- Ratgeber
- Mit ND-Lesern auf den Spuren Heinrich Schliemanns
„Ilias“ und „Odyssee“ als Wegweiser
Überall, wo man geht und steht, begegnet man Geschichte. Selten ist man sich dessen bewußt. Doch es gibt Situationen, da es einen drängt zu erfahren, wer man ist, woher man kommt. Vielleicht gehört für manchen auch dazu in den Beginn der abendländischen Kultur zu tauchen.
Vom Reisebüro NATUR-TOU-RIST veranstaltete Reisen „Auf den Spuren Heinrich Schliemanns“ geben dazu Gelegenheit. Sie sprechen Entdeckerlust an wie den schlichten Wunsch, die eigene Schulbildung aufzufrischen. Als ND-Leserreise haben sie guten Zuspruch. Stätten Schliemannscher Ausgrabungen aufzusuchen, bedeutet natürlich auch, die herrliche griechische Landschaft zu genie-ßen und am Rande ein Zipfelchen Italien und einen Hauch Orient mitzunehmen: Venedig, Mykene, Platamon, Troja, Pergamon, Bursa, Istanbul, Meteora sind die Stationen der Tour per Bus und Schiff.
In wem der „Traum von Troja“ schlummert, muß sich allerdings bis fast zum Ende der Reise gedulden, ehe er den Ort mit eignen Augen sehen kann, an dem der berühmte Archäologe Schliemann (1822-1890) beweisen wollte, daß die Homerischen Epen „Ilias“ und „Odyssee“ einen historischen Kern haben. Angeblich begann das zähe Hin und Her um Troja (Ilion oder Ilios), weil der Sohn des Trojanischen Herrschers Priamos, Paris, die schöne Helena geraubt hatte. Ihr Gatte Meneleaos und sein Bruder Agamemnon, der mythische König von Mykene, suchten sie zurückzuerobern. Beiden Sagen
folgte Heinrich Schliemann wortwörtlich. Obwohl er glaubte, am Hügel Hissarlik den Herrschaftssitz des Priamos ausgegraben zu haben, entdeckte er nur die Zweitälteste Siedlungsschicht, Troja II. Den Schatz, den er 1873 dort freilegte, nannte er den „Schatz des Priamos“, (Er wurde viele Jahre in Berlin aufbewahrt. Seit Ende des Zv/eiten Weltkrieges gilt er als verschöllen.) Aber es gibt das Troja der „Ilias“. Und es wird fleißig weitergegraben, Überraschungen scheinen programmiert. Seit 1989 hat man auf dem Ruinenhügel 47 Bauphasen unterschieden. So steht man hier mit jedem Bein in einer anderen Zeit. Doch der Tourist sieht sich etwas hilflos auf den Trümmern um. Auch die Führung durch das türkische Reisebüro konnte der Phantasie nicht so recht auf die Sprünge helfen.
Das gelang eher der griechischen Reiseleitung am ersten Ort der Rundreise, der Spuren Heinrich Schliemanns zu entdecken verhieß, in Mykene auf der griechischen Halbinsel Peloponnes. Der aus Mecklenburg stammende Selfmademan und Millionär Schliemann, der zum Begründer der modernen Archäologie wurde, kam nach seiner Troja-Entdeckung hierher. Er hoffte, die Begräbnisstätten des Königs Agamemnon und seiner Kampfgefährten am Sitz des fluchbeladenen Atridengeschlechts zu finden. Auf dem Hügel, der aus der fruchtbaren Landschaft der Argolis herausragt, erhebt sich die Burg, einst Machtzentrum Griechenlands und eines der Zentren der nach ihr benannten Kultur. Wenige Schritte
hinter dem gewaltigen Löwentor, dem Haupteingang zur Burg mit ihrer aus riesigen Blöcken geschichteten, mörtellosen, „kyklopischen“ Umfassungsmauer stößt man auf das Gräberrund mit sechs Schachtgräbern. 1876 entdeckte Schliemann fünf von ihnen mit reichen Grabbeigaben. In einer der goldenen Totenmasken glaubte er, die Gesichtszüge Agamemnons zu erkennen. Er irrte sich wiederum: sie ist 300 Jahre älter als er annahm, wird jedoch ihm zu Ehren noch so genannt. Im Archäologischen Nationalmuseum in Athen, das ebenfalls auf dem Reiseprogramm steht, werden sie und andere Schätze der mykenischen Sammlung, die Schliemann begründete, aufbewahrt.
In Mykene fand Schliemann auch das „Schatzhaus des Atreus“, ein Kuppelgrab außerhalb des Burgbergs. In einem weiteren Zentrum der mykenischen Kultur, in Tiryns, deckte er die Burg- und Siedlungsanlage auf, und in Orchomenos legte der „Hobby-Archäologe“ das sogenannte „Schatzhaus des Minyas“, ebenfalls ein Kuppelgrab, frei. Diese Ausgrabungen brachten Schliemann den Titel „Vater der mykenischen Kultur“ ein, gelang ihm doch, das vorklassische Griechenland, von dem die gesamte europäische Zivilisation geprägt werden sollte, dem Schlummer des Vergessens zu entreißen. Von all dem erfährt man auf der Reise. Die Sagen unterhalten, und man bekommt eine leise Ahnung von der gewaltigen Lebensleistung Heinrich Schliemanns.
MARION PIETRZOK
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