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  • Kultur
  • Als Schauspielerin und Diseuse ein Weltstar - Marlene Dietrich zum heutigen 90. Geburtstag

Die aller schönste Urgroßmutter

  • F.-B. HABEL
  • Lesedauer: 4 Min.

Arme Marlene! In wievielen Zeitungen muß sie heute lesen, daß sie angeblich 90 Jahre alt werde! Sie selbst hat ihr Alter immer verschwiegen und die veröffentlichten Angaben dementiert. Aber sie war schon zu lange zu einer lebenden Legende geworden, als daß man nicht nach ihrer Geburtsurkunde geforscht hätte, die man dann Mitte der sechziger Jahre in Ostberlin fand. Und seitdem gilt es als sicher: Marie Magdalene Dietrich wurde am 27 Dezember 1901 in der Schöneberger Sedanstraße geboren.

Aktuelle Fotos wird man bei den Geburtstagsartikeln allerdings vergeblich suchen. Seit ihr letzter Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ 1978 erschien, hat sie sich nicht mehr fotografieren lassen. Und man kann es verstehen, wenn man versucht, sich in sie hineinzuversetzen. Schließlich -ist Marlene Dietrich eine der interessantesten Frauen unseres Jahrhunderts und die international bekannteste deutsche Schauspielerin, wenngleich sie in Deutschland schon seit mehr als 30 Jahren nicht mehr aufgetreten ist. Alle ihre Stationen sind von der Kamera in oft allzu gestylten Bildern festgehalten worden.

Schon 1922, als die ehemalige Musikstudentin ihr Bühnendebüt gab, entstand ihr erster Film. Die Rollen wurden größer, und schon 1928 war Marlene Dietrich - zwei Jahre vor dem berühmten „Blauen Engel“ - eine bekannte Filmschauspielerin, die die Kritiker mit der damals schon weltberühmten Garbo, ihrer größten Konkurrentin, verglichen. In jenem Jahr schrieb Axel Eggebrecht: „Da sind Garbo-Augen, eine Swanson-Nase, Bewegungen von einer selbstverständli-

chen erotischen Spannung und Fülle, wie wir sie sonst resigniert an manchen Amerikanerinnen bewundern. Eine ganze Generation leerlaufender Verführungsdamen kann durch diese Schauspielerin entthront werden, wenn sie in die Hände kluger, unängstlicher Regisseure kommt.“

Ein solcher Regisseur kam mit dem Amerikaner Josef von Sternberg nach Berlin. Er sah die Dietrich auf der Bühne und muß wohl ähnlich wie Axel Eggebrecht empfunden haben. Marlene Dietrich wurde „der blaue Engel“, spielte Jannings an die Wand und ging mit Sternberg in die USA. In sechs Filmen spielte sie dort unter seiner Regie. Sternberg formte ihren Typ, ihr Image, das fortan an ihr haften blieb, was immer sie auch tat.

Und das war gar nicht so eingleisig. Die schöne Verführerin wurde unter Ernst Lubitschs Anleitung eine wunderbare Salonkomödiantin und brachte manchem Western „das gewisse Etwas“. Den Werbungen der Nazis, die den Weltstar für ihre Zwecke ausnutzen wollten, widerstand Marlene Dietrich auch in den Jahren, als sie in den USA als „Kassengift“ verschrien war. 1939 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin und ging im zweiten Weltkrieg bewußt für drei Jahre zur Truppenbetreuung. Ihr Verhältnis zu Deutschland blieb gespannt, aber nicht durch eigene Ressentiments, sondern weil viele. Deutsche in ihr eine „Nestbeschmutzerin“ sehen wollten.

In den fünfziger Jahren feierte die Welt Marlene Dietrichs neue Karriere. Zwar hätte sie schon in den zwanziger Jahren auf Berlins

Kabarettbühnen erfolgreiche Chansons kreiert („Wenn die beste Freundin“) und seit den Liedern des „Blauen Engel“ immer wieder in ihren Filmen gesungen, doch erst, als sie über 50 war, entwickelte sie sich zu einer Diseuse von ungekanntem Format. Nicht nur Hollaenders für sie geschriebene Schlager, auch moderne Songs von Bob Dylan oder den Beatles sang

sie auf ihre eigene, unnachahmliche Weise. Ihre deutsche Fassung von „Blowing in the wind“ wurde eines der wichtigsten Lieder der deutschen Friedensbewegung. Aber auch die frechen Berliner Lieder ihrer Jugendzeit gehören zu ih^ ren besten Aufnahmen.

An ihre alte Liebe Berlin und das benachbarte Babelsberg hat sich Marlene, die heute in Paris lebt, ge-

rade in den letzten Jahren in einigen Rundfunk- und Fernsehsendungen voll Liebe und Engagement erinnert. Doch nachdem ihre gesamte Laufbahn von Kameras verfolgt wurde, will sie kein Scheinwerferlicht mehr. Heute meldet sie sich nurmehr telefonisch zu Wort. Vielleicht ist es auch die Angst, dem vorgefertigten Bild, der Legende nicht mehr zu entsprechen.

Aber sicherlich wird sie an Feiertagen mit Tochter und Enkeln ein Foto unter dem Weihnachtsbaum machen. Und vielleicht läßt sie ein solches doch einmal veröffentlichen. Dann können wir uns davon überzeugen: Auch ein altes Gesicht, auf dem ein ganzes Leben zu erkennen ist, ist schön - und Marlene ist sicherlich die schönste Urgroßmutter der Welt!

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