• Kultur
  • Reportage - Österreich

»Sauffen« wie zu Ritters Zeiten

Die Riegersburg zwischen turbulenter Vergangenheit und ungewisser Zukunft

  • Wolfgang Weiß
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

»Anno 1635, den 6. April, hat das Sauffen angehebt und Ale Tage ein Rausch gegeben biß auff den 26. detto.« Eine Butzenscheibe im Nordfenster des Rittersaales der Riegersburg kündet von dem dreiwöchigen Besäufnis der feinen Herren von Urschenpeckh.

Noch heute kann sich jeder, der den großen, hohen Saal mit seiner wuchtigen Kassettendecke betritt, gut vorstellen, wie die adligen Herren der Steiermark hier einst an langen Tischen becherten. Der um 1600 erbaute Saal gehört zum Schönsten, was aus Renaissance-Zeiten erhalten blieb. Zu diesem Eindruck tragen auch drei prachtvollen Türportalaufbauten bei, die bis zur Decke reichen. Ein fast sechs Meter hoher Kachelofen rundet das Gesamtbild ab. Sechs Raummeter Holz mussten verheizt werden, um den Saal auch nur einigermaßen warm zu kriegen. Der Besuch des Rittersaales gehört zu den Höhepunkten jeder Führung auf der Riegersburg. Das Festungsbauwerk auf einem 482 Meter hohen Vulkankegel gilt als Wahrzeichen der Oststeiermark und ist eine der besterhaltenen und imposantesten europäischen Burganlagen überhaupt. Im 11. Jahrhundert erbaut, erhielt sie ihre heutige Gestalt sechs Jahrhunderte später unter der Burgherrin Katharina Elisabeth Freifrau von Galler, der »schlimmen Liesl«, wie sie wegen zahlreicher Prozesse und Streitigkeiten mit ihren Nachbarn genannt wurde. Fast drei Kilometer Wehrmauern mit Schießscharten, elf Basteien und sieben Torgebäude, die das 15 Hektar große Felsplateau umschließen, machten die Riegersburg zur »stärksten Festung der Christenheit«, so der kaiserlich-österreichische Feldmarschall Montecuccoli. Sie wurde niemals eingenommen. Als türkische Heerscharen bis vor Wien zogen, machten sie um die Riegersburg einen Bogen. Seit 1822 befindet sich das Bauwerk mit über 100 Räumen im Privatbesitz der fürstlichen Familie Liechtenstein. Im Kellergeschoss der Burg beleuchtet eine Ausstellung über die Verfolgung des »Verbrechens der Zauberei« ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte. Nicht etwa im finsteren Mittelalter, sondern von 1600 bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurden allein in der Steiermark 300 Männer und vor allem Frauen aller Altersgruppen als Zauberer und Hexen angeklagt und oft nach barbarischer Folter auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Ausstellung geht den sozialpolitischen Ursachen für die grausamen Verfolgungen nach, die sich vor allem gegen Randgruppen und Unterschichten richteten. Am schönsten zeigt sich die Burg von Süden, wenn man von der steirischen Kreisstadt Feldbach kommt. Aus dieser Richtung beeindruckt die trutzige Wucht ihrer Befestigungsanlagen besonders. Der Aufstieg zur Festung, der bei der Kirche des Dorfes Riegersburg beginnt, verlangt gute Kondition. Der mit grob behauenen Granitplatten belegte und von Felsbrocken gesäumte Weg ist steil und beschwerlich. Man könnte die fast drei Kilometer lange Strecke natürlich auch mit einem geländegängigen Fahrzeug bewältigen, doch solcher Luxus bleibt der Hausherrin vorbehalten. Prinzessin Annemarie von und zu Liechtenstein trägt keine Krone, sondern ein Dirndl, als sie uns im Innenhof des Burgschlosses empfängt, um uns etwas über die Geschichte das Hauses Liechtenstein zu erzählen. Das österreichische Adelsgeschlecht lässt sich bis auf das Jahr 1200 zurückverfolgen. Damals machten sich der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein und sein Zeitgenosse Heinrich als Heerführer einen Namen. Mitglieder des Hauses Liechtenstein prägten die österreichische Geschichte als Politiker, Militärs, Diplomaten oder Erzieher kaiserlicher Majestäten. Sie häuften im Laufe der Jahrhunderte Ländereien in Österreich, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen an. Das heutige Fürstentum Liechtenstein an der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz ist die einzige verbliebene deutschsprachige Monarchie. Ihr eigenwilliger Herrscher, Fürst Franz Adam II., ist ein Großcousin der Liechtensteins von der Riegersburg. Auch einen »roten Prinzen« hält das Adelsgeschlecht bereit: Der sozial-reformatorisch inspirierte Aloys Liechtenstein gehört zu den Begründern der christlich-sozialen Bewegung. Prinzessin Annemarie, eine kleine, energische Frau ohne Dünkel, die mit den Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht, sieht sich mit vielen Unwägbarkeiten konfrontiert. Die größte Herausforderung bestehe darin, Wege und vor allem Mittel zu finden, um den Erhalt von Burg- und Schlossanlage zu sichern. Auf der Terrasse der Burgtaverne, die einen herrlichen Blick über Hügel und Wälder des steirischen Thermenlandes bietet, schildert sie die Probleme, die vor allem finanzieller Art sind. Allein die dringend notwendige neue Dacheindeckung verschlang eine siebenstellige Summe. Dafür reichten die landwirtschaftlichen Erträge aus den im Familienbesitz befindlichen Gütern um die Riegersburg bei weitem nicht aus. Von ihrem Mann, Prinz Friedrich, einem Privatgelehrten in klassischem Sinn, hat sie wenig Unterstützung zu erwarten. »Er ist der einzige verheiratete Junggeselle, den ich kenne«, ironisiert sie das Verhältnis. Vor allem möchte sie mehr zahlende Besucher auf die Burg locken. Ein Aufzug könnte den beschwerlichen Aufstieg ersetzen und die Burg auch für Ältere erreichbar machen. Die so erhöhte Attraktivität, spekuliert die clevere Schlossherrin, müsste auch der steirischen Landesregierung etwas wert sein und entsprechende Mittel fließen lassen. Bis dahin will Prinzessin Annemarie die Jugend des Dorfes für Aufstiegshilfen gewinnen. Ein größerer Parkplatz auf halbem Wege zwischen Dorf und Schloss gelegen, so überlegt die Hausherrin, wäre auch nicht schlecht. Den legendären Rittersaal vermietet die geschäftstüchtige Prinzessin auch für Firmen- und Familienfeste. Von Gelagen in neuerer Z...

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