»Ich würde vorziehen, das nicht zu tun!«

Saalbau Neukölln zeigt Melvilles »Bartleby«

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Taugt einer als Widerstands- und Identifikationsfigur, an dem alles mit dem Ausspruch abprallt: »Ich würde vorziehen, das nicht zu tun!«? Das äußert er, ohne sein Verhalten auch nur ansatzweise zu erklären. Dieser Form des passiven Widerstandes widmet der Saalbau Neukölln die Inszenierung »No.10 - Bartleby« nach dem Roman von Herman Melville. Zwei Premieren kurz nacheinander. Nach »No. 9 - Rote Sonne« ist »Bartleby« das zweite Stück, das sich mit der Dynamik gesellschaftlicher Widerstandsformen auseinander setzt. Während es in »Rote Sonne« um den bewaffneten Kampf geht, zeigt der Saalbau Neukölln mit dem neuesten Stück einen Antihelden, der sich rigoros und konsequent dem System verweigert. Bartleby arbeitet in einer New Yorker Anwaltskanzlei in der Wall Street. Eifrig kopiert er Akten. Man merkt gar nicht, dass er da ist. Er fällt erst auf, als sein Chef ihn bittet, mit ihm gemeinsam Abschriften zu vergleichen. »Ich würde vorziehen, das nicht zu tun!«, antwortet Bartleby. Kein Befehl, keine Drohung, weder Bitte noch Schmeichelei vermögen ihn von dieser Haltung abzubringen. Bartleby verweigert immer mehr die eingeforderten Aufträge. Höflich, aber bestimmt, entzieht er sich jedem Versuch, über sein Motiv dafür zu sprechen. Auf seine Kündigung reagiert er auch nicht, weigert sich, den Arbeitsplatz zu verlassen. Vorgeführt wird auf der Bühne des großen Saales ein rätselhafter Mensch. Unergründlich, nicht greifbar, nicht Fisch und nicht Fleisch. Marc Peisker trifft den Ton. Er gibt einen Bartleby, der die manifest gewordene Verweigerung am Rande der Gesellschaft ist. Unauffällig und still, bis er plötzlich gegen die Konventionen rebelliert. Jede Handlung zu verweigern, ist seine Waffe - und die ist wirksam. Sein stereotyp wiederholter Satz »Ich würde vorziehen, das nicht zu tun!« beschreibt weniger ein Programm als einen Zustand. Und der löst Bestürzung aus und ruft Aggression hervor. Wer kann mit einer solchen Haltung schon locker umgehen? Regisseur Rüdiger Walter Kunze inszeniert den Stoff konservativ. Er zeigt Bartleby weniger als politische Widerstandfigur. Mehr als tragisch-komische und absurde Gestalt, die sich in eine Art Nicht-Raum zurückzieht, wo nichts mehr verhandelbar ist. Eine sehenswerte Inszenierung mit einem tollen Bühnenaufbau (Ulrike-Martha Zimmermann), dichter Atmosphäre und gelungenem Spiel zwischen der Hauptfigur, dem Kanzleichef (Thomas B. Hoffmann) und den anderen Angestellten (Matthias Silze, Thomas Mai, Nina Siller).
25., 27., 29.3., 1., 3. u. 5.4., 20 Uhr; als Doppel mit »Rote Sonne« am 6.4., 19 Uhr; Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Karten-Tel.: 68093779

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