Loslassen war seine Sache nicht

Der Frankfurter Schriftsteller Hans Joachim Nauschütz ist tot

  • Henry-Martin Klemt
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Hätte er auf mich hören sollen? Als die achtziger Jahre sich neigten, riet ich ihm, was gewöhnlich der Ältere dem Jüngeren rät: Lass doch den ganzen Mist, der nichts mit Literatur zu tun hat, und schreibe. Hans Joachim Nauschütz lächelte mich hilflos an. Ich würde ja gerne, hieß das wohl, aber ich kann doch nicht. Und zwei Jahre später, als ich meinem Parteisekretär das rote Buch hinknallte, sagte er traurig: Aber ich gehe als letzter von Bord. Er ist nicht von Bord gegangen. Loslassen, was er angefasst hatte, war seine Sache nicht. Jetzt ist er tot, und die Lücke ist nicht mehr zu füllen. Ich werde ihn in einer Triade denken: Hans Weber, Gerhard Gröschke, Achim Nauschütz. Der Krebs hat sie gekriegt. Wenn wir mit Nauschütz rotem Wartburg durch das Oderbruch fuhren und hatten gute Laune nach einer heftigen Diskussion mit Lehrern und Schülern, für die der Schriftsteller so etwas war wie ein reitender Bote, und wenn wir dann wieder einmal über die nicht enden wollenden Versuche redeten, uns einen Maulkorb zu verpassen, dann nannte ich Achim auch schon einmal Akimowitsch. In seinem Zimmerchen unter dem Dach in der Bremer Straße hatte er tatsächlich etwas von diesen Russen, die, in den Zeiten der Revolution und in denen des Nachkriegs, mit einem Telefon und ein paar Zetteln Zukunft organisierten. Unspektakulär, aber genau so hartnäckig, wie ihre Überzeugung es ihnen gebot. Die Fäden, an denen Nauschütz zog, verschwanden in einem undurchdringlichen Knäuel. Irgendwo dort drin steckte die Wahrheit. Die der Literatur und die des Lebens. Sie mündete in den Satz: Lasst diese Dichterin endlich in Ruhe! Lasst diesen Dichter in unsere Stadt! Oder: Kaut mir nichts vor mit euren falschen Zähnen! Nauschütz konnte das diplomatischer ausdrücken. Moderater, hätte er gesagt. Denn als Vermittler zwischen »Befindlichkeiten«, zwischen Menschen, Literaturen und Lebenswahrheiten verstand er sich allenthalben. Der 1940 in Strasbourg geborene Lehrer hat seine Wurzeln ins märkische Land versenkt, hat dessen Geschichte aufgesogen und der Historie seiner Familie nachgespürt, hat Widersprüche aufgedeckt in den Biografien von Menschen und hat sie in zahlreichen Büchern vor dem Vergessenwerden bewahrt. Da war er akribisch und nahm Verwaschenheit und Ignoranz in höchstem Maße persönlich. Es hat ihm Feinde gemacht. Aber was wüssten wir - zum Beispiel - vom Frankfurter Kommunisten Max Hannemann, wenn wir angewiesen wären auf die Geschichtsfälscher alter und neuer Provenienz? So neugierig, wie Nauschütz war, so angefüllt war sein Gedächtnis mit Schnurren und Anekdoten, auch der derberen Art. Man konnte nicht Skat spielen mit ihm, ohne irgendwann die Karten beiseite zu legen, weil das Blatt langweiliger war als das Erzählen. Aufheben, weiter geben, das war sein Motor als Essayist und Prosaiker, als Mentor literarischer Talente, als bedächtiger Grenzenverschieber im Interesse von mehr Transparenz, Gestaltungsraum, Öffentlichkeit. Nauschütz brauchte dafür keine Russischvokabeln, die uns zur Unzeit erreichten, heftig zwar, aber zu spät. Das zu ahnen, zu erleben und zu verarbeiten ist Dreierlei. Als Verbands- und Verlagsstrukturen mit der gesellschaftlichen Transformation zusammenbrachen und die historische Deutungshoheit auf die neuen Sieger der Geschichte überging, gehörte Nauschütz zu den Unbelehrbaren. Er wollte sich einfach nicht den Schnuller in den Mund schieben lassen, sondern gründete mit anderen Autoren das deutsch-polnische Literaturbüro, organisierte die Kooperation mit dem Literaturkollegium Brandenburg, wurde zum Herausgeber der Frankfurter Blätter und zum Organisator internationaler Symposien zur Kinder- und Jugendliteratur. Den gesamtdeutschen Muff brach er auf mit Koryphäen aus Polen, Frankreich und Israel, Österreich und der Schweiz. Ausstellungen kamen auf diese Weise zustande, Lesungen, Begegnungen. Nauschütz büffelte das neue Alphabet von ABM bis Zuwendungsbescheid, so gut es sich ihm erschloss. Mit einer Bibliothek brandenburgischer Autoren und einem dem Literaturbüro angeschlossenen Antiquariat bewahrte er die literarische Hinterlassenschaft des untergegangenen Landes vor dem Haldentod. Es hat ihm Feinde gemacht, und die Genossen, die Gefährten wurden rar. Ich glaube, Nauschütz wäre gern angekommen. Aber da war kein Neuland, zu dem es ihn gezogen hätte, und am Ort war er allemal länger als die Zugänge aus dem fünften Glied westelbischer Eliten. Ach, wenn wir ankommen, wird es dort sein, wo Nauschütz jetzt ist. Ich hoff´, es gibt dort...

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