Mythen, Menschen, Mächte
Im Geschichtsbuch von Mesopotamien geblättert
»Wir haben dem Orient seine Künste und Wissenschaften, seine Religionen und eine Unsumme technischer Fertigkeiten abgelernt. Wird nicht Europa jene entliehenen Güter einmal in veredelter Form mit Wucherzins an Asien zurückgeben?«
Wilhelm Gentz, Orientmaler und Fontane-Freund, Berlin, Dezember 1852
Kein seltener Fall in der Geschichte: Als Emir Faisal, Sohn des Scherifen von Mekka, am Ende eines Feldzuges, dessen Spiritus Rector Thomas Edward Lawrence hieß, in Damaskus zum Herrscher von Groß-Syrien proklamiert wird, scheitert er an massiver französischer Intervention. Der von den Franzosen aus Damaskus Vertriebene wird aber später in Bagdad als Faisal I. den Thron besteigen. Des Herrschers einstiger Freund Lawrence wiederum hatte als Student vor 1914 Kreuzritter-Burgen in Nahost erwandert und vor allem dem britischen Archäologen Sir Leonard Woolley bei Ausgrabungen in den Ruinen der Hethiter-Siedlung Karkemish geholfen. Dort am Euphrat hatten die kleinasiatischen Hethiter, als sie um 1650 v. Chr. ein Reich schufen, bedeutsame Spuren hinterlassen; in deren Fußstapfen traten die phönizischen Seefahrer und Handelsleute.
In Jahrtausenden mittelöstlicher Geschichte findet sich manches begraben unter Sand. Die Liste ruhmreicher Könige im Zwischenstromland überspannt beinahe dreieinhalb Millennien. Sie reicht bis ins Jahr 539 v.Chr., als das Heer Babylons, geführt von Kronprinz Belsazar, von der persischen Armee unter Kyros eine vernichtende Niederlage erfuhr, obwohl zuvor noch die Babylonier die indo-iranischen Meder und den reichen König Krösos von Lydien geschlagen hatten.
Unter den Völkern, die im alten Orient einen Spitzenplatz in Kultur, Kunst, Geisteswissenschaft und Wirtschaft einnahmen, gebührt den Sumerern besondere Achtung. Sie kamen im vierten Jahrtausend v.Chr. ins südliche Mesopotamien, bildeten kleine Stadtstaaten und um 2350 ein einheitliches Staatswesen, das später im Großreich der Akkader unter Sargon I. aufging. Sie prägten Städte wie Uruk, Ur oder Eridu. Ur (arabisch Tel Muqqaiar) am Unterlauf des Euphrat war nach dem Alten Testament die Heimat von Abraham, den Juden, Christen und Muslime verehren. In Hebron (Palästina), in der Machpela-Höhle, über die sich jetzt die Ibrahim-Moschee erhebt, ist der Patriarch, wie es heißt, beigesetzt worden.
300 Jahre lang galt der Stadtstaat Uruk (Tel Warka) im dritten Millennium v. Chr. als Hauptstadt Mesopotamiens. Einer ihrer Priesterkönige ist unter dem Namen Gilgamesh in die Geschichte eingegangen. Seine 3000 Verse, auf Dutzenden Tontafeln in Keilschrift verewigt, haben Literatur begründet. Sein Epos enthält Erlebnisse, reale und erfundene, berichtet von Menschen und Taten, so vom Sieg über einen schrecklichen Herrn des Zedernwaldes oder von Ishtar, Göttin der Liebe, der Prozessionen gewidmet sein werden, die man noch heute auf der Berliner Museumsinsel bestaunen kann.
Dieser Gilgamesh hat wohl die erstaunlichste Sage Mesopotamiens erzählt. Sie ist, wie es der britische Religionswissenschaftler S.H. Hooke nennt, eingebettet in das Epos des Mannes aus Uruk - die Geschichte von der gewaltigen, aus den Bergen herabschießenden, Täler, Häuser, Wälder sowie Äcker überschwemmenden (Sint-)Flut. In der babylonischen Version der Schilderung heißt man den Helden Utnapishtim, in der sumerischen Form Ziusudra und in der Sprache der Bibel Noah. Dem ist es beschieden, in einem Schiff, dessen Bodenfläche der Übersetzer Albert Schott mit »ein Feld groß« umschreibt, mit Familie und allem Getier die Katastrophe zu bestehen und das Überleben der Menschen zu sichern. Seine Arche trieb zum Berge Nissir (nicht zum Ararat) heran, und der ließ sie »nicht wanken«.
Seit Menschengedenken werden tragende Flüsse und saubere Wasserquellen geschätzt. Der Norweger Thor Heyerdahl, der 1977 mit einem am Flussufer gebauten »Tigris«-Schilfrohr-Boot ins Arabische Meer des Indischen Ozeans eine Expedition startete, entdeckte auf der Halbinsel Bahrein den Handelsplatz »Dilmun« des antiken Morgenlandes, ebenso reich an Wasser wie an Grabhügeln, vielleicht der größte Friedhof aus sumerischer Zeit. Er nimmt die Augen der Besucher gefangen wie auch die fröhlich tauchenden Jungen und fleißigen Wäscherinnen an einem Speicherbecken.
Kein Zweifel, die Sumerer waren mehr als nur tüchtige Seefahrer. Auf Tafeln, bedeckt mit Figuren aus Perlmutt und Muscheln, werden Ausschnitte aus ihrem Leben vorgestellt. Deren Finder Woolley, Mentor von T. E. Lawrence, bezeichnet sie als eine »Mosaik-Standarte«. Den Sumerern zollen Ethnologen, Archäologien und Historiker immer wieder Respekt. »Von ihnen erhielten wir das Rad, die Kunst, Metalle zu schmieden, Bogen zu bauen, Stoff zu weben, Segel zu setzen, zu säen und Brot zu backen«, schreibt Heyerdahl im »Tigris«-Buch. »Von ihnen lernten wir die Schrift. Sie legten den Grundstein für die eigentliche Mathematik... Sie waren mit der Geographie vertraut. Wie sonst hätten sie wissen können, wohin sie zu fahren hatten, um Kupfer, Gold, Lapislazuli, Karneol, Alabaster und die vielen anderen für sie kostbaren Rohstoffe zu finden.«
Die Entwicklung der Keilschrift im antiken Mesopotamien bleibt ein Markstein in der Menschheitsgeschichte. Hammurapi, hat sein Gesetzeswerk für Staatsdiener und andere Untertanen nicht nur auf Tontafeln, sondern auf eine Stele einprägen lassen. Der Diorit, 1901 gefunden in der Residenzstadt Susa, enthält 282 bindende Weisungen, die noch jetzt als vernünftiges Recht gelten können. Ein Tontafel-(Brief-)Wechsel, ein Kupfer-Geschäft betreffend, bezeugt, wie die Keilschrift der Verständigung im Alltag nutzte. Anlass des ersten Gesetzeswerkes war das Gebaren eines Kaufmanns, der schlechte Ware dem Verfasser der Tontafel anzubieten suchte. Haltung und Wortwahl des Maklers wurden als verächtlich verurteilt. Dem Göttinger Gymnasiallehrer und Autodidakten Georg Friedrich Grotefend gelang es, drei Jahre nach Sieg und Niederlage von Napoleons Armee in Ägypten die Keilschrift zu entziffern. Man schrieb das Jahr 1802, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zitterte vor dem Korsen.
Mesopotamien war den Kulturen von Ägypten, Griechenland und Rom vorangegangen. In Babylon, dem Ort der »Hängenden Gärten«, pflasterte man Straßen mit Ziegeln, insbesondere die Prozessionsallee, die durch das Ishtar-Tor zum Stufen-Tempelturm, einem Zikkurat, führte. Haben nicht dort die Juden eine lange, bittere Gefangenschaft erduldet, nachdem sie Nebukadnezar II. aus dem zerstörten Jerusalem vertrieb? Erlebten und staunten sie nicht gleichzeitig, dass dieser Herrscher für sein Land Wasser anstauen, Kanäle zwischen den großen Strömen graben und imposante Bauten hatte errichten lassen? Zweihundert Jahre später schloss dort der ungestüme Makedonierkönig Alexander seine Augen - für immer...
Viele Jahrhunderte hindurch blieb Mesopotamien dem Imperium Romanum und der Dynastie der Sassaniden unterworfen. Letztere verstand es, ein neupersisches Reich vom Mittelmeer bis zum Indus zu regieren. Dann fegte ein Wind der Veränderungen ins Land, als der Islam, die Lehre des Kaufmanns Mohammed aus der Familie Beni Hashem in Mekka, die Menschen Arabiens und ihre Nachbarn elektrisierte. Reiterarmeen formierten sich unter der Fahne des Propheten und begannen, die Landkarten im Nahen und Mittleren Osten, am Nil und in Nordafrika, in Vorder- und Mittelasien, selbst auf der Iberischen Halbinsel zu korrigieren. Bald sollten sie an die Tore des griechisch-christlichen Königreiches Byzanz klopfen.
Aber die Kalifen, die Nachfolger des Propheten, lieferten sich inzwischen blutige Fehden. Die Omaiyaden mussten aus Damaskus und den Rivalen aus der Familie des Mohammed-Onkels Abbas weichen. Kalif Ali, Schwiegersohn von Mohammed, verlor 661 bei Kufa das Leben. Alis Sohn Hussein wird 680 in Kerbela ermordet, und die Gefolgsleute Alis finden sich in der »Schia Ali«, der Partei, zusammen, die den »nicht-legitimen« Oberherren den Gehorsam verweigert; die sunnitische Mehrheit der Muslime wurde mit einer schiitischen Glaubensgemeinschaft konfrontiert, die sich im Süden des Zwischenstromlandes, in Iran und auf saudiarabischer Seite des Golfs stabilisierte.
Die Macht im Kalifat gehörte jedoch nun den Abbasiden. Ihr Mann Dschaffar al-Mansur stützte sich auf die Armee und ein Spinnennetz von Spionen. Er holte aus Syrien, Persien, dem Mossul-Gebiet und Babylonien 100000 fähige Menschen, um nach seinen Plänen am Westufer des Tigris die Hauptstadt Bagdad aus dem Boden zu stampfen, bewehrt nach außen mit zwei wallähnlichen Mauern. Baumaterial waren (nach Joseph Hell, »Die Kunst der Araber«) Tonziegel, gebunden mittels Schilf und Erdpech. Nach vier Jahren, 762, »war alles fertig«, liest man in André Clots Biografie von Harun al-Raschid. Dieser Kalif, der zeitweilig in Khorasan und dem syrischen Raqqa residierte, verwandelte Bagdad in eine glänzende und wohlhabende Kapitale, in der zu seiner Zeit bereits eine Million Menschen lebten. Er könnte ein guter Fürst für den im frühen Mittelalter lebenden dichtenden Philosophen Omar Chaijam gewesen sein, dessen Vierzeiler Martin Remané 1983 so einfühlsam verdeutscht präsentierte: »Kein Atemzug, der Frieden nicht dir selber gibt! Kein Atemzug, der anderen den Frieden trübt! Das Leben ist das höchste Gut, und es beschert noch manch ein Glück dem, der es ehrt und wahrhaft liebt.«
»Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers«, heißt es in den Hadith, den gesammelten und überlieferten Lehren des Propheten Mohammed.
Unser Autor bereiste Irak und ist Mitglied der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft.»Wir haben dem Orient seine Künste und Wissenschaften, seine Religionen und eine Unsumme technischer Fertigkeiten abgelernt. Wird nicht Europa jene entliehenen Güter einmal in veredelter Form mit Wucherzins an Asien zurückgeben?«
Wilhelm Gentz, Orientmaler und Fontane-Freund, Berlin, Dezember 1852
Kein seltener Fall in der Geschichte: Als Emir Faisal, Sohn des Scherifen von Mekka, am Ende eines Feldzuges, dessen Spiritus Rector Thomas Edward Lawrence hieß, in Damaskus zum Herrscher von Groß-Syrien proklamiert wird, scheitert er an massiver französischer Intervention. Der von den Franzosen aus Damaskus Vertriebene wird aber später in Bagdad als Faisal I. den Thron besteigen. Des Herrschers einstiger Freund Lawrence wiederum hatte als Student vor 1914 Kreuzritter-Burgen in Nahost erwandert und vor allem dem britischen Archäologen Sir Leonard Woolley bei Ausgrabungen in den Ruinen der Hethiter-Siedlung Karkemish geholfen. Dort am Euphrat hatten die kleinasiatischen Hethiter, als sie um 1650 v. Chr. ein Reich schufen, bedeutsame Spuren hinterlassen; in deren Fußstapfen traten die phönizischen Seefahrer und Handelsleute.
In Jahrtausenden mittelöstlicher Geschichte findet sich manches begraben unter Sand. Die Liste ruhmreicher Könige im Zwischenstromland überspannt beinahe dreieinhalb Millennien. Sie reicht bis ins Jahr 539 v.Chr., als das Heer Babylons, geführt von Kronprinz Belsazar, von der persischen Armee unter Kyros eine vernichtende Niederlage erfuhr, obwohl zuvor noch die Babylonier die indo-iranischen Meder und den reichen König Krösos von Lydien geschlagen hatten.
Unter den Völkern, die im alten Orient einen Spitzenplatz in Kultur, Kunst, Geisteswissenschaft und Wirtschaft einnahmen, gebührt den Sumerern besondere Achtung. Sie kamen im vierten Jahrtausend v.Chr. ins südliche Mesopotamien, bildeten kleine Stadtstaaten und um 2350 ein einheitliches Staatswesen, das später im Großreich der Akkader unter Sargon I. aufging. Sie prägten Städte wie Uruk, Ur oder Eridu. Ur (arabisch Tel Muqqaiar) am Unterlauf des Euphrat war nach dem Alten Testament die Heimat von Abraham, den Juden, Christen und Muslime verehren. In Hebron (Palästina), in der Machpela-Höhle, über die sich jetzt die Ibrahim-Moschee erhebt, ist der Patriarch, wie es heißt, beigesetzt worden.
300 Jahre lang galt der Stadtstaat Uruk (Tel Warka) im dritten Millennium v. Chr. als Hauptstadt Mesopotamiens. Einer ihrer Priesterkönige ist unter dem Namen Gilgamesh in die Geschichte eingegangen. Seine 3000 Verse, auf Dutzenden Tontafeln in Keilschrift verewigt, haben Literatur begründet. Sein Epos enthält Erlebnisse, reale und erfundene, berichtet von Menschen und Taten, so vom Sieg über einen schrecklichen Herrn des Zedernwaldes oder von Ishtar, Göttin der Liebe, der Prozessionen gewidmet sein werden, die man noch heute auf der Berliner Museumsinsel bestaunen kann.
Dieser Gilgamesh hat wohl die erstaunlichste Sage Mesopotamiens erzählt. Sie ist, wie es der britische Religionswissenschaftler S.H. Hooke nennt, eingebettet in das Epos des Mannes aus Uruk - die Geschichte von der gewaltigen, aus den Bergen herabschießenden, Täler, Häuser, Wälder sowie Äcker überschwemmenden (Sint-)Flut. In der babylonischen Version der Schilderung heißt man den Helden Utnapishtim, in der sumerischen Form Ziusudra und in der Sprache der Bibel Noah. Dem ist es beschieden, in einem Schiff, dessen Bodenfläche der Übersetzer Albert Schott mit »ein Feld groß« umschreibt, mit Familie und allem Getier die Katastrophe zu bestehen und das Überleben der Menschen zu sichern. Seine Arche trieb zum Berge Nissir (nicht zum Ararat) heran, und der ließ sie »nicht wanken«.
Seit Menschengedenken werden tragende Flüsse und saubere Wasserquellen geschätzt. Der Norweger Thor Heyerdahl, der 1977 mit einem am Flussufer gebauten »Tigris«-Schilfrohr-Boot ins Arabische Meer des Indischen Ozeans eine Expedition startete, entdeckte auf der Halbinsel Bahrein den Handelsplatz »Dilmun« des antiken Morgenlandes, ebenso reich an Wasser wie an Grabhügeln, vielleicht der größte Friedhof aus sumerischer Zeit. Er nimmt die Augen der Besucher gefangen wie auch die fröhlich tauchenden Jungen und fleißigen Wäscherinnen an einem Speicherbecken.
Kein Zweifel, die Sumerer waren mehr als nur tüchtige Seefahrer. Auf Tafeln, bedeckt mit Figuren aus Perlmutt und Muscheln, werden Ausschnitte aus ihrem Leben vorgestellt. Deren Finder Woolley, Mentor von T. E. Lawrence, bezeichnet sie als eine »Mosaik-Standarte«. Den Sumerern zollen Ethnologen, Archäologien und Historiker immer wieder Respekt. »Von ihnen erhielten wir das Rad, die Kunst, Metalle zu schmieden, Bogen zu bauen, Stoff zu weben, Segel zu setzen, zu säen und Brot zu backen«, schreibt Heyerdahl im »Tigris«-Buch. »Von ihnen lernten wir die Schrift. Sie legten den Grundstein für die eigentliche Mathematik... Sie waren mit der Geographie vertraut. Wie sonst hätten sie wissen können, wohin sie zu fahren hatten, um Kupfer, Gold, Lapislazuli, Karneol, Alabaster und die vielen anderen für sie kostbaren Rohstoffe zu finden.«
Die Entwicklung der Keilschrift im antiken Mesopotamien bleibt ein Markstein in der Menschheitsgeschichte. Hammurapi, hat sein Gesetzeswerk für Staatsdiener und andere Untertanen nicht nur auf Tontafeln, sondern auf eine Stele einprägen lassen. Der Diorit, 1901 gefunden in der Residenzstadt Susa, enthält 282 bindende Weisungen, die noch jetzt als vernünftiges Recht gelten können. Ein Tontafel-(Brief-)Wechsel, ein Kupfer-Geschäft betreffend, bezeugt, wie die Keilschrift der Verständigung im Alltag nutzte. Anlass des ersten Gesetzeswerkes war das Gebaren eines Kaufmanns, der schlechte Ware dem Verfasser der Tontafel anzubieten suchte. Haltung und Wortwahl des Maklers wurden als verächtlich verurteilt. Dem Göttinger Gymnasiallehrer und Autodidakten Georg Friedrich Grotefend gelang es, drei Jahre nach Sieg und Niederlage von Napoleons Armee in Ägypten die Keilschrift zu entziffern. Man schrieb das Jahr 1802, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zitterte vor dem Korsen.
Mesopotamien war den Kulturen von Ägypten, Griechenland und Rom vorangegangen. In Babylon, dem Ort der »Hängenden Gärten«, pflasterte man Straßen mit Ziegeln, insbesondere die Prozessionsallee, die durch das Ishtar-Tor zum Stufen-Tempelturm, einem Zikkurat, führte. Haben nicht dort die Juden eine lange, bittere Gefangenschaft erduldet, nachdem sie Nebukadnezar II. aus dem zerstörten Jerusalem vertrieb? Erlebten und staunten sie nicht gleichzeitig, dass dieser Herrscher für sein Land Wasser anstauen, Kanäle zwischen den großen Strömen graben und imposante Bauten hatte errichten lassen? Zweihundert Jahre später schloss dort der ungestüme Makedonierkönig Alexander seine Augen - für immer...
Viele Jahrhunderte hindurch blieb Mesopotamien dem Imperium Romanum und der Dynastie der Sassaniden unterworfen. Letztere verstand es, ein neupersisches Reich vom Mittelmeer bis zum Indus zu regieren. Dann fegte ein Wind der Veränderungen ins Land, als der Islam, die Lehre des Kaufmanns Mohammed aus der Familie Beni Hashem in Mekka, die Menschen Arabiens und ihre Nachbarn elektrisierte. Reiterarmeen formierten sich unter der Fahne des Propheten und begannen, die Landkarten im Nahen und Mittleren Osten, am Nil und in Nordafrika, in Vorder- und Mittelasien, selbst auf der Iberischen Halbinsel zu korrigieren. Bald sollten sie an die Tore des griechisch-christlichen Königreiches Byzanz klopfen.
Aber die Kalifen, die Nachfolger des Propheten, lieferten sich inzwischen blutige Fehden. Die Omaiyaden mussten aus Damaskus und den Rivalen aus der Familie des Mohammed-Onkels Abbas weichen. Kalif Ali, Schwiegersohn von Mohammed, verlor 661 bei Kufa das Leben. Alis Sohn Hussein wird 680 in Kerbela ermordet, und die Gefolgsleute Alis finden sich in der »Schia Ali«, der Partei, zusammen, die den »nicht-legitimen« Oberherren den Gehorsam verweigert; die sunnitische Mehrheit der Muslime wurde mit einer schiitischen Glaubensgemeinschaft konfrontiert, die sich im Süden des Zwischenstromlandes, in Iran und auf saudiarabischer Seite des Golfs stabilisierte.
Die Macht im Kalifat gehörte jedoch nun den Abbasiden. Ihr Mann Dschaffar al-Mansur stützte sich auf die Armee und ein Spinnennetz von Spionen. Er holte aus Syrien, Persien, dem Mossul-Gebiet und Babylonien 100000 fähige Menschen, um nach seinen Plänen am Westufer des Tigris die Hauptstadt Bagdad aus dem Boden zu stampfen, bewehrt nach außen mit zwei wallähnlichen Mauern. Baumaterial waren (nach Joseph Hell, »Die Kunst der Araber«) Tonziegel, gebunden mittels Schilf und Erdpech. Nach vier Jahren, 762, »war alles fertig«, liest man in André Clots Biografie von Harun al-Raschid. Dieser Kalif, der zeitweilig in Khorasan und dem syrischen Raqqa residierte, verwandelte Bagdad in eine glänzende und wohlhabende Kapitale, in der zu seiner Zeit bereits eine Million Menschen lebten. Er könnte ein guter Fürst für den im frühen Mittelalter lebenden dichtenden Philosophen Omar Chaijam gewesen sein, dessen Vierzeiler Martin Remané 1983 so einfühlsam verdeutscht präsentierte: »Kein Atemzug, der Frieden nicht dir selber gibt! Kein Atemzug, der anderen den Frieden trübt! Das Leben ist das höchste Gut, und es beschert noch manch ein Glück dem, der es ehrt und wahrhaft liebt.«
»Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers«, heißt es in den Hadith, den gesammelten und überlieferten Lehren des Propheten Mohammed.
Unser Autor bereiste Irak und ist Mitglied der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft.
Wilhelm Gentz, Orientmaler und Fontane-Freund, Berlin, Dezember 1852
Kein seltener Fall in der Geschichte: Als Emir Faisal, Sohn des Scherifen von Mekka, am Ende eines Feldzuges, dessen Spiritus Rector Thomas Edward Lawrence hieß, in Damaskus zum Herrscher von Groß-Syrien proklamiert wird, scheitert er an massiver französischer Intervention. Der von den Franzosen aus Damaskus Vertriebene wird aber später in Bagdad als Faisal I. den Thron besteigen. Des Herrschers einstiger Freund Lawrence wiederum hatte als Student vor 1914 Kreuzritter-Burgen in Nahost erwandert und vor allem dem britischen Archäologen Sir Leonard Woolley bei Ausgrabungen in den Ruinen der Hethiter-Siedlung Karkemish geholfen. Dort am Euphrat hatten die kleinasiatischen Hethiter, als sie um 1650 v. Chr. ein Reich schufen, bedeutsame Spuren hinterlassen; in deren Fußstapfen traten die phönizischen Seefahrer und Handelsleute.
In Jahrtausenden mittelöstlicher Geschichte findet sich manches begraben unter Sand. Die Liste ruhmreicher Könige im Zwischenstromland überspannt beinahe dreieinhalb Millennien. Sie reicht bis ins Jahr 539 v.Chr., als das Heer Babylons, geführt von Kronprinz Belsazar, von der persischen Armee unter Kyros eine vernichtende Niederlage erfuhr, obwohl zuvor noch die Babylonier die indo-iranischen Meder und den reichen König Krösos von Lydien geschlagen hatten.
Unter den Völkern, die im alten Orient einen Spitzenplatz in Kultur, Kunst, Geisteswissenschaft und Wirtschaft einnahmen, gebührt den Sumerern besondere Achtung. Sie kamen im vierten Jahrtausend v.Chr. ins südliche Mesopotamien, bildeten kleine Stadtstaaten und um 2350 ein einheitliches Staatswesen, das später im Großreich der Akkader unter Sargon I. aufging. Sie prägten Städte wie Uruk, Ur oder Eridu. Ur (arabisch Tel Muqqaiar) am Unterlauf des Euphrat war nach dem Alten Testament die Heimat von Abraham, den Juden, Christen und Muslime verehren. In Hebron (Palästina), in der Machpela-Höhle, über die sich jetzt die Ibrahim-Moschee erhebt, ist der Patriarch, wie es heißt, beigesetzt worden.
300 Jahre lang galt der Stadtstaat Uruk (Tel Warka) im dritten Millennium v. Chr. als Hauptstadt Mesopotamiens. Einer ihrer Priesterkönige ist unter dem Namen Gilgamesh in die Geschichte eingegangen. Seine 3000 Verse, auf Dutzenden Tontafeln in Keilschrift verewigt, haben Literatur begründet. Sein Epos enthält Erlebnisse, reale und erfundene, berichtet von Menschen und Taten, so vom Sieg über einen schrecklichen Herrn des Zedernwaldes oder von Ishtar, Göttin der Liebe, der Prozessionen gewidmet sein werden, die man noch heute auf der Berliner Museumsinsel bestaunen kann.
Dieser Gilgamesh hat wohl die erstaunlichste Sage Mesopotamiens erzählt. Sie ist, wie es der britische Religionswissenschaftler S.H. Hooke nennt, eingebettet in das Epos des Mannes aus Uruk - die Geschichte von der gewaltigen, aus den Bergen herabschießenden, Täler, Häuser, Wälder sowie Äcker überschwemmenden (Sint-)Flut. In der babylonischen Version der Schilderung heißt man den Helden Utnapishtim, in der sumerischen Form Ziusudra und in der Sprache der Bibel Noah. Dem ist es beschieden, in einem Schiff, dessen Bodenfläche der Übersetzer Albert Schott mit »ein Feld groß« umschreibt, mit Familie und allem Getier die Katastrophe zu bestehen und das Überleben der Menschen zu sichern. Seine Arche trieb zum Berge Nissir (nicht zum Ararat) heran, und der ließ sie »nicht wanken«.
Seit Menschengedenken werden tragende Flüsse und saubere Wasserquellen geschätzt. Der Norweger Thor Heyerdahl, der 1977 mit einem am Flussufer gebauten »Tigris«-Schilfrohr-Boot ins Arabische Meer des Indischen Ozeans eine Expedition startete, entdeckte auf der Halbinsel Bahrein den Handelsplatz »Dilmun« des antiken Morgenlandes, ebenso reich an Wasser wie an Grabhügeln, vielleicht der größte Friedhof aus sumerischer Zeit. Er nimmt die Augen der Besucher gefangen wie auch die fröhlich tauchenden Jungen und fleißigen Wäscherinnen an einem Speicherbecken.
Kein Zweifel, die Sumerer waren mehr als nur tüchtige Seefahrer. Auf Tafeln, bedeckt mit Figuren aus Perlmutt und Muscheln, werden Ausschnitte aus ihrem Leben vorgestellt. Deren Finder Woolley, Mentor von T. E. Lawrence, bezeichnet sie als eine »Mosaik-Standarte«. Den Sumerern zollen Ethnologen, Archäologien und Historiker immer wieder Respekt. »Von ihnen erhielten wir das Rad, die Kunst, Metalle zu schmieden, Bogen zu bauen, Stoff zu weben, Segel zu setzen, zu säen und Brot zu backen«, schreibt Heyerdahl im »Tigris«-Buch. »Von ihnen lernten wir die Schrift. Sie legten den Grundstein für die eigentliche Mathematik... Sie waren mit der Geographie vertraut. Wie sonst hätten sie wissen können, wohin sie zu fahren hatten, um Kupfer, Gold, Lapislazuli, Karneol, Alabaster und die vielen anderen für sie kostbaren Rohstoffe zu finden.«
Die Entwicklung der Keilschrift im antiken Mesopotamien bleibt ein Markstein in der Menschheitsgeschichte. Hammurapi, hat sein Gesetzeswerk für Staatsdiener und andere Untertanen nicht nur auf Tontafeln, sondern auf eine Stele einprägen lassen. Der Diorit, 1901 gefunden in der Residenzstadt Susa, enthält 282 bindende Weisungen, die noch jetzt als vernünftiges Recht gelten können. Ein Tontafel-(Brief-)Wechsel, ein Kupfer-Geschäft betreffend, bezeugt, wie die Keilschrift der Verständigung im Alltag nutzte. Anlass des ersten Gesetzeswerkes war das Gebaren eines Kaufmanns, der schlechte Ware dem Verfasser der Tontafel anzubieten suchte. Haltung und Wortwahl des Maklers wurden als verächtlich verurteilt. Dem Göttinger Gymnasiallehrer und Autodidakten Georg Friedrich Grotefend gelang es, drei Jahre nach Sieg und Niederlage von Napoleons Armee in Ägypten die Keilschrift zu entziffern. Man schrieb das Jahr 1802, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zitterte vor dem Korsen.
Mesopotamien war den Kulturen von Ägypten, Griechenland und Rom vorangegangen. In Babylon, dem Ort der »Hängenden Gärten«, pflasterte man Straßen mit Ziegeln, insbesondere die Prozessionsallee, die durch das Ishtar-Tor zum Stufen-Tempelturm, einem Zikkurat, führte. Haben nicht dort die Juden eine lange, bittere Gefangenschaft erduldet, nachdem sie Nebukadnezar II. aus dem zerstörten Jerusalem vertrieb? Erlebten und staunten sie nicht gleichzeitig, dass dieser Herrscher für sein Land Wasser anstauen, Kanäle zwischen den großen Strömen graben und imposante Bauten hatte errichten lassen? Zweihundert Jahre später schloss dort der ungestüme Makedonierkönig Alexander seine Augen - für immer...
Viele Jahrhunderte hindurch blieb Mesopotamien dem Imperium Romanum und der Dynastie der Sassaniden unterworfen. Letztere verstand es, ein neupersisches Reich vom Mittelmeer bis zum Indus zu regieren. Dann fegte ein Wind der Veränderungen ins Land, als der Islam, die Lehre des Kaufmanns Mohammed aus der Familie Beni Hashem in Mekka, die Menschen Arabiens und ihre Nachbarn elektrisierte. Reiterarmeen formierten sich unter der Fahne des Propheten und begannen, die Landkarten im Nahen und Mittleren Osten, am Nil und in Nordafrika, in Vorder- und Mittelasien, selbst auf der Iberischen Halbinsel zu korrigieren. Bald sollten sie an die Tore des griechisch-christlichen Königreiches Byzanz klopfen.
Aber die Kalifen, die Nachfolger des Propheten, lieferten sich inzwischen blutige Fehden. Die Omaiyaden mussten aus Damaskus und den Rivalen aus der Familie des Mohammed-Onkels Abbas weichen. Kalif Ali, Schwiegersohn von Mohammed, verlor 661 bei Kufa das Leben. Alis Sohn Hussein wird 680 in Kerbela ermordet, und die Gefolgsleute Alis finden sich in der »Schia Ali«, der Partei, zusammen, die den »nicht-legitimen« Oberherren den Gehorsam verweigert; die sunnitische Mehrheit der Muslime wurde mit einer schiitischen Glaubensgemeinschaft konfrontiert, die sich im Süden des Zwischenstromlandes, in Iran und auf saudiarabischer Seite des Golfs stabilisierte.
Die Macht im Kalifat gehörte jedoch nun den Abbasiden. Ihr Mann Dschaffar al-Mansur stützte sich auf die Armee und ein Spinnennetz von Spionen. Er holte aus Syrien, Persien, dem Mossul-Gebiet und Babylonien 100000 fähige Menschen, um nach seinen Plänen am Westufer des Tigris die Hauptstadt Bagdad aus dem Boden zu stampfen, bewehrt nach außen mit zwei wallähnlichen Mauern. Baumaterial waren (nach Joseph Hell, »Die Kunst der Araber«) Tonziegel, gebunden mittels Schilf und Erdpech. Nach vier Jahren, 762, »war alles fertig«, liest man in André Clots Biografie von Harun al-Raschid. Dieser Kalif, der zeitweilig in Khorasan und dem syrischen Raqqa residierte, verwandelte Bagdad in eine glänzende und wohlhabende Kapitale, in der zu seiner Zeit bereits eine Million Menschen lebten. Er könnte ein guter Fürst für den im frühen Mittelalter lebenden dichtenden Philosophen Omar Chaijam gewesen sein, dessen Vierzeiler Martin Remané 1983 so einfühlsam verdeutscht präsentierte: »Kein Atemzug, der Frieden nicht dir selber gibt! Kein Atemzug, der anderen den Frieden trübt! Das Leben ist das höchste Gut, und es beschert noch manch ein Glück dem, der es ehrt und wahrhaft liebt.«
»Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers«, heißt es in den Hadith, den gesammelten und überlieferten Lehren des Propheten Mohammed.
Unser Autor bereiste Irak und ist Mitglied der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft.»Wir haben dem Orient seine Künste und Wissenschaften, seine Religionen und eine Unsumme technischer Fertigkeiten abgelernt. Wird nicht Europa jene entliehenen Güter einmal in veredelter Form mit Wucherzins an Asien zurückgeben?«
Wilhelm Gentz, Orientmaler und Fontane-Freund, Berlin, Dezember 1852
Kein seltener Fall in der Geschichte: Als Emir Faisal, Sohn des Scherifen von Mekka, am Ende eines Feldzuges, dessen Spiritus Rector Thomas Edward Lawrence hieß, in Damaskus zum Herrscher von Groß-Syrien proklamiert wird, scheitert er an massiver französischer Intervention. Der von den Franzosen aus Damaskus Vertriebene wird aber später in Bagdad als Faisal I. den Thron besteigen. Des Herrschers einstiger Freund Lawrence wiederum hatte als Student vor 1914 Kreuzritter-Burgen in Nahost erwandert und vor allem dem britischen Archäologen Sir Leonard Woolley bei Ausgrabungen in den Ruinen der Hethiter-Siedlung Karkemish geholfen. Dort am Euphrat hatten die kleinasiatischen Hethiter, als sie um 1650 v. Chr. ein Reich schufen, bedeutsame Spuren hinterlassen; in deren Fußstapfen traten die phönizischen Seefahrer und Handelsleute.
In Jahrtausenden mittelöstlicher Geschichte findet sich manches begraben unter Sand. Die Liste ruhmreicher Könige im Zwischenstromland überspannt beinahe dreieinhalb Millennien. Sie reicht bis ins Jahr 539 v.Chr., als das Heer Babylons, geführt von Kronprinz Belsazar, von der persischen Armee unter Kyros eine vernichtende Niederlage erfuhr, obwohl zuvor noch die Babylonier die indo-iranischen Meder und den reichen König Krösos von Lydien geschlagen hatten.
Unter den Völkern, die im alten Orient einen Spitzenplatz in Kultur, Kunst, Geisteswissenschaft und Wirtschaft einnahmen, gebührt den Sumerern besondere Achtung. Sie kamen im vierten Jahrtausend v.Chr. ins südliche Mesopotamien, bildeten kleine Stadtstaaten und um 2350 ein einheitliches Staatswesen, das später im Großreich der Akkader unter Sargon I. aufging. Sie prägten Städte wie Uruk, Ur oder Eridu. Ur (arabisch Tel Muqqaiar) am Unterlauf des Euphrat war nach dem Alten Testament die Heimat von Abraham, den Juden, Christen und Muslime verehren. In Hebron (Palästina), in der Machpela-Höhle, über die sich jetzt die Ibrahim-Moschee erhebt, ist der Patriarch, wie es heißt, beigesetzt worden.
300 Jahre lang galt der Stadtstaat Uruk (Tel Warka) im dritten Millennium v. Chr. als Hauptstadt Mesopotamiens. Einer ihrer Priesterkönige ist unter dem Namen Gilgamesh in die Geschichte eingegangen. Seine 3000 Verse, auf Dutzenden Tontafeln in Keilschrift verewigt, haben Literatur begründet. Sein Epos enthält Erlebnisse, reale und erfundene, berichtet von Menschen und Taten, so vom Sieg über einen schrecklichen Herrn des Zedernwaldes oder von Ishtar, Göttin der Liebe, der Prozessionen gewidmet sein werden, die man noch heute auf der Berliner Museumsinsel bestaunen kann.
Dieser Gilgamesh hat wohl die erstaunlichste Sage Mesopotamiens erzählt. Sie ist, wie es der britische Religionswissenschaftler S.H. Hooke nennt, eingebettet in das Epos des Mannes aus Uruk - die Geschichte von der gewaltigen, aus den Bergen herabschießenden, Täler, Häuser, Wälder sowie Äcker überschwemmenden (Sint-)Flut. In der babylonischen Version der Schilderung heißt man den Helden Utnapishtim, in der sumerischen Form Ziusudra und in der Sprache der Bibel Noah. Dem ist es beschieden, in einem Schiff, dessen Bodenfläche der Übersetzer Albert Schott mit »ein Feld groß« umschreibt, mit Familie und allem Getier die Katastrophe zu bestehen und das Überleben der Menschen zu sichern. Seine Arche trieb zum Berge Nissir (nicht zum Ararat) heran, und der ließ sie »nicht wanken«.
Seit Menschengedenken werden tragende Flüsse und saubere Wasserquellen geschätzt. Der Norweger Thor Heyerdahl, der 1977 mit einem am Flussufer gebauten »Tigris«-Schilfrohr-Boot ins Arabische Meer des Indischen Ozeans eine Expedition startete, entdeckte auf der Halbinsel Bahrein den Handelsplatz »Dilmun« des antiken Morgenlandes, ebenso reich an Wasser wie an Grabhügeln, vielleicht der größte Friedhof aus sumerischer Zeit. Er nimmt die Augen der Besucher gefangen wie auch die fröhlich tauchenden Jungen und fleißigen Wäscherinnen an einem Speicherbecken.
Kein Zweifel, die Sumerer waren mehr als nur tüchtige Seefahrer. Auf Tafeln, bedeckt mit Figuren aus Perlmutt und Muscheln, werden Ausschnitte aus ihrem Leben vorgestellt. Deren Finder Woolley, Mentor von T. E. Lawrence, bezeichnet sie als eine »Mosaik-Standarte«. Den Sumerern zollen Ethnologen, Archäologien und Historiker immer wieder Respekt. »Von ihnen erhielten wir das Rad, die Kunst, Metalle zu schmieden, Bogen zu bauen, Stoff zu weben, Segel zu setzen, zu säen und Brot zu backen«, schreibt Heyerdahl im »Tigris«-Buch. »Von ihnen lernten wir die Schrift. Sie legten den Grundstein für die eigentliche Mathematik... Sie waren mit der Geographie vertraut. Wie sonst hätten sie wissen können, wohin sie zu fahren hatten, um Kupfer, Gold, Lapislazuli, Karneol, Alabaster und die vielen anderen für sie kostbaren Rohstoffe zu finden.«
Die Entwicklung der Keilschrift im antiken Mesopotamien bleibt ein Markstein in der Menschheitsgeschichte. Hammurapi, hat sein Gesetzeswerk für Staatsdiener und andere Untertanen nicht nur auf Tontafeln, sondern auf eine Stele einprägen lassen. Der Diorit, 1901 gefunden in der Residenzstadt Susa, enthält 282 bindende Weisungen, die noch jetzt als vernünftiges Recht gelten können. Ein Tontafel-(Brief-)Wechsel, ein Kupfer-Geschäft betreffend, bezeugt, wie die Keilschrift der Verständigung im Alltag nutzte. Anlass des ersten Gesetzeswerkes war das Gebaren eines Kaufmanns, der schlechte Ware dem Verfasser der Tontafel anzubieten suchte. Haltung und Wortwahl des Maklers wurden als verächtlich verurteilt. Dem Göttinger Gymnasiallehrer und Autodidakten Georg Friedrich Grotefend gelang es, drei Jahre nach Sieg und Niederlage von Napoleons Armee in Ägypten die Keilschrift zu entziffern. Man schrieb das Jahr 1802, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zitterte vor dem Korsen.
Mesopotamien war den Kulturen von Ägypten, Griechenland und Rom vorangegangen. In Babylon, dem Ort der »Hängenden Gärten«, pflasterte man Straßen mit Ziegeln, insbesondere die Prozessionsallee, die durch das Ishtar-Tor zum Stufen-Tempelturm, einem Zikkurat, führte. Haben nicht dort die Juden eine lange, bittere Gefangenschaft erduldet, nachdem sie Nebukadnezar II. aus dem zerstörten Jerusalem vertrieb? Erlebten und staunten sie nicht gleichzeitig, dass dieser Herrscher für sein Land Wasser anstauen, Kanäle zwischen den großen Strömen graben und imposante Bauten hatte errichten lassen? Zweihundert Jahre später schloss dort der ungestüme Makedonierkönig Alexander seine Augen - für immer...
Viele Jahrhunderte hindurch blieb Mesopotamien dem Imperium Romanum und der Dynastie der Sassaniden unterworfen. Letztere verstand es, ein neupersisches Reich vom Mittelmeer bis zum Indus zu regieren. Dann fegte ein Wind der Veränderungen ins Land, als der Islam, die Lehre des Kaufmanns Mohammed aus der Familie Beni Hashem in Mekka, die Menschen Arabiens und ihre Nachbarn elektrisierte. Reiterarmeen formierten sich unter der Fahne des Propheten und begannen, die Landkarten im Nahen und Mittleren Osten, am Nil und in Nordafrika, in Vorder- und Mittelasien, selbst auf der Iberischen Halbinsel zu korrigieren. Bald sollten sie an die Tore des griechisch-christlichen Königreiches Byzanz klopfen.
Aber die Kalifen, die Nachfolger des Propheten, lieferten sich inzwischen blutige Fehden. Die Omaiyaden mussten aus Damaskus und den Rivalen aus der Familie des Mohammed-Onkels Abbas weichen. Kalif Ali, Schwiegersohn von Mohammed, verlor 661 bei Kufa das Leben. Alis Sohn Hussein wird 680 in Kerbela ermordet, und die Gefolgsleute Alis finden sich in der »Schia Ali«, der Partei, zusammen, die den »nicht-legitimen« Oberherren den Gehorsam verweigert; die sunnitische Mehrheit der Muslime wurde mit einer schiitischen Glaubensgemeinschaft konfrontiert, die sich im Süden des Zwischenstromlandes, in Iran und auf saudiarabischer Seite des Golfs stabilisierte.
Die Macht im Kalifat gehörte jedoch nun den Abbasiden. Ihr Mann Dschaffar al-Mansur stützte sich auf die Armee und ein Spinnennetz von Spionen. Er holte aus Syrien, Persien, dem Mossul-Gebiet und Babylonien 100000 fähige Menschen, um nach seinen Plänen am Westufer des Tigris die Hauptstadt Bagdad aus dem Boden zu stampfen, bewehrt nach außen mit zwei wallähnlichen Mauern. Baumaterial waren (nach Joseph Hell, »Die Kunst der Araber«) Tonziegel, gebunden mittels Schilf und Erdpech. Nach vier Jahren, 762, »war alles fertig«, liest man in André Clots Biografie von Harun al-Raschid. Dieser Kalif, der zeitweilig in Khorasan und dem syrischen Raqqa residierte, verwandelte Bagdad in eine glänzende und wohlhabende Kapitale, in der zu seiner Zeit bereits eine Million Menschen lebten. Er könnte ein guter Fürst für den im frühen Mittelalter lebenden dichtenden Philosophen Omar Chaijam gewesen sein, dessen Vierzeiler Martin Remané 1983 so einfühlsam verdeutscht präsentierte: »Kein Atemzug, der Frieden nicht dir selber gibt! Kein Atemzug, der anderen den Frieden trübt! Das Leben ist das höchste Gut, und es beschert noch manch ein Glück dem, der es ehrt und wahrhaft liebt.«
»Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers«, heißt es in den Hadith, den gesammelten und überlieferten Lehren des Propheten Mohammed.
Unser Autor bereiste Irak und ist Mitglied der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft.
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