Pollenqualen dauern jedes Jahr länger

Allergieauslösern kann man nicht aus dem Weg gehen. Doch man sollte die Krankheit auch nicht hinnehmen

  • Wolfgang Kappler
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Wer auf Frühblüher reagiert, kann in diesem Jahr aufatmen. Hasel, Erle und Birke haben durch Kälteeinbrüche einen Dämpfer bekommen. Die Blütenpracht der Frühblüher erfror, ihre Pollen blieben in den Startlöchern und haben damit kaum Macht über jene, die normalerweise mit tränenden Augen und einem kräftigen Hatschi ihren Aufmarsch begleiten. Im Gegensatz zu den letzten Jahren sind damit die Frühpollenallergiker erst einmal aus dem Schneider.
Wer hingegen auf ein breiteres Pollenspektrum reagiert, muss damit rechnen, dass mit steigenden Temperaturen die allgemeine Pollenkonzentration sprunghaft in die Höhe schnellt und der Heuschnupfen heftiger einsetzt. Schuld sei die eigenartige und ungewöhnliche Witterung der letzten Wochen, sagt Dr. Klaus Bucher, Leiter des Geschäftsbereiches Medizin-Meteorologie beim Deutschen Wetterdienst in Freiburg - und wörtlich: »Erst Wärme, dann Kälte, das hat die frühe Blüte durcheinander gebracht«. Und auch den Zeitplan der Allergiker. Deren Immunsystem reagiert auf an sich völlig harmlose Substanzen. Denn Pollen sind nichts anderes, als Zellen, die das männliche Erbgut der Pflanzen übertragen. Bei Berührung mit der Schleimhaut sensibler Menschen entleeren sie ihren Inhalt, auf den das Immunsystem mit der Ausschüttung des stark reizenden Gewebehormons Histamin reagiert. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Augentränen, Augenjucken, Niesreiz, Fließschnupfen, verstopfte Nase, Husten, Atemnot, Asthma bronchiale, Magen-Darm-Störungen, Hautekzem, Kopfschmerzen, Migräne, Schlafstörungen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und sogar Depressionen.
Sensible Menschen haben in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass die lästigen Symptome von Jahr zu Jahr früher auftreten und später abnehmen. Untersuchungen des Wiener Botanikers Prof. Siegfried Jäger bestätigen: »Es besteht ein leichter Trend zur Verlängerung der Blühperiode bei Spätblühern und bei manchen Frühblühern beginnt sie bis zu 40 Tagen früher«. Jäger, der seine Beobachtungen durch Klimadaten gestützt sieht, macht die generelle globale Erwärmung verantwortlich: »Wärme spielt für den Pollenflug die entscheidende Rolle«. Summiere sich die Wärmeenergie auf einen für jede Pflanze unterschiedlichen Wert, würde diese blühreif und entließe ihre Pollen, sagt er. Das erklärt, weshalb Hasel und Erle in warmen Wintermonaten bereits an Weihnachten blühen.
Stärker werdende Temperatureinbrüche hätten darüber hinaus dazu geführt, dass auch die Pollenkonzentrationen mehr schwanken. Für Pollenallergiker bedeute das: Kurze, aber heftige Schübe wechseln sich mit Phasen einer annähernden Symptomfreiheit ab. Auf Grund eigener Messungen bestätigt Prof. Theodor Zimmermann, Direktor der Universitätskinderklinik Erlangen, Jägers Aussagen und hält auch an der Meinung fest, dass Dieselruß Pollen »aggressiver« macht. Auch Ozon verändert deren Molekularstruktur, wie Dr. Horst Müsken, Leiter des Allergie-Dokumentations- und Informationszentrums (ADIZ) in Bad Lippspringe gemeinsam mit Kollegen der Uni Paderborn heraus gefunden hat. »Das alles zusammengenommen mit Bau-, Umwelt- und Gesundheitshygienemaßnahmen, die die richtige Auseinandersetzung des Körpers mit Allergenen verhindern, hat zu einem sprunghaften Anstieg der Allergien insgesamt geführt«, sagt er.
Das allseits empfohlene Vermeiden der Allergieauslöser ist nahezu unmöglich. Wie auch will man einem Roggenpollen entgehen, der bis zu 400 Kilometer zurücklegt. Allergien deshalb aber einfach hinzunehmen, ist fatal. Ein unbehandelter Heuschnupfen schlägt allzu leicht in ein chronisches Asthma um, verbunden mit dem Umbau von Lungengewebe. Schweres Asthma aber kann lebensbedrohlich werden. »Je früher also eine Allergie-Behandlung beginnt, umso besser der Erfolg«, sagt Prof. Thomas Fuchs, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, der auf die seit 80 Jahren bekannte Immuntherapie setzt.
Bei dieser Behandlung werden nach Ende einer Pollensaison die Allergieauslöser in allmählich steigenden Konzentrationen unter die Haut gespritzt. Das Verfahren ist inzwischen soweit verbessert, dass vier Spritzen über drei Jahre verteilt ausreichen können. Wer die Spritze scheut, was vor allem für Kinder gilt, kann auf Pollentropfen zurückgreifen, die einfach unter die Zunge gegeben werden. Es stehen aber noch Untersuchungen aus, ob Tropfen genauso effektiv wie die Spritze sind. Durch die Immuntherapie, die 70 Prozent der Behandelten hilft, lasse sich auch Asthma vermeiden. Zur symptomatischen Behandlung stehen Chromoglycinsäure, Antihistaminika und Kortisonpräparate zur Verfügung. Kontaktlinsenträger sollten während der Behandlung mit Augentropfen dabei auf die Brille zurückgreifen, um zusätzliche Reizungen zu vermeiden. Alternativen wie Akupunktur, Entspannung, Psychotherapie und pflanzliche Präparate können im Einzelfall helfen. Für die Eigenblutspende oder Bioresonanztherapie gibt es allerdings keinen Wirksamkeitsnachweis. Abzuraten ist in jedem Fall von teuren Salben, die Pollen in der Nase abfangen sollen. »Neben billigem Vaselin enthalten sie oft bedenkliche Inhaltsstoffe, die zu lebensgefährlichen Atemkrämpfen führen können«, warnt Müsken. Anzumerken bleibt, dass die Behandlung von Pollenallergien oft wegen Kreuzreaktionen erschwert wird. So können Birkenpollenallergiker auch auf Obst reagieren, oder Haselpollenallergiker auf Nüsse. Deshalb gehört die Behandlung des Heuschnupfens in jedem Fall in die Hand des erfahrenen Allergologen.

Allergie-Dokumentations- und Informationszentrum: www.adiz.de. (mit Informationen der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst); Deutscher Wetterdienst: www.dwd.de. (aktuelle Pollenflugvorhersagen und eine Fülle statistischer Auswertungen); Europäisches Polleninformationssystem (epi): www.cat.at/pollen (hier finden sich unter anderem viele Urlaubstipps für Alle...

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