»Sie brechen mir das Genick«

Die tragische Tötung des Verdener Arbeitsamtsleiters und ihre Vorgeschichte

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Am 6. Februar ersticht der arbeitslose Werner B. in Verden den Direktor des Arbeitsamtes, Klaus Herzberg. Kurz nach der Tat stellt sich Werner B. der Polizei. Heute will die große Strafkammer des Landgerichts Verden ein Urteil über den Arbeitslosen fällen.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch einen Menschen getötet zu haben.« Wer die Pressemitteilung des Landgerichtes Verden gelesen hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, es mit einem Verbrechen unter vielen zu tun zu haben. Eines zudem, das in den einschlägigen Medien nicht einmal für Schlagzeilen sorgte. Warum auch: Keine Mafia, kein Sex, kein großes Geld. Einen Job konnte der 46-jährige Werner B. seit acht Jahren nicht mehr finden. Die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin scheiterte kurz vor der Geburt einer gemeinsamen Tochter, B. zog in ein Nachbardorf und isolierte sich zusehends. Ständigen Geldsorgen ausgesetzt und unter beengten Wohnverhältnissen leidend, hoffte B. auf den Erfolg einer Weiterbildungsmaßnahme, die ihm im Juli des vergangenen Jahres bewilligt wurde. Doch bereits nach wenigen Monaten brach Werner B. die Maßnahme wieder ab. Die drohende Sperre der Arbeitslosenunterstützung versuchte er in zwei persönlich an den Direktor des Arbeitsamtes gerichteten Briefen abzuwenden. In den veröffentlichten Schreiben erklärte B., dass die Weiterbildung keineswegs seiner Erwartung entspreche und »nichts bringt«. Es handele sich um reine Beschäftigungstherapie, und er sei die Hälfte der Zeit zur Untätigkeit gezwungen. Daraufhin wird B. die Fortzahlung der Arbeitslosenunterstützung verwehrt. Bei einem zufälligen Treffen mit Direktor Herzberg im Januar auf dem Arbeitsamt kündigt ihm dieser seine Entscheidung an und lehnt ein Einlenken ab. Gesetzlich sei keine Ausnahme erlaubt, so Herzberg, obwohl die Einstellung der Zahlung auch von den individuellen Gründen abhängt, die zum Abbruch der Weiterbildung führten. Anfang Februar erhält B. den Bescheid. In einem Brief an Herzberg schreibt er noch kurz zuvor: »Sie brechen mir damit das Genick. Und sie tun das mutwillig.« Wenige Tage später ist der 63-jährige Vater zweier Kinder tot. Die Tat, so Bernhard Jagoda, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bei der Beisetzung Herzbergs, habe »nicht der Person Klaus Herzberg gegolten, sondern der Institution Arbeitsamt«. Der »Weser-Kurier«, der nur in einer Regionalausgabe darüber berichtete, mutmaßte, die Tötung des Arbeitsamtschefs sei geplant gewesen. Unter Hinweis auf B.s Engagement in der Arbeitslosenbewegung und linken Netzwerken hieß es sogar, die Tat sei ein »politisches Fanal«. Unabhängig von dem Versuch des »Weser-Kuriers«, eine Verbindung zwischen dem Engagement B.s und der Tötung herzustellen, B. war tatsächlich politisch aktiv. In Beiträgen für verschiedene Diskussionsforen kritisierte er die »bürokratische Exekution des Sozialrechts« und griff mit scharfen Worten die Politik von Sozialdemokratie und Gewerkschaften an. Innerhalb der bundesdeutschen Arbeitslosengruppen war B. kein Unbekannter. Doch eine Reaktion auf dessen Tat seitens der Initiativen blieb lange aus. Erst mit der Intervention der französischen AC! - Agir ensemble contre le chômage! (Gemeinsam handeln gegen Erwerbslosigkeit) regte sich ein wenig Öffentlichkeit, die der tendenziösen Medienberichterstattung eine differenzierte Sichtweise entgegenzusetzen suchte. Auf ein offenes Schreiben der AC! an Erwerbsloseninitiativen in der BRD reagierte jedoch keine der angesprochenen Gruppen, eine Besetzung des Informations- und Dokumentationszentrums der Deutschen Botschaft in Paris am 9. Juli blieb weitgehend unbeachtet. Offenbar bestehe Angst vor Kriminalisierung und Bestürzung über eine als unpolitisch angesehene Tat, kommentiert die Erwerbslosenzeitung »Müßiggänger«. B. hat am ersten Verhandlungstag die Tat gestanden....

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