Die Legende wird Karikatur

»Ich Kohlhaas« als Monolog im Theaterhaus Mitte

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bühne ist leer bis auf ein Radio, aus dem die Nachrichten des Tages plätschern. Tarifstreik, Irak - Zweifel an der Aktualität des Falles Kohlhaas lässt Regisseur Tim Schaffrick in seiner Inszenierung des berühmten Kleist-Stückes gar nicht erst aufkommen. Zwist und Hader beherrschen die Welt, scheint uns die Anfangssequenz sagen zu wollen, immer kämpft irgendwo eine Partei gegen eine andere - aus Rache, Größenwahn oder eben um der Gerechtigkeit willen. Da ist es nur ein kleiner Schritt hin zu Michael Kohlhaas, diesem Symbol eines Gerechtigkeitskämpfers aus Prinzip. Querulant, Rebell, »rechtschaffenster und zugleich entsetzlichster Mensch seiner Zeit« (Kleist). Die Geschichte vom Roßhändler aus dem 16. Jahrhundert, der mit Feuer und Schwert gegen Beamtenwillkür protestiert, erweckt Faszination und Widerwillen. Das Etikett des tapferen Widerstandskämpfer lässt sich ihm ebenso anheften wie das des Terroristen. Regisseur Schaffrick lässt in seiner Ein-Mann-Inszenierung »Ich Kohlhaas« den Protagonisten selbst vom Kreislauf der Gewalt erzählen, die mit zwei Rappen beginnt und ihm schließlich den Tod bringt. Als Rächer in eigener Sache brennt er die Tronkenburg nieder, legt Brände in Wittenberg und Leipzig und wird am Ende nahe dem Strausberger Platz, am alten Rabenstein, hingerichtet. Schaffrick geht es weniger darum, der bekannten Geschichte neue Aspekte abzuringen, als Legendenbildungen zu hinterfragen und den schmalen Grat zwischen Terror und Zivilcourage auszuloten. Muss die Frage nach Recht oder Unrecht zu einer Frage auf Leben und Tod geraten? Manchmal wohl: Schaffrick zeigt Kohlhaas als gedemütigten Mann mit absoluten Wahrheitsansprüchen, als Fanatiker, der sich ins Unrecht setzt, um Recht zu bekommen, aber auch als liebenden Gatten, den der Tod seiner Frau zum Äußersten treibt. Die Ich-Form, in die das Stück gebracht wurde, ist gut geeignet, diese inneren Widersprüche auszuleuchten. Gleichzeitig hält die Form den Zuschauer auf Distanz, lässt Emotionen schwer aufkommen. Das mag auch an Darsteller Nikolai Adolph liegen, der das Publikum nicht recht packen kann. In seinem Harlekin-Kostüm erscheint er eher als tragikkomische Figur denn als zerrissener Mensch. Große Teile des Textes werden unbewegt gesprochen, dazu erklingt ein bisschen orientalische Musik und viel Johnny Cash. Am Ende stülpt Adolph sich einen Verkehrsabsperrhut über den Kopf und tanzt umher: Die Legende ist zur Karikatur geworden. Theaterhaus Mitte, Koppenplatz 12, Mitte, Telefon 28041967
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