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Klischee zur Lächerlichkeit entlarvt

  • PETER HOFF
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit dem Krimi „Die Brut der schönen Seele“ wollte der ORB seinen Einstand in der „Tatort“-Reihe der ARD geben. Nun lief der Film von Rainer Behrend (Regie) und Andr6 Hennicke (Szenarium, nach einem Roman von Horst Bastian) als selbständiger Beitrag im „Krimi-Sommertheater“. Die Entscheidung, ihn nicht in die Reihe aufzunehmen, war richtig. Kommissarin Carla Wall, gespielt von Arianne Borbach, ist keine Serienfigur wie Schimanski oder Stoever, und die Geschichte über die Sexualbeziehungen eines Dreißigjährigen zu einer Dreizehnjährigen hatte mit dem eingeführten Profil von „Tatort“ nichts zu tun. Der eigentliche „Fall“ berührte moralische Fragen, und der Krimi entwickelte sich neben der Haupthandlung.

Die wiederum bewegte sich kaum von der Stelle, zumal auch die Hauptgestalten - das Mädchen Antje (Annett Renneberg) und ihr älterer Liebhaber Norbert Wenig (Christoph Hohmann) - nur geringes Interesse beanspruchen konnten. Was diese beiden zueinander trieb, blieb das Geheimnis der Autoren. Die Geschichten über unglückliche Kindheiten und gestörte Familienverhältnisse halfen da

auch nicht weiter, zumal sie nur verbal unterbreitet und nicht zur szenischen Handlung wurden. Unverständlich auch, warum sich die Kommissarin so sehr in den Fall verbeißt, und die mahnenden Worte des Polizeichefs, sie möge sich doch lieber um die anliegenden Kapitalverbrechen kümmern und sich nicht wochenlang mit einer solchen Nebensache aufhalten, war sicher nicht unberechtigt.

Der Film gab sich gedankenschwer und anspruchsvoll. Die gestelzten Dialoge paßten jedoch nicht zu den Figuren. Wenn Norberts Vater gegenüber seinem Sohn über das Leben philosophiert, wenn dieser mit dem Mädchen in der gotischen Klosterruine „Romeo und Julia“ liest, so entlarvt sich das Klischee bis zur Lächerlichkeit. Das gleiche gilt für die Handlungsorte. Das Holländerviertel, die wenigen noch erhaltenen Straßenzüge des friderizianischen Potsdam, das Kloster - alles wird zur bemühten Kulisse für eine Geschichte, der damit die letzte Realistik ausgetrieben wird. Es ist dies die alte Liebe zur „Schaufensterdekoration“, zur künstlichen „Verschönerung des Alltags“, die schon zu DDR-Zeiten die Zuschauer von

Filmen heimischer Produktion abschreckte. Die „Ästhetisierung“ führte zur Lüge.

Es war dies im übrigen der erste Krimi, den ich gesehen habe, bei dem mehr Leichen den Weg der Kommissarin als jenen des Übeltäters säumten. Frau Wall treibt immerhin mit ihrer Ermittlungsmethode einen Unschuldigen in den Selbstmord, ohne daß ihr das auch nur eine Rüge einbringt, und auch der Täter entzieht sich der Verhaftung durch den Sprung vom Kirchturm. Die Arbeit der Polizei ist hier, umgekehrt wie im „wirklichen Leben“, vor allem Inspiration und nicht Transpiration: Einer Eingebung folgend, läßt Kriminalassistent Fahrd (der Autor Hennicke spielt diesen Part) zwei Särge wieder ausgraben und stößt dabei auf die Leiche des gesuchten Freundes von Antje... - Kurz: hier „stimmte“ nichts, weder die Figuren noch die Fabellogik oder die Inszenierung. Und die moralische Frage, auf die sich der ganze Film gründete, ob nämlich im Zeitalter der Pille ein erwachsener Mann ein geschlechtsreifes sehr junges Mädchen lieben darf, blieb unbeantwortet.

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