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Wird da ein Rückkauf von Treuhand verschleppt?

  • Lesedauer: 6 Min.

Eins der bereits privatisierten FDGB-Heime: Eurotel „Am Fichtelberg“ in Oberwiesenthal

Telefoto: Wolfgang Schmidt

Klein Zerlang, eine Gemeinde mit 350 Seelen, liegt direkt an der Grenze Brandenburgs zu Mecklenburg-Vorpommern. Für den, der flaches märkisches Land liebt, hat der Ort am Pälitzsee eine traumhafte Lage - ruhig, gemütlich und weit ab vom Trubel größerer Städte. Beste Bedingung, ein Touris-' mus-Magnet zu werden.

Und so lebte man denn auch zu DDR-Zeiten davon, daß man sich mit dem FDGB-Feriendienst arrangiert hatte. Flugs waren alle verfügbaren Räume für Urlauber hergerichtet sowie Verträge unterzeichnet worden, und los ging's. Die Urlauberwelle brachte den Einwohnern jedes Jahr Geld, von dem es sich - oft als Nebeneinnahme - ordentlich leben ließ. Heute aber will so rechte Freude kaum noch aufkommen.

Die damals üblichen Ausstattungen -Betten, Spiegel, Waschbecken, Schrank, Tisch und Stühle- verkamen mit der Wende schlagartig zum übelsten Sperrmüllniveau.

So auch im Bettenhaus mit 18 Plätzen (ohne Aufbettung) auf dem Bauernhof von Hella und Hermann Piltz, Dorfstraße 31. Brach liegt der Platz, wo sich früher Familien erholten, Kinder herumtollten und man mit wenigen Schritten zum Ufer des Sees gelangte. 13 Tage dauerte ein „Durchgang“, dann wechselte die Belegung. Jetzt tut sich nichts mehr dort. Vogelgezwitscher ist das einzige Geräusch, sieht man vom Motorengebrumm der PKW gehobener Klassen ab, die kaufinteressierte Leute herbringen. Meist aus Westberlin kommend, wollen sie dem Ehepaar Piltz die zum Anwesen gehörende Gaststätte mit Saal und Bühne abkaufen. Für 'nen Appel und n' Ei, versteht sich, denn „das taugt ja sowieso nichts mehr“

„Als wären wir Blödiane, die von Immobilien keine Ahnung haben“, sagt Hella Piltz verärgert. Die Gaststätte, tatsächlich nicht im besten Zustand, ist ihr 1919 von den Eltern gekauftes Eigentum geblieben. Der Pachtvertrag mit dem FDGB lief am 31. Dezember 1991 aus. Fällig ist indes noch die Pacht für das vergangene Jahr. Als der Feriendienst pleite ging, blieb die Gaststätte zu. Gleichzeitig auch das Geldsäckel, aus dem zuvor die Pacht pünktlich gezahlt wurde. Die Piltzens mahnten das Geld mehrmals bei den Liquidatoren des FDGB an. Vergeblich. Für die schmale Rente wäre es wenigstens ein verhaltener warmer Regen, sagen die Ehepartner, denn Gespartes sei auch noch da.

Das aber wollen sie zum Rückkauf von Bettenhaus und Wirtschaftsgebäude anlegen, das sie 1967 dem FDGB mit Beglaubigung des Staatlichen Notariats Neuruppin (18. Mai 1967) verkauften. Ohne jeden Zwang, wie Frau Piltz der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung der Vermögenswerte der Parteien und Massenorganisationen der DDR schriftlich mitteilte: „Ich bestätige, daß dieser Verkauf meine freie Entscheidung war und bin heute bereit, unter gleichen Bedingungen dieses Teilobjekt zurückzukaufen.“ Seinerzeit berappte der FDGB 17 350 DM. Die Unabhängige Kommission prüfte und schrieb an den Gewerkschaftlichen Dachverband in Liquidation u. a.. „Ich bitte Sie daher mitzuteilen, ob Sie einer Veräußerung des Grundstückes an Frau Hella Piltz zum jetzigen Verkehrswert zustimmen.“

An der Zustimmung von dort lag es nicht, doch wie hoch ist der heutige Verkaufswert? Den ermittelten die Liquidatoren flugs aus der Ferne - 37 000 DM! Die Kommission nannte das nach einer Objektbesichtigung eine „eigenständige Wertberechnung ohne in Augenscheinnahme...“ des Anwesens.

Hella und Hermann Piltz befürchten, bei dem ewigen Hin und Her der Standpunkte den ersehnten Rückkauf nicht mehr zu erleben. Schließlich ist jeder von ihnen bereits 78 Jahre alt. Vom ursprünglichen Verkaufspreis wollen sie keineswegs abrücken. Endlich, vor wenigen Wochen, wurde eine Übereinkunft zwischen Liquidatoren und Kommission erzielt, es bleibt bei 17 350 DM, denn der ma-

terielle rechtsstäatliche Erwerb durch den FDGB war längst erwie> sen, „und mehr Wert hat das sowieso nicht“. In den Wirren, so erfuhren wir aus dem Hause der Liquidatoren, habe halt jeder seine Position vertreten, deshalb brauche eine Einigung immer seine Zeit. Auch deshalb, weil bei der Treuhand, die in diesem Objektpoker das Sagen hat, ständig die Leute gewechselt hätten und sich jeweils neue einarbeiten und immer wieder neu „Geschichtsunterricht“ über die Sachlage erhalten mußten. Es fehlt weitgehend am Verständnis dafür, daß ehrliche Bürger schnell am Neuaufbau teilhaben und dazu über ihr ehemaliges Eigentum wieder verfügen wollen. Eben Leute wie das Ehepaar Piltz. Die aber vermuten hinter dem zeitraubenden Gerangel um Haus und Wirtschaftsgebäude Ärgeres. „Verschleppt wird das alles, damit sich Leute in der Treuhand und der Unabhängigen Kommission recht lange an ihren Posten festhalten können.“

Entkräften läßt sich das wohl nur mit schleunigster Freigabe zum sofortigen Rückkauf. Haben Hella und Hermann Piltz noch Hoffnung darauf? Sie winken resigniert ab, meinen damit auch die Aussichten auf den Erhalt der weiterhin ausstehenden Pachtgelder für die Gaststätte. Die ist mittlerweile wieder auf dem Wege, ein wirkliches gastliches Haus zu werden. Der neue Pächter, ein in Neubrandenburg lebender gebürtiger Klein Zerlanger, läßt bis auf Grundmauern und das Dach nichts im alten Zustand. Die Gewerbe geben sich die Klinke in die Hand. Die einzige

Gaststätte im Ort soll nach dem Willen des Pächters zum Juni öffnen. „Gerade noch rechtzeitig, um das Saisongeschäft mitzunehmen“, schätzt Hermann Piltz ein. Erst dann übrigens nimmt das Rentnerehepaar wieder Pacht vom neuen Wirt. Eine noble Geste, ganz und gar nicht marktwirtschaftlich. Sie wollen dem tief in Krediten Stehenden ein wenig unter die Arme greifen. Es wird eine Goldgrube, wissen die beiden noch aus FDGB-Zeiten einzuschätzen.

Der Kontrast zum alten Bettenhaus und dem erbärmlich aussehenden Wirtschaftsgebäude dürfte immer krasser werden. Obwohl Hella Piltz in der letzten Märzwoche vom ehemaligen Verwalter in FDGB-Diensten sämtliche Schlüssel erhielt, weiß sie so recht nichts damit anzufangen. „Sind wir nun wieder die Eigentümer oder nicht? Dieses Warten macht uns ganz verrückt. Auch das ganze Zeug, das die einfach dringelassen haben.“

Ob sie denn die Gebäude sofort nach dem Rückkauf zu einer Herberge mit zeitgemäßer Ausstattung herrichten würden? Das stehe auf einem ganz anderen Blatt, sagt Ehepaar Piltz mit Hinweis aufs Alter. Passieren aber werde schon was, um Klein Zerlang wieder zu einem Tourismusmagnet entwickeln zu helfen. Dem bescheiden lebenden betagten Paar könnte zurückerworbenes Eigentum ein Zubrot zur Rente von insgesamt 1 500 DM Rente bringen. Vorausgesetzt, beide erleben diesen Tag. Denn allein hätte keiner mehr die richtige Freude daran.

THILO REIF

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