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  • Politik
  • Pflegenotstand in ostdeutschen Kliniken: „Neue Tarife dringend erforderlich“

Berliner Schwestern streikten als erste

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin (ND). Zu ersten Arbeitsniederlegungen im ostdeutschen Gesundheitswesen kam es gestern, als etwa 500 Krankenschwestern der Charite und 300 des Krankenhauses im Friedrichshain in Berlin auf die Straße gingen. Währenddessen war eine Notversorgung der Patienten gesichert. Ebenso prekär ist die Lage in anderen neuen Bundesländern, obwohl hier bisher nicht gestreikt wird. Am Freitag trifft sich Gesundheitsministerin Hasselfeldt in Berlin mit Vertretern der Länder, des Innenministers sowie der Arbeitgeber. Zur gleichen Zeit findet in Bonn ein Gespräch der Tarifparteien statt. Freitag plant die ÖTV eine Protestkundgebung in Berlin.

Das Pflegepersonal der Charite und des Krankenhauses im Friedrichshain machten gestern auf die katastrophale Lage im ostdeutschen Gesundheitswesen aufmerksam NÖ-Foto: Burkhard Lange

In der Charite müssen die Schwestern mit massiven Einbu-ßen rechnen. Die Nichtanerkennung der^Dienstjahre macht sich in Unterschieden bis zu 2000 DM bei älteren Schwestern im Vergleich zur westlichen Entlohnung bemerkbar. Sollten sich nicht schnellstens neue Verhandlungen über die im März abgeschlossenen Tarifverträge ergeben, ist nach Aussagen des Berliner ÖTV-Sekretärs Ernst-Otto Krock ein „Flächenbrand“ zu befürchten. Einen Berliner Alleingang - Diepgen hatte eine Zulage von monatlich 250 DM angeboten - lehnen die meisten Schwestern jedoch ab. Für das Problem Pflegenotstand müsse

eine generelle ostdeutsche Lösung gefunden werden.

„Es brennt in allen Bereichen“, charakterisierte auch Claudia Rühlemarin von der Thüringer ÖTV die Situation. An der Medizinischen Akademie Erfurt mußte bereits eine Station geschlossen werden. Im Urlaub würden sich viele Kollegen nach einer Stellung in den alten Bundesländern umsehen. In Anzeigen wird mit Wohnung, Kindergartenplatz und Anerkennung der Dienstjahre geworben.

Die Thüringer Landesregierung hat inzwischen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die andere tarifliche Regelungen und Sofortmaßnahmen prüfen soll. Der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Ullrich Fickel hatte vor dem Landtag be-

tont, wenn ein Tarif dazu führe, daß die Leute weggingen, müsse der Tarif geändert werden.

Auch in Sachsens Krankenhäusern ist die Lage prekär. Bis jetzt ist es im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt zwar fast gelungen, durch Neueinstellungen die Abgänge zu kompensieren. „Ich befürchte, daß sich nach der Urlaubssaison die Situation dramatisch kompliziert,“ so Personalchef in Monika Püschel. Das Personal der HNO-Klinik will sich, wenn die Forderungen nicht gehört werden, an einem Warnstreik beteiligen. In Dresden-Friedrichstadt haben in den letzten Monaten mehr als 60 Schwestern gekündigt.

„Es ist eine Ungerechtigkeit sondergleichen, wenn nach jahrelanger schwerer Arbeit im Dienste der Menschen das erfahrene Pflegepersonal wie Berufsanfänger behandelt wird“, meint Cornelia Bochmann von der ÖTV in Chemnitz. Auch die Krankenhäuser von Freital und Bautzen teilten mit: Der Abgang von Pflegepersonal hält an. Selbst die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag kam nicht umhin,

sich nun den Protesten gegen die Abwerbung anzuschließen.

In Sachsen-Anhalt richten sich derzeit Zeitungsanzeigen gezielt an Krankenschwestern: Vom Schweizerischen Roten Kreuz wird eine Qualifikation für versiertes Pflegepersonal angeboten. „Während der ' Weiterbildung erhalten Sie ein Gehalt von ca. 3770 Schweizer Franken (4500 DM)“ Der Offerte folgten allein ,aus dem Walter-Friedrich-Krankenhaus in Magdeburg-Olvenstedt seit Anfang Juli vier junge Schwestern.

In der Medizinischen Akademie der Landeshauptstadt, so Oberin Renate Groß, ist zwar noch kein Pflegenotstand verkündet, aber im ersten Halbjahr 1991 haben die Kliniken 110 Pflegekräfte, vorwiegend junge Schwestern, verloren. Ein Drittel wanderte nach gezielter Abwerbung in die Alt-Bundesländer ab.

40 Schwestern haben seit März allein das Schweriner Klinikum verlassen. Das teilte dessen Ärztlicher Direktor, Dr. Dieter Wöstenberg, der Öffentlichkeit mit.

(Seite 7, Interview Seite 3)

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