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»Mann der Arbeit, aufgewacht ...«
Geburtsstunde der SPD: Vor 140 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet
Sozialdemokratische Regierungschefs und Parteivorsitzende aus Europa sind für heute Abend zum Festakt nach Berlin geladen - um 140 Jahre deutsche Sozialdemokratie zu feiern.
Man schrieb den 23. Mai 1863. In Leipzig trafen sich im Konzert- und Ballhaus »Pantheon« zehn Delegierte und einige Ehrengäste aus zwölf Städten. Die Versammelten gründeten den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) und wählten den 38-jährigen Publizisten Ferdinand Lassalle für fünf Jahre zum Präsidenten. Bereits während der Revolution von 1848/49 hatten sich in Deutschland zahlreiche Arbeitervereine gebildet, die aber vom Staat wieder zerschlagen wurden. Seit 1860 entstanden als Teil der liberalen Nationalbewegung erneut mehr als 200 Arbeiterbildungsvereine. Die politisch engagierten Arbeiter unterstützten überwiegend die Fortschrittspartei, die seit 1861 für eine liberale Umgestaltung Preußens stritt. Doch diese Partei führte den Kampf gegen die Politik Bismarcks zögerlich. Vor allem aber zeigte sie für die Forderung der Arbeiter, ihre zumeist miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern, wenig Verständnis. Etliche Aktivisten der Arbeitervereine strebten nach organisatorischer Selbstständigkeit. 1862 wurde die Forderung nach einem allgemeinen Arbeiterkongress laut. Der kleine Leipziger Arbeiterverein »Vorwärts« bot Lassalle, der im April 1862 durch einen Vortrag »Über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes« Aufsehen erregt hatte, an, die Führung der Arbeiterkongress-Bewegung zu übernehmen. In seinem Konzept vom März 1863 verlangte Lassalle die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts und die Schaffung von Produktivgenossenschaften, die der Staat finanziell unterstützen sollte. Lassalle, Sohn eines wohlhabenden jüdischen Tuchhändlers aus Breslau, hatte Philosophie studiert und sich 1848/49 an der revolutionären Bewegung im Rheinland beteiligt. Damals lernte er Karl Marx und Friedrich Engels kennen. Über Lasalles Rolle bei der Gründung des ADAV schrieb Marx: »Nach fünfzehnjährigem Schlummer rief Lassalle - und dies bleibt sein unsterbliches Verdienst - die Arbeiterbewegung wieder wach in Deutschland.« Im Oktober 1863 dichtete der mit Lassalle befreundete Georg Herwegh das »Bundeslied« des ADAV: »Mann der Arbeit, aufgewacht!/ und erkenne Deine Macht!/ Alle Räder stehen still,/ wenn Dein starker Arm es will.« Als brillanter Redner begeisterte Lasalle viele Arbeiter. Gleichwohl blieb der ADAV weit hinter seinen hoch gespannten Erwartungen zurück. Ende 1864 hatte der Verein, den er autoritär leitete, erst 4600 Mitglieder. Lasalles einseitige Frontstellung gegen die Fortschrittspartei weckte bei vielen Liberalen die Furcht, sie könnten zwischen preußischer Regierung und Konservativen einerseits, der Arbeiterbewegung andererseits gleichsam zerrieben werden. Die Führer der meisten Arbeiterbildungsvereine lehnten Lassalle strikt ab. Im Juni 1863 gründeten Delegierte von 54 Vereinen eine eigene Organisation, den Vereinstag (später: Verband) deutscher Arbeitervereine (VDAV). Am 28. August 1864 duellierte sich Lassalle wegen einer grotesken Liebesaffäre und starb an den Verletzungen. Danach nahm die Verehrung durch seine Anhänger kultische Züge an. Jener Teil der Lassalleaner jedoch, dem der diktatorische Gestus und die politische Taktik Lassalles und seiner Nachfolger missfielen, schloss sich 1869 in Eisenach mit dem VDAV zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die sich 1875 in Gotha mit dem ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigte. In deren Programm wurde Lassalles These vom »Ehernen Lohngesetz« ebenso aufgenommen wie seine Meinung, gegenüber der Arbeiterklasse seien alle anderen Klassen reaktionär, was Marx scharf kritisierte. Bismarck bekämpfte die Partei zwölf Jahre lang mit Hilfe des Sozialistengesetzes. Vergeblich - der Aufstieg der Sozialdemokraten war grandios. Erhielten sie 1871 bei den Reichstagswahlen 3,2 Prozent, so waren es 1912 schon 34,8 Prozent. Die Mitgliederzahl stieg zwischen 1871 und 1914 von 15000 auf eine Million. Davon kann die heutige SPD nur träumen. Ende 2002 waren n...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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