- Wirtschaft und Umwelt
- Rezension
»Rechte« ist schlechte Wirtschaftspolitik
Sammelband sucht nach Antworten, warum die Politik an neoliberalen Konzepten festhält
Von Gerhard Schröder stammt der Satz, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur gute oder schlechte. Bereits der Titel des von Joachim Bischoff und Klaus Steinitz herausgegebenen Sammelbands »Linke Wirtschaftspolitik« dokumentiert Widerspruch. Besonders lesenswert ist dieser Band nicht nur, weil dieser Widerspruch von einem breiten Spektrum an Wissenschaftlern und Politikern aus Ost- und Westdeutschland formuliert wird, sondern auch, weil in den 17 Beiträgen klar und verständlich der grundsätzliche Unterschied zwischen »rechter«, also neoklassischer bzw. neoliberaler, und »linker«, alternativer Wirtschaftstheorie herausgearbeitet und auch auf die unterschiedlichen kurz- und langfristigen wirtschaftspolitischen Konsequenzen hingewiesen wird.
Angesichts neoliberaler Dominanz ist linke Wirtschaftspolitik immer noch alternativ. Eigentlich hätte sich dies schon lange ändern müssen. Die Probleme sind unter der Vorherrschaft des Neoliberalismus national wie international alles andere als kleiner geworden. Wachstumsschwäche, hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Polarisierung von Einkommen und Vermögen sowie Abbau des Sozialstaats sind mittlerweile Probleme aller entwickelten Industriestaaten. Das hätte eigentlich dazu führen müssen, dass sich die Welt von erfolglosen wirtschaftspolitischen Konzepten und zu Grunde liegenden Theorien verabschiedet. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Statt Neuorientierung und Neukonzeption wird eine immer höhere Dosis der bereits gescheiterten Medizin »Deregulierung, Flexibilisierung, Liberalisierung und Entstaatlichung« verordnet.
Warum gibt es keinen allgemeinen Protest gegen Politikkonzepte, die unübersehbar gescheitert sind? Mit dieser bislang vernachlässigten Frage beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge des Bandes. Als eine wesentliche Ursache wird der Widerspruch zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Logik genannt. Aus Sicht eines Unternehmers ist es völlig rational, den Beschäftigten einen möglichst niedrigen Lohn zu zahlen. Nur: Tun dies alle Unternehmer, bricht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ein. Ohne Absatz nutzen niedrige Lohnkosten gar nichts.
Am Beispiel der Finanzmärkte wird auf einen ähnlichen Aspekt hingewiesen: Ein unregulierter Markt bedeutet nichts anderes, als dass mächtige Interessen die Entwicklung nach ihrem Vorteil steuern können. Letztlich wirkt die politisch durchgesetzte Deregulierung der internationalen Märkte dahin, dass finanzielle Mittel, die bislang über staatliche Umverteilung für einen sozialen Ausgleich gesorgt haben, in die Kassen institutioneller Anleger wandern. Dies führt zunächst zwar zu deren willkommener Bereicherung, allerdings werden die Ungleichgewichte in der Einkommens- und Vermögensentwicklung sukzessive vergrößert. Die Folge: Masseneinkommen sowie damit die Massennachfrage sinken und Absatzprobleme steigen. Investitionsgelegenheiten werden vernichtet und damit auch Möglichkeiten, akkumuliertes Kapital wieder renditeabwerfend zu investieren. Letztlich schnappt auch hier die einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle zu. Die Leidtragenden sind in erster Linie diejenigen, die auf Arbeitseinkommen angewiesen sind.
In einem weiteren Beitrag wird diskutiert, warum Arbeitsmärkte prinzipiell nicht der marktwirtschaftlichen Logik gehorchen. Ein sich selbst steuernder Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist hier auf Grund spezifischer Angebotsreaktionen ausgeschlossen. Mit zurückgehenden Löhnen sinkt das Angebot an Arbeit seitens der Beschäftigten gerade nicht - es steigt! Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel USA, sondern auch an theoretischen Überlegungen. Um ihr Auskommen zu sichern, müssen die Beschäftigten bei sinkenden Stundenlöhnen nämlich ihre Arbeitszeiten ausweiten. Damit verschärfen sich aber angesichts eines begrenzten Angebots an Arbeitsplätzen die Probleme. Auch wenn heute immer mehr Beschäftigte bereit sind, auf Einkommen zwecks Sicherung ihres Arbeitsplatzes zu verzichten, verschärfen sie hiermit über kurz oder lang ihre Lage: Nicht nur, dass immer mehr immer länger arbeiten müssen - hinzu kommt auch noch, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt. Mehr Arbeitssuchende treffen auf immer weniger Arbeit.
Der Band beinhaltet eine Fülle von Belegen, dass weitere Flexibilisierung, Deregulierung und Liberalisierung die Probleme der Gegenwart prinzipiell nicht lösen können. Für Politiker haben sie dennoch eine große Anziehungskraft, weil sie damit Verantwortung delegieren können. Nicht sie sind dann die Schuldigen, wenn es Probleme gibt, sondern der »Markt« ist es - und damit letztlich jede und jeder Einzelne. Beispiel Rente: Wenn es künftig zu Problemen zwischen (immer weniger) Erwerbstätigen und (immer mehr) Rentnern kommt, ist die Politik fein raus. Schuld an fehlendem Einkommen im Alter ist dann die bzw. der Einzelne selbst. Dann hilft es auch nicht, wenn sie bzw. er zu Recht dar-auf verweisen kann, dass mangels Arbeit und Einkommen in der Vergangenheit gar keine Chance zur Vorsorge bestanden hat.
»Linke Wirtschaftspolitik«, die »Marx im Herzen und Keynes im Kopf« (Rudolf Hickel) hat, setzt sich angesichts derartiger struktureller Defizite der marktwirtschaftlichen Steuerung konsequent für eine Koordination wirtschaftlicher Abläufe ein. Eine aktive Steuerpolitik muss dafür sorgen, dass der Staat - durch Wiedererhebung der Vermögensteuer, Erhöhung der Erbschaftsteuer, Sicherung der Unternehmensbesteuerung - über genügend Einnahmen verfügt, um die öffentliche Daseinsfürsorge zu sichern. Eine aktive Finanzpolitik darf nicht nur als Aufgabe verstanden werden, Einnahmen und Ausgaben in Deckung zu bringen, sondern sie muss Impulse in der Rezession geben. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik darf sich nicht nur auf verbesserte Rahmenbedingungen und die Qualifizierung der Arbeitslosen beschränken, sondern muss in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auch zusätzliche öffentliche Arbeitsplätze bereitstellen.
Der Sammelband zeigt nicht nur, dass es klare Unterschiede zwischen »rechter« und »linker« Wirtschaftspolitik gibt, anhand einer zusammenfassenden Gegenüberstellung der Herausgeber wird auch deutlich, warum »rechte« Wirts...
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