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Treuhand-Gebaren brachten Tausende auf die Palme

  • Lesedauer: 4 Min.

ND-Foto: Joachim Fiequth

PDS-Mitglieder und Sympathisantinnen protestierten vor dem Treuhandgebäude am Alexanderplatz

Böiger Wind bläst PDS-Mitgliedern, Sympathisantinnen und anderen Linksdenkenden nicht erst seit Sonnabend scharf ins Gesicht. Tausehde hatten sich im Berliner Lustgarten jedoch aus aktuellem Anlaß versammelt. Trotz Regen und Westwind. Die Crash-Politik der Treuhandanstalt im Osten Deutschlands und die jüngste Strafaktion gegen die PDS hatte nicht nur Berliner und Brandenburger auf die Palme gebracht. „Es reicht, Widerstand ist nötig“ - darin waren sich Linke aller Strömungen, Mitglieder aus Friedensbewegungen, Sozialinitiativen, Gewerkschafter und Grüne einig. ,,PDS soll bleiben“ war nicht allein auf dem Schild eines kleinen Steppkes zu lesen. Auf anderen Plakaten wurden schärfere Töne angeschlagen: „Schmutzfinger + Langfinger = Treuhand“, „Kohl lügt - Treuhandbetrügt“.

Aufmerksamkeit erregte nicht nur, daß sich Parteichef Gysi in der Menge mit der Grünen-Aussteigerin Jutta Dithfurt scheinbar unbeschwert von sonstigen Grabenkämpfen,unterhielt, sondern vielmehr, daß die Ökologische Linke eigens ihre Beratungen in Berlin unterbrach, um vollzählig Solidarität mit der sonst heftig kritisierten PDS zu bekunden.

Trotz des bekannt gewordenen Teilrückzugs der Treuhand - die PDS soll nach Klärung und säuberlicher Trennung von Alt- und Neulasten zumindest über Spenden und Beiträge sowie anderes rechtmäßiges Eigentum verfügen können, bis dahin richtet die Treuhand einen Notdienst zur Ausgaben-Beleg-Bestätigung ein - machten die Redner im Lustgarten den Ernst 'der Lage deutlich. Nach dem Entzug billiger Mieten und anderer sozialer Subventionen sei jetzt offenbar ein „Demokratieentzug“ geplant, argwöhnte Ruth Sommerfeld von der brandenburgischen Rentnerinitiative. Sie wertete das Treuhand-Kuratel als Versuch, eine demokratische Partei in die Ecke zu treiben.

„Zur Debatte steht, ob sich Brandenburger Toleranz oder preußischer Polizeistaat durchsetzt“, wandte sich der Branden-

burger Landesvorsitzende, Lothar Bisky an die Kundgebungsteilnehmer. In Potsdam hätten ihm unterdes selbst Mitglieder der Landesregierung ins Ohr geflüstert, daß sie solche Zwangsmaßnahmen nicht gutheißen. Die Zeit sei reif > daß sie dies auch öffentlich machen. Sarkastisch versicherte Bisky: „Wir sind bereit, jede Rolle Klopapier -Abriß für Abriß - abstempeln zu lassen, aber wir sind nicht bereit, unsere Gehirne treuhänderisch verwalten zu lassen.“

Für Bernd Gehrke von der Ökologischen Linken ordnet sich der jüngste Schachzug in die Gesamtpolitik der Treuhand gegen die gesamte Linke ein.

Der Marsch vom Lustgarten über die Karl-Liebknecht-Straße zur

Treuhandzentrale am Alexanderplatz war möglicherweise ein Signal für einen neuen, selbstbewußten Aufbruch der Partei. Mancher blieb argwöhnisch am Straßenrand stehen angesichts der PDS-Fahnen:,, Die gibt's wirklich noch?“, wieder andere winkten und hupten. Der gerade in den Vorruhestand geschickte Gerhard Aurich, kommentierte: „Richtig, daß sie sich wehren. Was mischt sich die Treuhand in Parteiangelegenheiten ein. Die sollte sich lieber um Beschäftigungsgesellschaften für Arbeitslose kümmern.“ Die 24jährige Andrea Müller findet es schlimm, daß die Treuhand versuche, die PDS politisch tot zu machen: „Es geht weniger um's Geld, als darum, die politische Handlungsfähigkeit einzuschränken.“

Mit bissigen Kommentaren, Gelächter und lauten Zwischenrufen beteiligten sich die Umstehenden am Streitgespräch Gregor Gysis mit Treuhand-Direktor Josef Dierdorf. Die Rechtfertigung des Treuhand-Mannes, die Anstalt halte sich lediglich an das von der Volkskammer beschlossene Parteiengesetz, konterte der PDS-Chef: Die darin einst enthaltene Zusicherung, daß die politische Tätigkjit der Parteien durch die treuhänderische Verwaltung ihres Vermögens nicht beeinträchtigt werden dürfe, sei per Einigungsvertrag nicht übernommen worden. Auf Dierdorfs Vorwurf, die PDS sei wenig kooperationsbereit, erwiderte Gysi, daß unabhängige Unternehmensberater gegenwärtig alle Belege prüfen. „Wozu hat unsere Kooperationsbereitschaft bisher ge-

führt, fragen mich mittlerweile nicht wenige Mitglieder. Ihre Antwort: Der Geldhahn wird uns immer mehr zugedreht. Ich werde jetzt alle Genossen bitten, am Montag eine Menschenkette zwischen dem Karl-Liebknecht-Haus und der Treuhand zu bilden, über die wir dann jeden einzelnen Ausgabenbeleg zur Treuhand befördern.“ Das PDS-Angebot, 80 Prozent des Vermögens für gemeinnützige Zwecke in den neuen Ländern zu verwenden, sei zurückgewiesen worden, weil die Treuhand offenbar alles wolle. Der augenblickliche Zustand sei eindeutig rechtswidrig. Gysis Sorge angesichts aktueller Treuhand-Gebaren: „Wer den Wind sät, wird Sturm ernten.“

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