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  • Zum 1.10. Geburtstag des großen Demokraten Franklin Delano Roosevelt / Seine „Vier Freiheiten“ sind noch unerfüllt

Der Weltverbesserer im Weißen Haus von Washington

  • Lesedauer: 4 Min.

Am 30, Januar 1882 wurde in Hyde Park im US-Bundesstaat New York Franklin Delano Roosevelt geboren. 1933 sollte er der 32. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Schon zu Lebzeiten schieden sich an ihm die Geister: „Verräter seiner Klasse“ nannten ihn konservative Unternehmer, „Freund der Arbeiterklasse“ manche Gewerkschafter. Auf der internationalen Bühne agierte er als Gegenspieler des Faschismus; die politische Rechte sieht in ihm noch heute den Mann, der Stalin leichtfertig vertraute und ihm halb Europa „überließ“. Sich selbst sah Roosevelt schlicht als „Christ und Demokrat“.

Den er 1932 im Präsidentenwahlkampf herausgefordert hatte, das war Herbert Hoover. Dessen Regierungszeit deckte sich mit der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise. Hoover war überzeugt, die amerikanische Wirtschaft könne sich gleichsam an den eigenen Haaren aus dem Sumpf herausziehen, wenn man sie nur der Privatindustrie und dem überließe, was man heute die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ nennt. Roosevelt indes hielt dem entgegen, daß der Wirtschaftsphilosophie des freien Spiels der Kräfte ein falsches Menschenbild zugrunde liege. Dieses gehe davon aus, daß der Mensch unfähig sei, in die angeblich unwandelbaren Gesetze des Marktes einzugreifen und daher periodisch auftretende Krisen eben hinnehmen müsse. „Während sie von ökonomischen Gesetzen schwätzen, sterben Frauen und Männer“, kritisierte Roosevelt seine Gegner. Dies verbreite nicht nur Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Furcht unter den Menschen, sondern begünstige auch die Minder-

Franklin Delano Roosevelt

heit der „Selbstsüchtigen“ an der Spitze der sozialen Pyramide. Diejenigen ohne Geld, Macht und sozialen Status würden darüber zu „vergessenen Menschen“. Der Staat dürfe sich aber nicht als Sachwalter der privilegierten Minderheit begreifen, sondern habe gerade das Wohl der einfachen Leute durch praktische wirtschafts- und

Fotos: N D/Archiv

sozialpolitische Maßnahmen zu fördern.

Geistige Grundlage der Rooseveltschen Politik war die Philosophie Thomas Jeffersons, des Verfassers der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Das politische Denken Jeffersons läßt sich auf zwei einfache ethische Grundsätze zurückführen: Ziel des Le-

bens ist das individuelle Glück; Aufgabe des Staates ist es, dieses Glück zu sichern und zu mehren.

Mit seinem New Deal entwickelte Roosevelt eine Strategie gegen die Krise. New Deal, das war ein Komplex von öffentlichen Arbeiten, Beschäftigungsprogrammen, Fördermaßnahmen für die Landwirtschaft, der Einführung von Sozialversicherungen, der Stärkung der Gewerkschaftsrechte sowie von Wohnungs- und Umweltschutzprogrammen, die Wenigstens etwas die Not linderten und den Einfluß der Konzerne begrenzten.

Sem politisches Credo faßte Roosevelt 1941 in der Proklamation von „Vier Freiheiten“ zusammen: „Die erste Freiheit ist die Freiheit der Rede und der Meinungsäußerung in der ganzen Welt. Die zweite Freiheit ist die Freiheit eines jeden Menschen in der Welt, Gott auf seine Weise zu dienen. Die dritte Freiheit ist die Freiheit von Not. Von einem globalen Standpunkt aus bedeutet dies eine weltweite wirtschaftliche Verständigung, die jeder Nation ein gesundes, friedliches Leben sichert. Die vierte Freiheit ist die Freiheit von Furcht. Von einem globalen Standpunkt aus bedeutet dies weltweite Abrüstung, 'so gründlich und so weitgehend, daß kein Volk mehr in der Lage sein wird, irgendwo in der Welt irgendeinen Nachbarn mit Waffengewalt anzugreifen.“

Die „Vier Freiheiten“ deuten Roosevelts außenpolitische Zielsetzung an, die er nach der Konferenz von Jalta am 1. März 1945 vor dem Kongreß in Washington formulierte: „Der Weltfriede ist keine Parteifrage. Das Gebäude des Weltfriedens kann nicht das Werk eines einzelnen Mannes, einer einzelnen Partei oder einer einzelnen Nation sein. Es kann nicht ein amerikani-

scher, britischer, russischer, französischer oder chinesischer Frieden sein. Es kann auch kein Frieden der großen oder der kleinen Nationen sein. Es muß ein Frieden sein, der auf den kooperativen Bemühungen der ganzen Welt beruht.“ Bereits 1929 hatte er betont, „daß unsere Zivilisation nicht weiterleben kann, wenn wir nicht unsere persönliche Verantwortung als Individuen gegenüber der ganzen übrigen Welt und unsere Abhängigkeit von ihr erkennen“. Dabei ging es ihm nicht nur um ethische Überzeugungen, er ahnte die Konsequenzen des heranbrechenden „Atomzeitalters“ In seinem letzten, nicht mehr vorgetragenen Redemanuskript heißt es: „Heute hat die Wissenschaft die verschiedenen Gegenden des Erdballs so nahe aneinandergerückt, daß es unmöglich ist, sie voneinander zu isolieren. Heute stehen wir vor der alles überragenden Tatsache, daß wir, wenn die Zivilisation fortleben will, die Wissenschaft der menschlichen Beziehungen pflegen müssen - das Vermögen aller Völker aller Art, friedlich in der gleichen Welt zusammenzuleben und zusammenzuarbeiten. “

Über Franklin Delano Roosevelts „verhangene Seele“, die Ernsthaftigkeit seiner Ideale ist viel diskutiert worden. Sein politischer Inti-, mus Harry L. Hopkins sagte einmal: „Den eigentlichen Roosevelt, den werden Sie gewahr, wenn er mit solchen Dingen auftritt wie den Vier Freiheiten. Er glaubt daran. Er glaubt ernstlich, daß sie praktisch verwirklicht werden können.“ Jedenfalls: In den Büros der Wall Street knallten die Sektkorken, als am 12. April 1945 die Rundfunksender den Tod des Präsidenten meldeten.

BERNHARD PRIESMEIER

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