist bei einigen Mitgliedern des ZK im Bezug auf die Arbeitsmethoden der leitenden Organe der K.P. Deutschlands. Wahrscheinlich gingen einige Mitglieder des Z.K., die man nicht Rechte oder Versöhnler nennen kann, davon aus, daß keine Kollegialität in der Führung vorhanden war. Es ist sehr möglich, daß eben eine solche Überzeugung oder Meinung sie in die Hände der Rechten gestoßen hatte. Ich bin der Ansicht, daß man aus dieser Sachlage die Lehre ziehen muß. Um in der Zukunft eventuelle Mißverständnisse zu vermeiden, ist es notwendig, die Arbeitsmethoden in den leitenden Organe so zu ändern, dass es in der Zukunft keine Beschwerde zum Fehlen der Kollegialität geben wird.
Ich rate Ihnen, persöhnlich an der Arbeit des Sekretariats und Polbureaus tätig und ständig teilnehmen. Es ist notwendig den ideologischen Kampf gegen die Rechten und Versöhnler zu verstärken, besonders in den Bezirken, wo ganze lokale Organisationen oder ein bedeutender Teil der Mitglieder hinter ihnen stehen.
Ich drücke fest Ihre Hand und wünsche Ihnen allseitige Erfolge
Ihr I. Stalin

Walter Ulbricht: Brief an Pjatnitzki für das Sekretariat des EKKI
Berlin, 3.11.1928
Lieber Genosse, beiliegend übermittele ich die bisherigen Abstimmungsergebnisse in Berlin. Dabei ist zu beachten, daß in einigen Fällen frühere Linke sich der Stimme enthielten.
Mit gleicher Post erhält das Sekretariat des EKKI die Kopie eines Aufsatzes... Die Lage hat sich hier insofern etwas verschärft, als die Versöhnler durch ihre Erklärung in der Sitzung des Zentralkomitees offen den Kampf angesagt haben. Das bedeutet, daß sie noch mehr als bisher sich als Wegbereiter der Rechten bestätigen. Die Folgen einer solchen Taktik zeigen sich gegenwärtig klar in Leipzig und Halle. In diesen beiden Gebieten, wo die Versöhnler den Apparat in Händen haben, ist der Kampf gegen die Rechten am schwierigsten, weil Rechte und Versöhnler gemeinsam gegen den Beschluß des EKKI Stellung nehmen... In Thüringen und Breslau entwickeln sich die Verhältnisse günstig...
In Ergänzung meiner Bemerkung im letzten Brief mache ich besonders darauf aufmerksam, daß der Genosse Wilhelm Pieck vollständig die Politik des EKKI und des Polbüro unterstützt und seit meinem letzten Brief ohne Vorbehalt gegen die Rechten und Versöhnler kämpft. Ich nehme an, daß Du die Erklärung des Genossen Pieck in der letzten Gesamt-Bezirksleitungs-Sitzung Berlin-Brandenburg gelesen hast. Pieck will einen Brief an Klara Zetkin schreiben.
Mit kommunistischem Gruß
Ulbricht.

Ernst Thälmann: Brief an Jossif Stalin (Auszug)
Berlin, 7. 11. 1928
Verehrter Gen. Stalin. Einige Zeilen zur Orientierung in der innerparteilichen und allgemeinen Lage. Im nächsten Brief werde ich einen ausführlicheren Bericht geben, als ich es jetzt kann...
Unsere Einwilligung, daß Gen. Ulbricht in der nächsten Zeit abreist, ist noch nicht realisiert, da wir eine große politische und innerparteiliche Arbeit durchführen müssen. Wenn jedoch die Anwesenheit eines deutschen Vertreters im Politsekretariat des EKKI unbedingt notwendig ist und wenn es wünschenswert ist, daß am Plenum des ZK der KPdSU(B) ein deutscher Vertreter teilnimmt, dann bitte ich das dringend telegraphisch mitzuteilen. Wir denken, daß Ulbricht die Möglichkeit hat, Anfang Dezember zu reisen. Richard und Freund waren auf der Reichsparteiarbeiterkonferenz und haben von dort einen sehr guten Eindruck mitgenommen. Die Mängel und Lücken in der allgemeinen Diskussion, in der zu viel über den innerparteilichen Kurs und zu wenig über die politischen Aufgaben gesprochen wurde, sind verständlich, wenn man die gegenwärtige allgemeine Situation in der Partei im Auge hat. Richard war selbst im Ruhrgebiet und hat dort einen sehr guten Eindruck erhalten und er hat dort verstanden, warum die Parteimitglieder sich so scharf gegen die rechte Gruppe gewandt haben, gegen die rechten Positionen und gegen die versöhnlerischen Tendenzen in der Partei. Noch heute Abend fahre ich mit zwei anderen Genossen ins Ruhrgebiet, untersuche dort vor Ort die Kampfsituation, arbeite Sonderinstruktionen für die Konferenz am Freitag aus, lege die Linie des Aufrufs fest, der dort angenommen werden soll und spreche mit verantwortlichen Parteiarbeitern des Ruhrgebietes über die allgemeine Unterstützung in Deutschland. Jetzt ist keine Zeit, von weiteren Fragen zu berichten. Ich schließe und äußere mich zu dem Spezialbrief in meinem nächsten Brief.
Ich drücke Ihnen die Hand, Ihr
(Unterschrift mit Bleistift) Teddy

Dmitri Manuilski: Brief an Ossip Pjatnitzki
14.12.1928, Streng geheim
Deinen letzten Brief habe ich erhalten (im Moment liegt er mir nicht vor, daher gebe ich das Datum später an). Ich schreibe diesen Brief auf der Sitzung des Plenums des ZK, daher bin ich sehr in Eile, heute Nacht fahre ich zur Tagung des Schweizer ZK und zu den Italienern. Wenn ich zurück bin, schreibe ich ausführlicher. Jetzt einige Worte zu den deutschen Angelegenheiten:
1) Zu Trawin. Ich habe mit Thälmann und Remmele über deinen Vorschlag gesprochen. Sie sind voll einverstanden, daß Trawin kommt und sich besonders mit den deutschen Dingen befaßt, daher wäre es gut, wenn Trawin bald ausreisen könnte.
2) Zu Neumann, Heinz. Ich war nicht dafür, daß Neumann nach Deutschland reist. Meine Meinung ist, es wäre besser, wenn er lernen würde. Wenn nun die deutsche Partei ihn aber gegen meine Meinung, deine, die von Bucharin und anderen Genossen zurückberufen hat, halte ich es doch nicht für richtig, daß er jetzt fährt. Man kann nicht mit einer Partei alle zwei, drei Monate Turnübungen machen. Die Parteien müssen in Ruhe arbeiten können. Neumanns Rückberufung wird von den Brandler- und Ewert-Leuten als ein Abgehen von dem Kurs benutzt werden, der auf dem 6. Weltkongreß und danach in den Beschlüssen des EKKI zur Hamburger Angelegenheit eingeschlagen wurde. Weshalb die Partei noch einmal in Unruhe versetzen? In der russischen Delegation auf dem 6. Kongreß habe ich versucht, die Position der Mehrheit der deutschen Genossen in der Ewert-Frage zu mildern. Jedem, der die deutschen Dinge auch nur ein wenig kennt, war klar, daß diese Position der Mehrheit Komplikationen auslöst, zur Entfernung einiger Genossen aus der obersten Führung und aus den unteren Organisationen führt, von denen die Mehrheit zu den Spartakisten gehört hat. Es gibt ein französisches Sprichwort: »Le vin tiré - il faut le boire...«
Herman Weber/Bernhard H. Bayerlein: Der Thälmann-Skandal. Aufbau Verlag, erscheint Ende Februar, 22,50.


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