Letzte Fahrt des Vindobona

Eisenbahngeschichte auf Abstellgleis in Lichtenberg

  • Hans-Jürgen Neßnau
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Vindobona nimmt Abschied. Die Legende überwintert derzeit in einer Halle im Betriebsbahnhof Rummelsburg in Lichtenberg und soll nun endgültig auf das Abstellgleis geschoben werden. Der Vindobona war das Flaggschiff der Deutschen Reichsbahn. 1963 brachte sie den Schnelltriebwagen im anspruchsvollen, schnittigen Design auf die Schiene. Acht Züge wurden im Waggonbau Görlitz gebaut, dazu zwei Reservemaschinenwagen. Die Höchstgeschwindigkeit betrug seinerzeit fast unglaubliche 160 km/h. Im Reiseverkehr fuhren die komfortablen Züge von Berlin nach Kopenhagen und Malmö, über Prag nach Wien sowie Karlovy Vary. Bis Anfang der 80er Jahre waren sie aus dem Reichsbahn-Bild nicht wegzudenken. Doch nach 40 Jahren ist nur ein betriebsfähiges Exemplar des VT 18.16 erhalten geblieben. Legendär ist der Einsatz des Zuges zwischen den Metropolen Berlin, Prag und Wien. 735 Kilometer müssen bewältigt werden. Vor dem 2. Weltkrieg war allein die Passage zwischen Berlin und Prag unter zwölf Stunden nicht zu schaffen. Eine Schnellverbindung sollte deshalb in der politischen Nachkriegsgeografie geschaffen werden. Die Deutsche Reichsbahn beantragte 1956 auf der Europäischen Fahrplankonferenz (EFK) eine »schnelle Tagesverbindung«. Ende 1957 wurde sie eingerichtet. Die beteiligten Eisenbahnverwaltungen DR, CSD und ÖBB sowie die Mitropa vereinbarten die Verbindung und nannten sie politisch neutral »Vindobona«, nach dem lateinischen Namen Wiens. Seit 1991 konnten die Schnelltriebwagen für Sonderfahrten gechartert werden. Betriebe, Vereine, Privatpersonen machten davon Gebrauch, weiß Ralf Ritter, Lokführer bei der Deutschen Bahn AG. In bester Erinnerung sind ihm die jährlichen Adventsfahrten von Berlin nach Neuhausen, Annaberg-Buchholz, Schwarzenberg, Lübeck oder Bremen. Der bislang einmalige Literatur-Express transportierte im Juni 2000 junge Literaten aus ganz Europa zwischen Brüssel und Kaliningrad. Die Deutsche Bahn hatte 1994/95 eine der acht Legenden für knapp vier Millionen Mark in Wittenberge generalüberholt. Für die jetzt fällige Inspektion hat sie kein Geld. Das würde wohl zwei Millionen Euro kosten, meint Ralf Ritter, der sich mit 30 Gleichgesinnten ehrenamtlich für den Erhalt des »Vindobonas« engagiert. »Ein Stück Eisenbahngeschichte aus dem Osten soll abgestellt werden«, meint der 44-Jährige. Nicht ein einziges betriebsfähiges Ostfahrzeug gebe es im Verkehrsmuseum in Nürnberg. Hingegen gebe es Pläne, das zehn Jahre ältere Gegenstück der Bundesbahn - den TransEuropExpress (TEE) - für 4 Millionen Euro zu sanieren. Die letzte Sonderfahrt des »Vindobona« führt am 12. April von Berlin über Dresden nach Prag. Infos beim Servicebüro Nostalgiefahrten: 0331-6006706.

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