»Ich fühle mich nicht als Opfer«
Jungen Frauen wie der Sängerin Kristin Wieduwilt erscheint Alice Schwarzers Feminismus wie ein Relikt aus vergangener Zeit
Hätte ihr nicht jemand irgendwann vom Feminismus erzählt, sie hätte ihn glattweg verschlafen, gesteht Kristin Wieduwilt. Die 25-jährige Jazz-Sängerin aus Berlin fühlt sich ihren Musikerkollegen wie auch der sonstigen Männerwelt gegenüber nicht benachteiligt. Ist die Enkelinnen-Generation der Frauenbewegung tatsächlich emanzipierter als die ihrer Vorkämpferinnen?
In der Band ist sie die einzige Frau. Kristin Wieduwilt ist ständig von fünf Männern umgeben, von den Musikern der anhaltischen Band »l'arc six«. Die Künstler, die ihre Songs als »Mischung aus Jazz, Klassik und Weltmusik« bezeichnen, proben zusammen, gehen gemeinsam auf Tournee, schreiben und spielen neue Songs nur in vollständiger Besetzung ein. Geballte Männermacht gegen eine zarte Frauenstimme, die als Sängerin nur im Rampenlicht das Sagen hat?»Nein, ich habe mich noch nie benachteiligt gefühlt und werde in alles einbezogen«, sagt die 25-Jährige. Diskriminierung scheint in den Ohren der Musikerin wie eine falsche Note zu klingen. Sie fühlt sich nicht nur in ihrem Metier nicht benachteiligt, sondern generell im Leben.
Vorgearbeitet in Männerdomänen
Als Kind der DDR, mit einer berufstätigen Mutter, hat Kristin Wieduwilt Zurücksetzung allein wegen der Tatsache, ein Mädchen zu sein, weder in der Schule noch in der Ausbildung kennen gelernt. Im Job schon gar nicht. So geht es vielen Frauen der Generation ab 20. In Umfragen gaben sie an, Feminismus und Frauenbewegung spielten in ihrem Leben keine Rolle. Einige gingen sogar noch weiter und sagten, Feminismus würde ihr Leben behindern. »Junge Frauen haben heute viele Möglichkeiten, ihr Glück selbst zu schmieden«, ist sich Kristin Wieduwilt sicher. Und: »Feminismus ist ein Relikt aus den 60er Jahren, heute schreiben wir ein neues Jahrtausend.«
In der Tat: Frauen führen Hotels und Parteien, leiten Wissenschaftsstandorte, operieren Herzen und Gelenke, können Kran fahren, auf der Bühne stehen und Haare frisieren. Sie haben sich in Männerdomänen vorgearbeitet und sind für viele männliche Chefs Konkurrenz. Denn inzwischen weisen Mädchen oft bessere Schulabschlüsse und Studienergebnisse als Jungen vor, sind später generell besser ausgebildet, weil sie sich rundum schulen, und nachweislich die besseren Managerinnen. Was noch in den frühen 80er Jahren im Westen als Ideal galt - die karriereorientierte Powerfrau - begann zu Beginn der 90er Realität zu werden.
Im Osten war das weibliche Leben ohnehin anders geprägt: Da standen Frauen »täglich im Beruf ihren Mann«, wie es so schön hieß. »Das Leben von Frauen sieht heute nicht so schlecht aus wie vor 50 Jahren«, sagt Kristin Wieduwilt. »Vielleicht sind die Ziele von Frauenbewegung und Feminismus längst erreicht?« Dass viele junge Frauen heute ebenso denken, hat Gründe: In der Schule wurden sie kaum anders behandelt als Jungen, auch zu Hause spielten Geschlechterrollen vielfach keine Rolle. Mädchen stehen in Betriebspraktika neben Jungen am Schraubstock und spielen Fußball. Sie finden die IT-Stunden in der Schule wichtig, weil sie wissen, dass die virtuelle Vernetzung die Zukunft bedeutet. »An der Musikhochschule in Weimar, wo ich studiere, und auf der Bühne zählt in erster Linie das Können und nicht, ob ich Frau oder Mann bin«, bestätigt Kristin Wieduwilt.
Die Barrikadenkämpfe von Alice Schwarzer und ihren Schwestern seien ausgekämpft und etwas für Omas, so der unbeschwerte Tenor junger Frauen. Einem Teil der Medien genügte dies, um das Ende der Frauenbewegung auszurufen. Und in der Tat spielt Feminismus heute kaum mehr eine Rolle. Vorbei die Zeit der Massendemos für Abtreibung und gegen Pornographie, Aus für Frauenstreik und Feministische Partei.
Aber ausgefochten ist der Kampf um gleiche Rechte noch lange nicht. Geschlechtsbedingte Benachteiligung findet heute subtiler statt. Manches ist gar wie früher: Frauen verdienen noch immer weniger als Männer. Als Angestellte bis zu 18 Prozent, als Arbeiterinnen sogar bis zu 25 Prozent weniger, bei gleicher Qualifikation und gleicher Tätigkeit. Und oftmals trotz besserer Ausbildungsergebnisse. Die Erwerbsquote von Frauen beträgt derzeit 58 Prozent, rund 40 Prozent der berufstätigen Mütter mit Kindergartenkindern arbeiten Teilzeit. Vollzeit ist noch immer eher Männersache. Erziehungsurlaub nehmen zu 98 Prozent Frauen, in hoch dotierten Chefsesseln sitzen lediglich etwa 10 Prozent Frauen und C3- und C4-Professuren sind nur zu drei Prozent weiblich besetzt. Ihre Inhaberinnen verzichten dafür oft auf Kinder.
Kämpferisches Vokabular ist überholt
»In der Schule empfinden die meisten Mädchen keine Benachteiligung. Geht es aber um einen Ausbildungsplatz, werden die ersten bemerken, dass lieber ein Junge genommen wird. Wenn sie ins Berufsleben einsteigen, wächst der Anteil derer, die einsehen müssen, dass sie von wahrer Gleichberechtigung noch weit entfernt sind. Und spätestens, wenn die jungen Frauen Kinder bekommen, wird die Diskriminierung offensichtlich«, beschwört seit Jahren Christina Schenk, bis zum vorigen Jahr gleichstellungspolitische Sprecherin der PDS im Bundestag.
Nach den Ursachen, warum junge Frauen Warnungen dieser Art gern überhören, fragten vor allem Frauenforscherinnen. Einerseits nehmen junge Frauen die von den Feministinnen erkämpften Fortschritte als so selbstverständlich, dass sie nicht groß darüber nachdenken. Andererseits habe sich das einst kämpferische Vokabular des Feminismus überholt, so die Sprachforscherin Luise Pusch. In der Tat werden altgediente Begriffe vielfach mit neuen Inhalten besetzt, anstatt frische Bezeichnungen zu finden. Diskriminierung beschreibt heute nicht in erster Linie, dass die Frau Sex-Objekt ist, sondern dass sie drei Mal so gut sein muss wie ein Mann, um Karriere zu machen. Zudem pflegt der »alte« Feminismus nach wie vor eine Opfersprache, die die Realität nicht mehr treffend beschreibt. Kristin Wieduwilt sagt: »Ich fühle mich nicht als Opfer.«
Manche vermeintliche Feministin muss jungen Frauen vorkommen wie aus der Steinzeit. Beispielsweise, wenn eine Vertreterin der Feministischen Partei »Die Frauen« - vor acht Jahren angetreten, die Gleichstellung durchzusetzen - erklärt, mit einer soliden Alterssicherung könnten Frauen endlich das in Ruhe tun, was sie schon immer wollten: Seidenmalerei, Altenpflege, Bücher schreiben, musizieren. Ebenso wenig Verständnis zeigt die Generation 20 für die Ausgrenzung von Männern. Feminismus wird oft als wenig sinnlich und als lustfeindlich empfunden. Kristin Wieduwilt versteht, dass es »männerfreie Räume« geben muss, fühlte sich aber bislang nicht dorthin gezogen.
Ungeachtet all dessen hat es der Feminismus in der heutigen Spaßgesellschaft schwerer als in einer Zeit des allgemeinen Aufbruchs in den 60ern. Als vor gut eineinhalb Jahren das Fernsehduell zwischen Verona Feldbusch und Alice Schwarzer - für viele stellvertretend als Auseinandersetzung zwischen neuen und alten Werten - ausgestrahlt wurde, spaltete es die Nation.
Erfolge der »Omas« gerieten in Vergessenheit
Auffällig war, dass anschließenden Umfragen zufolge vor allem alte Männer und junge Frauen der jugendlich wirkenden, tief dekolletierten Feldbusch zusprachen und Frauen ab etwa 35 Jahren sich auf Schwarzers Seite schlugen. Offenkundig wurde, dass Showeffekt und äußere Reize stärker im Mittelpunkt standen als eine ernsthafte Debatte. Eine Leserbriefschreiberin empörte sich im »Spiegel« als einsame Ruferin über eine Rezension zum TV-Duell: »Warum wählte er (der Rezensent, d.R.) nicht gleich den Titel "Punktsieg für Möpse"? Denn diese scheinen dem Herrn Autor den Durchblick vernebelt zu haben und den intellektuellen Anspruch von Frau Schwarzer aufgrund Tiefblicks in den Ausschnitt von Frau Feldbusch verpassen lassen.«
Den »Omas« des Feminismus sind Frauen wie Verona Feldbusch zweifelsohne ein Dorn im Auge. Unter anderem, weil sie den so genannten Backslash heraufbeschwören: Fast unbemerkt holen sich Männer kampflos zurück, wofür Schwarzer und ihre Schwestern jahrzehntelang gekämpft haben. Und sei es mit einem solch emotional besetzten Thema wie Kinder. Der Kinderwunsch der wohl meisten Frauen wird von politischen Bestrebungen überlagert. Die Vergreisung der Gesellschaft verschiebt Akzente, so dass selbst der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder konservativ preisen kann: »Selbstverwirklichung beginnt in der Familie.« Da erweist es sich als ziemlich prophetisch, was die Publizistin Barbara Sichtermann zu der Frage schrieb, wie es um den Feminismus im Jahre 2084 stehen werde: »Wahrscheinlich werden sogar die gebildeten jungen Frauen voller Neid und Neugier über der feministischen und postfeministischen Literatur des 20. Jahrhunderts sitzen und sich darüber grämen, dass sie in eine Rückwärtsdynamik hineingeboren wurden.«
Kristin Wieduwilt will Kinder haben. Irgendwann. Wie sie das mit Bühnenpräsenz und Proben vereinbart, davon hat sie verständlicherweise noch keine Vorstellung. Dass ihr Mann, der ebenfalls Musiker ist, dabei die Hälfte der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen soll und muss, davon geht sie heute erst mal aus. Im Hause Wieduwilt gibt es keinen Streit darum, wer abwäscht und die Waschmaschine leert. »Auch dafür haben ältere Feministinnen gekämpft«, sagt die junge Sängerin, »die Erfolge genieße ich jetzt.« Diese Einsicht immerhin unterscheidet Kristin Wieduwilt von etlichen Frauen ihrer Generation. Au...
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