- Brandenburg
- Gerichtsreport
Im Kreuzfesselgriff
Polizist wegen Verfolgung Unschuldiger angeklagt
Die Bilder von den Gewaltorgien zum 1. Mai in Kreuzberg sind noch allgegenwärtig. Erst friedliche Demonstration, dann explodiert die Situation. So auch vor zwei Jahren. Nun stand ein Mann unter Anklage, der Gewalt ausgeübt haben soll - auf Seiten der Polizei. Der 29-jährige Beamte Dirk S. war angeklagt, am 1. Mai 2001 »als Amtsträger einen Unschuldigen verfolgt« zu haben. Der Unschuldige ist der Sozialwissenschaftler Prof. Wolf-Dieter Narr, der seit 1981 als unabhängiger Beobachter des Komitees für Grundrechte an Demonstrationen teilnimmt.
Vor Gericht nun gab der Angeklagte diese Schilderung vom Geschehen: Nachdem die Polizei gegen 16.28 Uhr aus einer 300-köpfigen Menge mit Flaschen und Bierbüchsen traktiert wurden, erhielt die 15. Einsatzhundertschaft den Auftrag, in die Menge zu stürmen und Gewalttäter festzunehmen. Dirk S., mit Helm und Schutzkleidung ausgerüstet, stürmte. Plötzlich spürte er von hinten einen harten Schlag gegen die gutverpackte Schulter und den Helm. Er drehte sich um und blickte Prof. Narr in die Augen. Dieser musste nach seiner Überzeugung der Gewalttäter gewesen sein. Also rammte er den älteren Herren zu Boden, verdrehte ihm die Hände auf den Rücken. Als der für Betroffene außerordentlich schmerzhafte Kreuzfesselgriff nicht gelang, kniete der Polizist auf den 66-jährigen Professor, bis es schließlich gelang, ihn mit einem anderen Uniformierten zum nächsten Polizeiwagen zu schleifen. Anschließend schrieb er eine Anzeige: Wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beamtenbeleidigung. Denn Narr soll den Behelmten noch entgegengeschleudert haben: »Ihr seid doch alle dämlich!« Über die geistigen Qualitäten mancher Polizisten wurde schon viel geschrieben, in diesem Falle hätte es den Beamten auffallen müssen, dass der Beschuldigte ob seiner Statur zu derartigen Gewaltattacken gar nicht fähig sein konnte. Doch das hielt Dirk S. nicht ab, derart ruppig mit dem Professor umzugehen, dass dieser seine Brille verlor und sein Hörgerät zerstört wurde. Dass er während einer hektischen und für die Polizisten unübersichtlichen Situation widerrechtlich verhaftet wurde, wirft Narr - als Zeuge geladen - den Ordnungshütern nicht vor. So etwas passiert schon einmal in einem Hexenkessel. Doch dass er rechtlos ohne Befragung eingesperrt blieb, ihm ein Anwalt verwehrt wurde, hält er für bedenklich. Wird doch damit das Demonstrationsrecht ausgehöhlt. Und dass die Polizisten eine Falschaussage nachschoben, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen, das übersteigt die Schwelle des Akzeptablen.
Polizisten haben den Einsatz unter Extrembedingungen immer wieder geprobt und werden psychologisch darauf vorbereitet. Doch wenn es ernst wird, geraten nicht wenige in Panik - Gewalt wird dann zu einer Art Rettungsanker, um mit der eigenen Bedrohung fertig zu werden. Das Gericht ging von einem Missverständnis und unterschie...
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