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Verschwiegen, verdrängt – doch es bleibt eine Wunde

  • WERNER RAHN
  • Lesedauer: 3 Min.

Diese Gemeinschaftsproduktion zweier deutscher Verlage ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Die 15 Geschichten mit ihren stark publizistischen Akzenten bieten harten Stoff zum Nach- und Weiterdenken über das „Vietnam der UdSSR“. Und über den „Krieg als solchen“ als ein am Ausgang des atomaren 20. Jahrhunderts untaugliches Mittel der Politik. Sowjetisches Leid und afghanischer Tod – bei der Lektüre stellt sich eine gedankliche Verbindung her auch zu jenem Krieg im sehr nahen Osten, der vor Monaten per Fernsehen in die noch friedlichen deutschen Wohnzimmer vor unsere (hoffentlich) entsetzten Augen kam.

Außer diesem schrecklichen Aktualitätsbezug ist auch der bisherige Lebensweg des 43jährigen Autors bemerkenswert. Reflektiert er doch am individuellen Schicksal ein Stück Geschichte der Weltmacht Sowjetunion. Rybakow wurde als Nachfahre russischer Emigranten in Frankreich geboren. Drei Jahre nach Stalins Tod kehrten die Eltern mit dem Jungen hoffnungsvoll in ihre Heimat zurück. In der Breshnew-Ära emigrierte Wla-

dimir Rybakow erneut, nachdem er Schlosser gelernt hatte und von 1969-72 als Soldat an der chinesischen Grenze bittere Erfahrungen sammeln mußte. In der von Perestroika und Glasnost geprägten Zeit schreibt sich der jetzt bei Frankfurt am Main lebende Journalist und Schriftsteller von der verwundeten Seele, welche Erlebnisse und Erkenntnisse er seit Kriegsbeginn 1979 von seinen Recherchen in Pakistan, von den illegalen Reportereinsätzen an der Seite afghanischer Mujaheddin mitgebracht hat. Mitgebracht aus einem neunjährigen „Krieg der Lüge“, zu dessen trauriger Bilanz – einer ZDF-Sendung von Peter Scholl-Latour zufolge – rund 20000 gefallene Sowjetsoldaten und etwa 1,5 Millionen tote Afghanen, darunter nicht wenige Frauen und Kinder, gehören.

Über Rybakows „Helden“, den unerfahrenen todgeweihten Kompaniechef Oberleutnant Borisow sowie die Sergeanten Storonkow und Bodrjuk mit ihren Soldaten, erfährt der Leser anschaulich wie, gegen wen, warum, wie opferreich und vor allem wie sinnlos dieser

Wladimir Rybakow: Afganzy. Erzählungen. Aus dem Russischen von Andre Sikojev. Reclam-Verlag Leipzig/Kyrill & Method Verlag München. 154 Seiten, Leinen, 24 DM. Oleg Jermakow: Winter in Afghanistan. Erzählungen. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt und Renate Landa. Verlag Volk und Welt Berlin. 200 Seiten, Leinen man r>M

Idee“ einen sinnlosen Tod zu sterben.

Wie sehr Krieg zum existentiellen Grunderlebnis einer ganzen Generation werden kann, wird auch in den neuen Erzählungen von Oleg Jermakow nacherlebbar. Der Neunundzwanzigj ährige schreibt auch aus eigenem Erleben in Afghanistan gegen die frustrierende Mischung aus unzulässiger Heroisierung und gleichzeitiger Verbannung dieses Krieges aus dem öffentlichen Bewußtsein an. Allerdings sind seine literarischen Schlußfolgerungen vergleichsweise weniger von pädagogisch-propagandistischer, aufklärerischer Mission geprägt. Ihm geht es vor allem um anschauliche, psychologisch tiefgründige Darstellung des Soldatenlebens.

„Feuertaufe“, „Truppenübung 1981“ und die Titelerzählung haben eines gemeinsam: Sie erhellen provokativ die (unsichtbare) innere Struktur militärischer Kollektive. Die neuen „Söhne“ erhalten von den vor der Entlassung stehenden „Opas“ vom ersten Tag an mit den Fäusten die bitteren Wahrheiten des Alltags eingebleut: Feiglinge

sind jene, die sich weigern, einen Gefangenen zu erschießen. Ist auch der Nebenmann mein Feind? Wie lange haben moralische Werte und menschliche Beziehungen im Krieg Bestand?

Den stärksten Eindruck hinterläßt das Schicksal des desillusionierten Prjadilnikow, Afghanistan-Veteran und Journalist. Alptraum und Realität, Bilder von Krieg und Frieden wechseln in der Erzählung scheinbar übergangslos. Auf einem schmalen Grat von Zivilcourage und Resignation hinkend sucht der Heimgekehrte nach dem „gelben Berg“, einem Ort kindlicher Erinnerungen. Mit Sarkasmus und Ironie wehrt er sich gegen Einsamkeit und Verzweiflung, auch gegen die Zensur des Themas Afghanistan in der Presse.

Nach einer Umfrage in der Juni-Ausgabe der „Moscow News“ zum Thema Menschenrechte haben zwei Drittel der Befragten die Stationierung sowjetischer Truppen in Afghanistan als ein Staatsverbrechen bezeichnet. Ein hartes Urteil -Rybakow und Jermakow haben es aus ihrer Sicht literarisch begründet.

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