Hitlers Hunde
Michael Degen: »Blondi«
Kein Kontinent der Geschichtsschreibung ist so erkundet wie Hitler und sein Reich. Nirgends ein weißer Fleck. Hitlers Generäle, Hitlers Frauen, Hitlers Finanziers, Köche, Schneider und Barbiere - alles ist erforscht, jede Facette ausgeleuchtet. Nur ein Thema fehlt: Hitlers Hunde! Welch erstaunliche Lücke, wenn man bedenkt, dass dem Führer bis zuletzt kein Wesen so nahe stand, wie seine Schäferhündin Blondi.«
So ließe sich eine bitterböse Satire á la Woody Allen auf einen Medienbetrieb beginnen, in dem jedes drittklassige Buch, jede viertklassige Serie noch ein Millionenpublikum erreicht, wenn nur dieser eine Name im Titel steht. Was den Amerikanern Al Capone, ist den Deutschen ihr Schickelgruber: eine Gestalt, deren Untaten gruseln lassen, und die eben deshalb fasziniert. Jede Beschäftigung mit ihm wird zum Geschäft, Moral zum Profit. Der Schauspieler Michael Degen, der das Dritte Reich nur überlebt hat, weil Deutsche ihn als »Judenkind« versteckt hielten, lässt nun seinem Bestseller »Nicht alle waren Mörder« eine solche Satire folgen: den Roman »Blondi«. Was ihn auszeichnet, ist sein jüdischer Humor, das Lachen als Notwehr des Geistes, des Lebens in tödlicher Gefahr.
Ein Aberwitz schon die Idee des Buches: Die Seele einer Jüdin wird in einer Hündin mit »arisch« blondem Fell wiedergeboren, in das sich Hitler verliebt. Er dressiert sie auf seinem Obersalzberger Landhaus, verlangt ihr als Nachfolgerin seiner Lieblinge »Prinz« und »Wolf« höchste Sprünge ab, will mit ihr in der »Wolfsschanze« eine neue Rasse züchten und lässt sie zum kollektiven Selbstmord in den Führerbunker bringen.
Das Unerhörte daran: Ihr vormaliger Leib stirbt gleich auf den ersten Seiten in einer Gaskammer von Auschwitz. Ich kenne nichts Vergleichbares in der deutschen Literatur. Nur ein jüdischer Autor darf von dieser Grenzerfahrung seines Volkes berichten. Darf sich das allzu Menschliche auch dieses Todes vorstellen, den Augenblick des Nochlebens, in dem Männer mit letzten Trieben noch Frauen bedrängen. Und ebenso radikal menschlich wird der Unmensch gezeigt: das Nervenbündel Hitler, das in seinen Verkrampfungen nicht einmal ein Tier zu lieben vermag.
Allerdings bleibt dieser zweite Blick, wie so vieles in dem Roman, nur eine gute, eine großartig boshafte Idee, die das moralisierende Geschichtsbild der Hitler-Manufakturen sprengen könnte, die aber leider nicht eingelöst wird. Der selbst ernannte Führer bleibt zu blass, erscheint zu wenig als handelnde Figur, und die »Gespräche« zwischen den Hunden wirken wie abstrakte Botenberichte. Da hilft auch der Überraschungseffekt nicht, dass sich »Prinz« am Ende als Wiedergeburt von Friedrich II. erweist, der hilflos mit ansehen muss, wie der Österreicher die preußischen Tugenden ad absurdum führt.
Besonders schade ist es um eine dritte Ebene: Um Dialoge mit Gott, der die Ich- Erzählerin wegen ihrer jüdischen Knechtseligkeit zur Hündin verwandelt, um ihren Herrn menschlich zu stimmen. Hier, wo er an die Wurzeln des Menschseins rührt, treten die Schwächen des Romans am deutlichsten zu Tage. Und dennoch wünsche ich dem Buch, dass es einen Streit anregen, dass es die Deutschen aus ihrem ewigen Schwanken zwisch...
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