Luise mit Chor und Orchester

Beobachtungen beim Festspiel-Sommer in Deutschland

  • Timo Fehrensen
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Das Volk jubelt, Luise ist wieder da. Preußens Königin, die nicht nur schön, sondern wie der Napoleon-Kundige weiß, auch wichtig für ihr Land war, wird gefeiert. Nicht nur 300 Jahre Preußen sind hier der Anlass, sondern vor allem 300 Jahre Mecklenburg-Strelitz: jene zuletzt als Großherzogtum bis 1918 bestehende Monarchie, aus deren Familie besagte Preußenkönigin stammte. 2000 Menschen fühlen sich hörbar angeregt vom Operetten-Reigen, der sich im Schlossgarten von Neustrelitz abspielt. Noch ein Festspiel, und gar eines, das eine leibhaftige Operetten-Uraufführung präsentiert! Was man der totgesagten, aber an Stadttheatern nach wie vor äußerst lebendigen Muse gar nicht zugetraut hätte. Nun also auch im »hohen Norden« noch ein weiteres Steinchen im Mosaikfeld der deutschen Freilicht-Spiele. Zwischen Eutin und Meersburg, zwischen Rügen und Trier wird wieder gefochten, gestritten, geliebt und vor allem: viel gesungen. Die Festspielorte haben alljährlich ab Anfang Juni ihre Tore geöffnet, fürs Publikum, das sich keine große Mühe geben will, besonders stadttheatertauglich zu wirken. Keine Abonnenten-gewohnte Reserviertheit, kein hellblinkendes Jackett. Die Sommerkleidung ist so leger, wie sich das Publikum fühlt. Wenn die Festspiele eröffnen, dann freuen sich Bürgermeister und örtliche Kulturbeauftragte über den Nabel der Welt, als den sich dann wohl jeder bezeichnen darf. Da wird, was das Programm betrifft, nicht allzu sehr gegen den Strich gebürstet, da geht es schlicht und rechtschaffen populistisch vor allem um ein möglichst großes Publikum. Und wenn dann gar kräftig operettet wird, dann strömen die meisten. Wenn gar im neuen Gewand daher kommt, was mit Musik von Johann Strauß, Jacques Offenbach und Walter Kollo ausstaffiert ist, dann steigt das Interesse selbst des ansonsten, was Festspielorte außerhalb von Bayreuth und Salzburg betrifft, eher bornierten Feuilletons. Zurück nach Neustrelitz: Die Königin der Herzen reitet denn mit prachtvoller Kutsche am Publikum vorbei. Das geschieht unterhalb der Attrappe des Schlosses in Neustrelitz, das 1945 unter bis heute ungeklärten Umständen zerstört wurde. Librettist Horst Vincon lässt sich da einiges einfallen, um die bekannten Luise-Motive zur Geltung zu bringen, Luise kommt uns mit Chor und Orchester, die Musik stammt aus Operetten wie der »Großherzogin von Gerolstein« von Offenbach oder gar aus Kollos »Drei alte Schachteln«. Was neu textiert wird, ist dem Preußen-Mythos geschuldet. Luise in zarter Sympathie zu Zar Alexander, in mutigem Widerstreit mit Napoleon und beim Bad in der Menge, denn immer wieder ist da viel Volk, das sie begeistert umringt. Die Statisten freut's, die Chöre sind bestens bei der Sache. Ohne in Herz-Schmerz-Klischees abzusacken, hat Vincon zur bekannten Musik tatsächlich eine Handlung entworfen, die den Mustern alter Operetten-Textbüchern entspricht. Der Festspiel-Sommer ist finanziell gerettet, schließlich ist dies der erste, der vor Monarchen-Kulisse stattfindet. Veranstaltet von einigen rührigen Unternehmern der Stadt, die sichtlich im Luisenfieber zu stecken scheint. Produziert vom Theater, das bis 1918 Hoftheater war und sich immerhin bis in unsere Tage retten konnte, wenn auch mittlerweile fusioniert mit dem Neubrandenburger Kammertheater und der dortigen Philharmonie. Das mag Probleme geben von Zeit zu Zeit, aber in diesem Fall ist nur Fröhliches vom Theater, das sich unter freiem Himmel begibt, zu vermelden. Auch an anderen Festspielorten ist man für rege Unterstützung aus den Theatern dankbar. In Orten, die im eigenen Verbund zusammengeschlossen sind, zu denen etwa Wunsiedel, Feuchtwangen oder Bad Gandersheim gehören, gibt es arriviertes Freiluft-Theater mit einem oftmals festen Stamm an Schauspielern und Regisseuren. Und natürlich vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht »Dreigroschenoper«, »Lear« oder »Romeo und Julia« in irgendeiner deutschen Kleinstadt sich die Ehre geben. Längst also sind's nicht nur Störtebeker oder Winnetou, die Touristenbusse in Scharen an die einschlägigen Festspielorte, Rügen etwa oder Bad Segeberg, locken. Keineswegs nur für das einheimische Publikum wird gespielt, die Tourist-Informationen sind redlich darum bemüht, den Lokalpolitikern auch damit eine Freude zu machen, dass die jeweiligen Orte in ganz Deutschland als festspieltauglich angepriesen werden. Die natürliche Kulisse spielt mit, spielt oft sogar eine Hauptrolle. Und wenn's irgendeinen Domplatz oder erst recht eine Wald- oder Felsenbühne gibt, dann ist auch damit schon ein gewaltiges Seh-Bedürfnis befriedigt für die Zuschauer von weither. Auch das Harzer Bergtheater lässt sich ohne Operette und Musical alle Jahre wieder kaum denken. Seit 100 Jahren gibt die schmucke Bühne bei Thale mit einem Bühnenbild, das unbezahlbar ist, einen Weitblick hinein in den Harz, der zumindest den Neuankömmling so gefangen nimmt, dass er die spektakulären Vorkommnisse auf der bunt ausstaffierten Bühne fast verblassen lässt. Der »Vogelhändler«, vom nahegelegenen Städtebundtheater Halberstadt/Quedlinburg bestritten, ist eine sichere Operetten-Bank. Die Christel von der Post kommt zur Freude der Zuschauer, die den Tieren in dieser Umgebung stets besonders verbunden scheinen, mit einem Postesel herein. Regisseur Horst Ludwig gestaltet Arrangements mit so deftiger Komik und in solch rasantem Tempo, dass die Operette schon in knapp zwei Stunden über die Bühne gegangen ist. Und wenn auf der Bühne so tatkräftig die Sangeskunst gepflegt wird, wie in diesem Fall, dann macht's auch niemandem was aus, dass sich das Orchester gleich unter den Zuschauerreihen verbergen muss, weil anders kein Platz für die Musiker wäre. Da muss mancher Ton aus dem gut aufgelegten Orchester unter Johannes Rieger schon einen weiten Umweg nehmen, um einigermaßen klar noch an des Zuschauers Ohr zu kommen. Aber so viel Improvisation darf sein: Wer wird schon in dieser Umgebung auf lupenreine...

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