»Dieser Vorstand hat keine Autorität«

PDS-Chefin Gabriele Zimmer über die Krise in der Partei und deren letzte Chance

  • Lesedauer: 7 Min.
Die PDS kommt aus der Krise nicht heraus. Hatte sich Parteichefin Gabriele Zimmer auf dem Geraer Parteitag im Oktober 2002 gegen den damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und seinen Kurs durchgesetzt, so bescheinigt sie nun dem neuen Vorstand Handlungsunfähigkeit. ND sprach mit ihr über Gründe und Folgen der aktuellen Auseinandersetzungen.
ND: Die PDS-Spitze ist ein gutes halbes Jahr nach ihrer Wahl zutiefst zerstritten und nach Ihrer Ansicht handlungsunfähig. Erleben wir jetzt einen Machtkampf oder einen politischen Richtungsstreit?
Zimmer: Das kann man nicht trennen. Ich habe auf dem Geraer Parteitag von einem Großteil der Delegierten den Auftrag bekommen, mit diesem Vorstand die kommenden Europa- und Landtagswahlen vorzubereiten und die Programmdebatte zu einem Endpunkt zu bringen. Aber so, wie dieser Vorstand jetzt arbeitet und sich selbst versteht, schaffen wir das nicht - das muss ich feststellen. Begonnen haben diese Probleme im Vorstand unmittelbar nach Gera. Da ging es ja nicht nur um die Wachbuch-Affäre, sondern auch um die Frage, wie diejenigen, die in Gera verloren haben, weiter in die PDS-Politik einbezogen werden können. Das ist ein Punkt, bei dem es zwischen dem Bundesgeschäftsführer und dem stellvertretenden Vorsitzenden Diether Dehm einerseits und mir andererseits immer wieder zu Auseinandersetzungen kam.

Heißt das, in Gera wurde personell anders entschieden als inhaltlich?
Aus heutiger Sicht sage ich, es war ein Fehler, diesen Parteitag so kurz nach der Niederlage bei der Bundestagswahl stattfinden zu lassen. In Gera haben sich Menschen relativ kurzfristig entschieden, für den Vorstand anzutreten - oder sich zurückzuziehen. Nach dem Parteitag war ich der Meinung, dass niemand das Recht hat, in Siegerpose herumzulaufen. Heute müssen wir sagen, dass es nicht gelungen ist, gemeinsames Handeln hinzubekommen, um die PDS aus der Krise herauszuführen. Diese Verantwortung spitzt sich nicht nur auf die in Gera Gewählten zu. Allerdings wurden meine Bemühungen auch diskreditiert, bis hin zu dem Vorwurf, ich sei zu den Parteirechten übergelaufen.

Im Vorstand?
Im Umfeld des Vorstands, auch in persönlichen Gesprächen mit mir.

Heißt das, Sie haben seit Gera auf dem falschen Dampfer gesessen?
Zumindest hatte ich diese Befürchtung. Ich erinnere daran, dass ich gemeinsam mit meinen Stellvertretern Peter Porsch, Heidi Lüth im Dezember Diether Dehm aufgefordert habe, eine Auszeit zu nehmen. Damals habe ich ebenso wenig die Mehrheit im Vorstand bekommen wie im Januar für einen Vier-Punkte-Antrag, in dem es auch um die Strategie- und die Programmdebatte ging.

Wenn Sie jetzt den Rücktritt des Vorstands fordern - ist ihm dann nicht ab sofort jegliche Arbeitsgrundlage entzogen?
Dieser Vorstand als Ganzes konnte keine Autorität in der Partei gewinnen. Natürlich muss er den Sonderparteitag vorbereiten, wenn er beschlossen werden sollte.

Über das »Wie weiter« reden Sie aber offenbar weniger mit dem Vorstand, sondern eher mit den Landesvorsitzenden. Das Tischtuch zwischen Ihnen sowie Hiksch und Dehm ist doch offenbar zerschnitten.
Es mag zerschnitten sein, trotzdem haben wir die politische Verantwortung, mit der entstandenen Situation umzugehen. Und was die Beratung mit den Landesvorsitzenden betrifft: Ich habe als Vorsitzende das Recht, mich mit Leuten zu beraten, die in der Partei wichtig sind.

Der Streit um den Umgang mit einem Reformalternativen-Papier ist ja eher ein Anlass für den Bruch im Vorstand - welche sind die inhaltlichen Differenzen?
Es gibt unterschiedliche Einschätzung über die Situation der PDS. Ich glaube nicht, dass man jetzt auf eine Forsa-Umfrage verweisen kann, wonach die PDS fünf Prozent bekäme, und das auf die gute Arbeit des Vorstands zurückführen. Ich sehe eine tiefgehende Gefährdung der PDS, und die überwinden wir nur, wenn der Vorstand die Unterstützung der Landesverbände hat und Autorität in der Partei genießt. In den letzten Wochen wurde ich zunehmend von jenen kritisiert, die mich in Gera unterstützt haben - aus Basisorganisationen und Kreisverbänden, weil der Vorstand beispielsweise in der Auseinandersetzung mit der Agenda 2010 zu wenig spürbar ist. Insofern ist der Streit über das Reformpapier von Dieter Klein Ausdruck der Krise im Parteivorstand. Zur Krise der Partei ist eine Führungskrise hinzugekommen.

Sie holen und bekommen Unterstützung von Leuten, die in Gera zur Gegenseite gehörten. Ein Teil von ihnen sagt seit Monaten, dieser Vorstand und diese Vorsitzende müssten weg. Wie lange soll so ein Bündnis funktionieren?
Ich suche Unterstützung in den Landesverbänden, in den Kreisverbänden, in der gesamten Partei. Die PDS braucht ein starkes Zentrum. Wenn ein Flügel versucht, den anderen aus der Partei zu verdrängen, wird das ein Nullsummenspiel werden, das die Partei letztendlich kaputt macht. Und für dieses starke Zentrum werbe ich. Dieser Sicht entspricht die Doppelstrategie, für die ich in Gera geworben habe: Die PDS muss Opposition zu den gesellschaftlichen Verhältnissen sein und Politik hier und heute entwickeln. Wer das eine oder das andere verweigert, setzt die PDS aufs Spiel.

Sie haben in Gera heftig die Art der Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kritisiert. Als Reaktion darauf und auf den ganzen Parteitag haben sich die Reformer aus der Parteiführung zurückgezogen und sich in einem Netzwerk zusammengefunden. Sehen Sie denn Veränderungen in der PDS-Regierungspolitik, die eine Zusammenarbeit wieder möglich machen?
Ich sehe durchaus Veränderungen im Problembewusstsein. Im übrigen habe ich nie das Ende der Koalitionen gefordert, sondern gefordert, dass wir angesichts der verlorenen Bundestagswahl viel schärfer die Ursachen bei uns selber suchen. Das hat für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ebenso gegolten wie für andere Landesverbände. Alle gemeinsam haben wir offensichtlich einen riesigen Lernbedarf, und da wurde inzwischen viel geleistet. Wenn ich mir anschaue, wie in Mecklenburg-Vorpommern der Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde, was dort die PDS-Minister leisten, wie die Partei beteiligt wird, dann kann ich nur sagen, da hat sich etwas verändert. Dass wir in Berlin in einer wesentlich schwierigeren Situation sind, ist mir völlig klar. Auch deshalb suche ich das Gespräch mit den Senatorinnen und Senatoren und dem Landesverband, damit bei künftigen Projekten der PDS in dieser Koalition unser Profil deutlicher wird.

Wie sind die Aussichten, dass dieselben Parteitagsdelegierten ein gutes halbes Jahr nach Gera einen ganz anderen Vorstand wählen?
Ich setze darauf, dass die Delegierten in Gera eine sehr bewusste Wahl getroffen haben, die ich im Nachgang nicht diskreditieren lassen werde. Ich setze aber auch darauf, dass sie in der Lage sind, sich jetzt eine eigene Meinung zu bilden und davon ausgehend verantwortlich zu entscheiden.

Werden Sie wieder für den Vorsitz oder einen Platz im Vorstand kandidieren?
Fest steht: Wenn es nicht gelingt, in der Partei andere Bedingungen zu schaffen für die Arbeit als Vorsitzende, auch mit einem Personal, dem es in erster Linie um die Zukunft der Partei geht, werde ich nicht wieder zur Verfügung stehen.

Wen hätten Sie gern dabei?
Dazu äußere ich mich jetzt nicht, darüber muss ich noch viele Gespräche führen. Auch darüber, ob Menschen bereit sind, mit mir zusammenzuarbeiten.

In diesen Tagen ist oft von der letzten Chance der PDS die Rede. Ist die Situation wirklich so dramatisch?
Ja.

Noch so ein Streit, und alles ist vorbei?
Ja, ich habe ja auch überlegt, ob es machbar ist, den Programmparteitag im Herbst mit personellen Entscheidungen zu verbinden. Ich glaube aber, dass wir eine schnelle Klärung der aktuellen Probleme brauchen, damit ein Programmparteitag überhaupt möglich wird.

Aus jetziger Sicht - hätten Sie die offene Auseinandersetzung eher suchen sollen?
Das ist der Vorwurf, den ich mir gefallen lassen muss. Viele kritisieren, dass ich die Probleme im Vorstand und im geschäftsführenden Vorstand nicht schon eher öffentlich gemacht, sondern viel zu lange darauf gesetzt habe, dass man das klären kann. Deshalb habe ich von Anfang an erklärt, dass ich mich auch selbst zur Disposition stelle.

Interview: Wolfgang Hübner
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