Friedens- und Kriegsübung

FREIe HEIDe - ob Struck am 22. Mai 2003 nach Rheinsberg kommt?

  • Ursula Püschel
  • Lesedauer: ca. 9.0 Min.
Violett - welch einfältiges Wort für die Pracht, die das Auge entzückt, ein trockenes Feld, endlos, bis zum Horizont: Heidekraut - ein Anblick, für den sich Ausflüge lohnen. Ich weiß nicht, ob der Mensch oder die Menschen empfindlicher geworden sind, seit so viele Horizonte mit Beton verstellt sind, seit die Betonklötze durch Menschenwahnwitz zusammenkrachen. Das Heidekrautwunder hab ich zuletzt gesehen in der Wittstock-Ruppiner Heide. Dort, wo die Russen Bombenabwerfen geübt haben und die Deutschen das nun endlich auch wieder wollen. SPD-Landrat Christian Gilde: »Dr. Stolpe meinte, die Augen der Luftwaffenoffiziere leuchteten bei der Beschreibung der Übungsmöglichkeiten auf dem Wittstocker Bombenabwurfplatz.« Das gehört zur Geschichte des Territoriums: die ungezählten Toten am 1.Mai 1945, sowjetische und deutsche Soldaten, Flüchtlinge, KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen auf dem Todesmarsch. Horst Bredlow aus Basdorf berichtet: "Um 7 Uhr 45 nahm die Rote Armee Basdorf ein. Alle Häuser und Gebäude wurden nach deutschen Soldaten durchsucht.(...) Unser Wohnhaus wurde durch die Rote Armee als Kommandostelle eingerichtet. Gegen 9 Uhr 45 schlugen deutsche Granaten in Basdorf ein. Die Russen feuerten in das Waldgebiet Rossow-Gadow zurück, dorthin, wo die Flüchtenden und deutschen Soldaten sich stauten, weil alle Straßen verstopft waren. Für sie wurde der damalige Kriegswald zum Grab." (S.53) Die Rote Armee sorgte für ihre Toten, Jugendliche und junge Männer erhielten den Befehl, den Wald abzusuchen und Leichen an Ort und Stelle einzugraben - es war sehr heiß, Seuchengefahr. Einer, der im zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion einmarschieren mußte, schlug nach der Wende eine Mahn- und Gedenkstätte für die unbekannten Toten am Ort des Massensterbens vor, nach russischem Vorbild: Birkenkreuze. Am 1.Mai 1994 war es soweit. Aber damals war die neue Luftwaffe, die der Bundeswehr, bereits Inhaber des Territoriums - und empört. Es ist kaum zu glauben: Nach einem würdelosen Gerangel mit der Bürgerinitiative FREIe HEIDe hat die Bundeswehr im Mai 2001 die Totenkreuze entfernt. Die Mahnung auf ihrem Kriegsübungsplatz, daß Krieg sterben bedeutet, paßte ihr von Anfang an nicht. 1994: "Als 'nur eine Ansammlung von Holzkreuzen' bezeichnet Bundeswehroberst Eckhardt Jantzen den neu entstandenen Friedhof (...) Er spricht der Gedenkstätte auf dem Bombodrom jegliche Legitimation ab, da er sogar anzweifelt, daß hier zu Kriegsende überhaupt Blut geflossen sei." (S.64) Vor der Bundeswehr hatten bereits rechtsextreme Anonyme den Ort zerstört, die Bürgerinitiative hatte ihn wiederhergestellt. Die Anwohner der Wittstocker Heide hatten zirka vierzig Jahre darunter gelitten, dass die sowjetische Besatzungsmacht dort einen Truppenübungsplatz betrieb. Über diese Zeit hat Horst Bredlow aus Basdorf geschrieben: »Alles änderte sich in kurzer Zeit, als die Panzer durch unsere Dörfer rasend die Straßen, Wald- und Feldwege zu einer Kraterlandschaft zerfuhren. Laufend wurden durch Zielverfehlungen Granaten und Bomben dicht bei Basdorf und auf dem Grundstück der Försterei abgeworfen. Lenkraketen explodierten am Dorfrand, eine sogar in Basdorf! Unser Leben wurde in jenen Jahren zur Hölle, wir waren in Angst und Schrecken, fühlten uns bei Tag und Nacht attackiert. Ebenso wurden wir durch Flugzeugabstürze belastet, doch keiner durfte etwas sagen. Unsere Wohnhäuser und Gebäude bekamen durch über vierzig Jahre Kriegsübungen Schäden. Scheunen stürzten ein, Zimmerdecken rissen ab...«. Vor einem Jahrzehnt, 1993, haben die damals schon russischen Truppen dieses Territorium verlassen. Damit war auch ein welthistorischer Einschnitt markiert - es gab nicht mehr »zwei Lager«, einst Verbündete im Kampf gegen den Hitlerfaschismus, jetzt Gegner in einem kalten Krieg, der jederzeit zu einem heißen eskalieren konnte. Zunächst aber, dachten wir, wenn es keine Feinde mehr gibt, hat der Rüstungswettlauf ein Ende, der uns vielleicht vor einem Krieg bewahrt hat.Die Zeit sollte vorbei sein, in der das, was Menschen herzustellen in der Lage sind, nicht für ihr Wohl, sondern für ihre Vernichtung missbraucht wurde. In der Region erlitten die Menschen keine Vor-Kriegsschäden mehr und wurden nicht geängstigt durch Geräusche, die ihnen suggerierten: Krieg. Die Bundeswehr ließ wissen: Sie »strebt grundsätzlich keine Übernahme von sowjetischen Liegenschaften an.« (Bundeswehrkommando Ost an den Landrat des Landkreises Wittstock, 20.2.1991). Aber bald legte Bundesverteidigungsminister Rühe, CDU, ein Truppenübungsplatzkonzept vor, dem der Bundestag 1993 zustimmte. Aber wir hatten ja noch die SPD. Die gab am 30. Oktober 1992 bekannt, dass sie dieses Konzept nicht mittragen kann und wird: »Wenn die Bundeswehr diesen Platz tatsächlich weiternutzen wird, so wird sie damit ... gegen den von ihr selbst aufgestellten Grundsatz verstoßen, prinzipiell keine sowjetischen Übungsflächen zur Weiternutzung übernehmen zu wollen, und damit wird sie in den neuen Ländern den Rest von Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verlieren. Darüber hinaus sollte sich der Verteidigungsminister überlegen, ob er tatsächlich einen Truppenübungsplatz weiternutzen will, der erst in den 50er Jahren und nur durch Enteignung, also unrechtmäßig entstanden ist. DDR-Unrecht will Herr Bundesminister Rühe doch sicherlich nicht fortsetzen, oder?« Der Herausgeber dieser SPD-Drucksache war übrigens weiland der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Peter Struck, heute Verteidigungsminister. Sein direkter Amtsvorgänger gehörte auch einmal zu den Rednern an den Mahnsäulen, von der Bürgerinitiative errichtet, von ihren Gegnern, Rechtsextremisten, zerstört oder beschädigt, von der Bundeswehr oft und gerne weggeräumt. Rudolf Scharping als Kanzlerkandidat bei der 22. Protestwanderung, am 6.August 1994 in Gadow: »Ein solcher Bombenabwurfplatz ist unnötig! Und ich sage Ihnen, wie ich das seit über zwei Jahren sage, am 16.Oktober, da wird eine Entscheidung getroffen und wenn dann eine Mehrheit im Deutschen Bundestag da ist, dann wird eine Entscheidung getroffen: Dann wird das hier nicht mehr Truppenübungsplatz sein!« Was ist bloß passiert, daß Scharping, ohne ein Wort über Unnötiges und Notwendiges zu verlieren, die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee umbauen ließ? Der Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann erst am 24.März 1999. Als Schroeder, der dann statt Scharping Kanzler wurde, diese Neuigkeit meldete, in der sich die Bundeswehr beweisen konnte, fügte er hinzu: "Wir führen keinen Krieg." (S.224) Im Bundestag forderte eine parlamentarische Anfrage Auskunft über die Streubomben der Allierten. Sie werden typischerweise gegen "Weichziele" eingesetzt - das sind Menschen. Wenigstens der Standortkommandant des TÜP, Oberstleutnant Wolfgang Engel, hat sich ordentlich gewendet. Er war in der DDR Offizier bei der Nationalen Volksarmee, jetzt ist er froh, dass er »in einem demokratischen Deutschland dienen kann«. (Oranienburger Generalanzeiger, 18.3.1999). Wie es sich mit den brandenburgischen Politikern in dieser Sache verhält, ist weniger eindeutig. Ulrich Görlitz, Lehrer im Ruhestand und lange Mitglied der SPD, schreibt: »Der Landtag und die damalige Regierung (SPD) forderten, verbal, zivile Nutzung des Bombodroms. Der Leiter der Staatskanzlei Stolpes machte zugleich einen Deal mit Rühe: Bombenplatz gegen tausend Mann Garnison in Wittstock.« Kann ein Regierungschef bei 20-25 Prozent Arbeitslosigkeit auf nur einen Arbeitsplatz verzichten, selbst wenn er nur beim Militär zu haben ist? Die Antwort fordert Verantwortung, niemand kann sie sich leicht machen. Stolpes Nachfolger, Matthias Platzeck, der mit den Protestierern der Freien Heide so oft unterwegs war, dass es schien, als gehöre er zu ihnen, hat geantwortet: »...die Bundeswehrstandorte sind nicht nur verteidigungspolitisch wichtig. Vielmehr haben sie eine große Bedeutung für den Rückhalt der Bundeswehr in der Bevölkerung, und sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.« Militär schafft Arbeitsplätze - das kann nicht zu Ende gedacht werden ohne die Konsequenz, dass Krieg die meisten schafft. Nicht nur Schäden sind zu beseitigen, sondern es gibt auch weniger Männer sprich Arbeitskräfte. Wir sehen gerade, wie sich die «Aufbauhelfer« im Irak drängeln, nicht zuletzt Deutsche. Dieser unerhörte Zynismus: Erst wird zerstört, dann werfen sich die Kriegsführer in die Brust, weil sie das Zerstörte wieder ganz machen - wie erträgt die Menschheit das bloß? Platzeck sagte auch noch: »Zudem spielt die Bundeswehr eine bedeutende Rolle bei der Ausbildung der jungen Menschen in der Mark.« Das ist hart: Der jüngste Ministerpräsident dieser deutschen Republik, die kein Geld hat, um Arbeit zu bezahlen, und keine Arbeit, um zu Geld zu kommen, findet für junge Menschen, für die selbst Bildung knapp ist, die Ausbildung zu Soldaten akzeptabel. Die Bewohner der Region des Luft/Boden-Schießplatzes Wittstock in Brandenburg kämpfen nun seit elf Jahren dafür, dass sich das Militärische in Ziviles verwandle. Vor kurzem hat sich auch Mecklenburg-Vorpommern angeschlossen, seit klar wurde, dass ihre touristischen Schönheiten wie die Müritz, Mirow und Umgebung in der Einflugschneise liegen. Dieser Kampf gilt wohl einem Flecken irgendwo im Osten, nicht viel wertvoller als Übungsplätze in der Wüste in Nevada, unbedeutend, geht bloß die paar Betroffenen was an. Die sagen: Es ist unsere Heimat. Wer hat das Recht zu sagen, die durch den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock-Ruppiner Heide Betroffenen, die ihre Heimat verloren haben oder ihre Existenz, wenn die Kriegsübungen beginnen, das ist nur ein Handvoll, verglichen mit den Zuständen in anderen Teilen der Welt? Das Bundesministerium für Verteidigung sagt: »Der Kreis der Betroffenen hält sich in Grenzen, da die Gegend vergleichsweise dünn besiedelt ist.« (12.6.2002, an Grüne Liga Brandenburg e.V.). Seit sie sich wehren gegen den Übungsplatz, wird Augenauswischerei betrieben. Etwa: Tourismus und Schießplatz würden sich vertragen - das sei anderwärts bereits erprobt. Aber wesentlicher ist es, daß die »Ausbildung«, von der Platzeck redet, obsolet ist, veraltet. Krieg braucht heute hochqualifizierte Spezialisten, nicht Wehrpflichtige, die es in den USA nicht mehr gibt. Kriegsgründe - Bush lehrt die Welt den Unterschied zwischen Guten und Bösen. Ob auch dieses Land mit dem Truppenübungsplatz in Wittstock zu den Schurkenstaaten gerechnet wird, wenn es nicht mitmacht? Oder wirds Roland Koch richten, der schon mal beim Präsidenten der Guten als künftiger Kollege vorbeigeschaut hat? Krieg ist bei diesem Entwicklungsstand der Technik kein Mittel zur Lösung von Konflikten, um die es auch nicht mehr geht. In den USA entwickelt sich der Krieg zu einer Privatsache. Jay Garner, der im Irak der erste USA-Statthalter war, ist pensionierter Generalleutnant und bedeutender Geschäftsmann, dessen Firmenzugehörigkeit in Einklang steht mit der Privatisierungstendenz militärischer Angelegenheiten. Zum Beispiel: "Bis 2006 will das US-Verteidigungsministerium 237 000 Arbeitsplätze in logistischen Bereichen (...)privatisieren." (François Misser, taz, 22.4.03) Das Pentagon wird sich seine Kriege bestellen - oder die amerikanischen Firmen werden sich im Pentagon einen Krieg bestellen, etwa die Öllogistikfirma Halliburton, die bis zu den letzten Wahlen vom heutigen US-Vizepräsidenten Dick Cheney geführt wurde. "Die Filiale KBR hat für sieben Milliarden Dollar den Zuschlag zur Wiederherstellung der Ölförderanlagen des Irak bekommen" (taz, s.o.). Wer diese Macht hat, hat auch das Recht. Kriege aus dem Zeitalter, in dem Kollataralschäden oder friendly fire noch Fremdwörter waren, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Zunächst aber hält das Bundesverteidigungsministerium an seinen Besitzansprüchen in der Wittstocker Heide fest. Das Jahrzehnt, in dem der Widerstand die Bundeswehr vom Beginn ihrer Kriegsübungen zurückgehalten hat, kann die Freie Heide als Erfolg verbuchen. Sie ist stärker geworden in dieser Zeit, hat Freunde und Mitstreiter gewonnen. Aber auch verloren. Und die Zahl der Resignierten hat zugenommen: Wir sind ja dran gewöhnt, und wir können ja doch nichts ändern. Diese Gruppe ist schlimm, richtet mehr Schaden an als die wortbrüchigen Politiker. Als das Gerücht aufkam, dass Struck am 22. Mai 2003 nach Rheinsberg kommt, hat manche und manchen von uns die Illusion befallen, - das "Unnötig" noch im Ohr -er könne sich vor Ort kundig machen, die Widerstandsmenschen kennen lernen wollen. Aber das Militär hat eine Art magnetischer Eigengesetzlichkeit, die auch Regierende einbezieht. Es war im Juni 2000, als die Bürgerinitiative zum Reichstag gewandert ist. Da sagte der Staatssekretär aus dem Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, das damalige Versprechen von Scharping sei mehr oder weniger wahltaktisch zu verstehen. Wird uns noch eine Anstrengung, die andere Widerstandsfo...

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