Gewissheit von der Ungewissheit

Martin Crimps »Spiel mit Wiederholungen« in deutschsprachiger Erstaufführung in Dresden

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Er hat einen neuen Ton in die britische zeitgenössische Dramatik gebracht: der 37-jährige Martin Crimp. Reagierten die Kane und Ravenhill auf die menschliche Kälte und den um sich greifenden Ellbogenindividualismus der Thatcher-Ära mit ihren blutigen Extremszenarien, so sucht Crimp nach der künstlerischen Überhöhung der Alltagsrealität. Es gibt keine Aussagen, die man »schwarz auf weiß nach Hause tragen« kann; eine befriedigende Schlusslösung ist nicht in Sicht. Einfache Wahrheiten sind nicht zu haben. Es ist, als ob er das Grundthema seines Vorbilds Harold Pinter variieren will: die Gewissheit der Ungewissheit. In »Angriff auf Anne«, jenem Stück, in dem das Bild einer abwesenden Frau aus sich widersprechenden Zeugenaussagen zusammengefügt werden soll, wollen sich die Scherben der Erinnerung nicht zu einem stimmigen Ganzen verbinden, und in »Handel mit Clair« verschwindet ein Paar, und es bleibt offen, ob das ein inszenierter Ausstieg war oder die Folge von Selbstmord. Auch in seinem 1989 geschriebenen »Spiel mit Wiederholungen« kommen Spieler wie Zuschauer der Wahrheit nicht eigentlich auf die Spur. Der 30-jährige Tony Steadman stellt sich die Frage, ob sein Leben anders verlaufen wäre, wenn er an gewissen Schlüsselstellungen seiner Biografie anders gehandelt hätte. Er kann sich der Befürchtung nicht erwehren, sinnlos gelebt und sich um seine Chancen betrogen zu haben. Was wäre gewesen, wenn er sich tatsächlich um den Posten des Abteilungsleiters beworben hätte oder wenn er das zufällige Zusammentreffen mit dem Mädchen Heather zum Ausgangspunkt einer Liebes- und Ehebeziehung gemacht hätte? Auf rätselhafte Weise bietet sich ihm die Möglichkeit, jene Schlüsselstellen wiederholen zu können. Jedoch: Die große Chefin des Unternehmens nährt in ihm die Zweifel, ob er für den angestrebten Posten geeignet ist, und die heimlich angebetete Heather kann sich nicht mehr erinnern und entzieht sich seinen plumpen handgreiflichen Annäherungsversuchen durch die Flucht. Wie er es anfängt, ist es falsch. Hat er doch bisher gemeint, in seiner ersten Begegnung mit Heather durch Passivität und demonstriertes sexuelles Desinteresse alles vermasselt zu haben. Am Ende beginnt alles von vorn: Tony behauptet nach wie vor, seine Chancen verpasst zu haben. Ob »Erfolg« überhaupt wünschenswert gewesen wäre, stellt der Autor mit einem fiktiven Auftritt der anscheinend zu Tonys klagender Ehefrau avancierten Heather in Frage - so als wollte er sagen: Das wäre sein Preis gewesen. Crimp hat ganz konkrete Szenen an ganz konkrete szenische Schauplätze geknüpft: an die Bahnhofskneipe, das Büro und den Waschsalon - wohl ahnend, dass seine tiefenpsychologischen Fragestellungen einer Verankerung in konkreten Spielhandlungen und schlüssigen Figurenbeziehungen bedürfen. Hier liegt das Problem der Inszenierung. Regisseur Philipp Stemann hat sich von seiner Bühnenbildnerin Birgit Stoessel in der ehemaligen Fabrikhalle in der Tharanter Straße eine abstrakte Raumbühne bauen lassen. Im Zentrum der Spielfläche ein kniehohes Podest, in das ein sich drehender Ring eingefügt ist. Auf diesem zirka einen Meter breiten Ring geht am Anfang Tony gegen die Fahrtrichtung und redet in vielfachen Wiederholungen von dem Zug, der in den Tunnel einfährt und nicht wiederkehrt - eine Metapher für das unaufhaltsam dahinfahrende Leben. An manchen anderen Stellen schafft das Spiel auf dem sich drehenden Ring durchaus erhellende gleichnishafte Aussagen, die über ein Illustrieren des Vorgangs hinausgehen. Auf dem Ring sitzend, entfernt sich im Rahmen der zweiten Begegnung Heather, um dann, völlig mit eigenen Gedanken beschäftigt, den Verehrer zu umkreisen. Mit zunehmender Spieldauer offenbart sich jedoch, dass der Verzicht auf konkrete Spielorte der Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit des Geschehens schadet. Der philosophisch anspruchsvolle Text stellt sich mehr und mehr als Kopfgeburt dar, der Dialog wird zu einem ununterbrochenen philosophischen Diskurs. Da werden auch schauspielerisch sensibel gearbeitete Szenen wie die Wiederbegegnung von Heather (Ute Baggeröhr) und Tony (Stephan Thiel) vom Dauerphilosophieren verdrängt, da hilft es auch nicht, dass dem überdurchschnittlich wandlungsfähigen Thomas Martin allerhand skurrile Figuren gelingen. Dem Publikum, das Crimps Stück nicht gelesen hat, teilen sic...

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