Es begann am Rande Iberiens mit der Chamberlain-Doktrin
Die Publikationsflut zum weit zurückliegenden Spanienkrieg nimmt kein Ende. Wie erklärt sich das? Kürzlich erschien in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt das tiefgründige Übersichtswerk von Walther L. Bernecker „Krieg in Spanien 1 1936-1939“ Davon ausgehend, mein Bemühen um eine Antwort.
Nach 1933 wurde braun-schwarzes Überschwappen nach West und Süd für unvermeidlich gehalten. Dann stürmische Gegenbewegungen länderübergreifender Volksfronten. Altes Machtgefüge schien, vor allem nach Meinung des Chamberlain-Kreises in London, weltweit gefährdet. Eine auf sehr lange Sicht angelegte, durchtriebene Gegenstrategie für die imperialen Mächte wurde entwickelt. Als die spanische Republik angegriffen wurde und das Volk zu ihrer Verteidigung aufstand, kam die neue Strategie der Allmächtigen zum ersten Mal zum Tragen. Sie führte über Münchenkonsens, Abwürgen von Spanien, Österreich, CSR und Polenopfer per „drole de guerre“, zum geglückten Aufeinanderhetzen von Achse und UdSSR, später zum Kalten Krieg. Im Ergebnis zerbrach schließlich die völlig aus-
gelaugte, innerlich zersetzte Sowjet-Gegenmacht. Vom Trümmerhügel auf die Geschichte zurückblickend, ist zu erkennen, wie alles am Rande Iberiens mit der einschneidenden Chamberlain-Doktrin begonnen hatte.
Steinigt mich ehemaligen Generalstabsoffizier der spanisch-republikanischen Armee bitte nicht, wenn ausgerechnet ich für einmal der FAZ zustimme - nämlich zum Abdruck von Werner Schneiders Besprechung des Bernecker-Werkes (23. März 1992). Dessen Urteil unterstreiche ich dick: „In deutscher Sprache gibt es nichts Vergleichbares.“
Der liberal gesinnte, nachkriegsgeborene Universitäts-Historiker in Bern ist um wissenschaftliche Unvoreingenommenheit bemüht. Ganze Bücherwände breitet der Professor auf nur 224 Seiten aus (plus 34 Seiten Anhang),, ein immenses Superkonzentrat von Material und Literaturvielfalt, aus unterschiedlichsten Sichten beleuchtend, in klarem Deutsch.
In dem Wust des Auseinandergebröselten werden in Neuauflagen Korrekturen im Faktischen anzubringen sein, hoffentlich auch in Schlußfolgerungen. Berneckers
Herangehen insgesamt bleibt aber erhellend und anregend. Unüblich streift er das Militärische nur, stellt statt dessen bestimmende Dimensionen des Internationalen, Politischen, Ideologischen heraus, um abschließend noch auf Heutiges hinzuweisen. „Die Bedeutung des Krieges... ging weit über Spanien hinaus.“ In der Tat! Bernecker liefert Kenntnisse en masse, schlägt nur leider nicht den Bogen von den Ursachen zu den von Altmachtstrategen seit 1936 beharrlich angesteuerten kreuzzugartigen Endwirkungen von 1989/90.
Der Autor stellt fest: „Der sowjetischen Außenpolitik der 30er Jahre (ging es) darum, die innerpolitische Entwicklung, d.h. den .Aufbau des Sozialismus in einem Lande' gegen jegliche Störungen von außen abzuschirmen. ...Hauptziel... mußte ein friedliches Arrangement mit den bürgerlich-kapitalistischen und faschistischen Systemen sein“ (S. 106). Über die West-Politik heißt es diplomatisch: „Großbritannien wiederum gab deutlich zu erkennen, daß es an einem Ausgleich mit den faschistischen Mächten interessierter war als an einer Einbindung der Sowjetunion in das westliche Lager“
(S. 100). Bernecker unterstreicht: „Am Vorabend des Militärputsches bestand in den Ministerien Londons und Washingtons ein tiefverwurzelter antirepublikanischer Konsens“ (S. 82). Da hätte er auf die späte Bilanz des liberalen US-Präsidenten Roosevelt hinweisen sollen, der gegenüber seinem Innenminister Ickes bekannte, einer der größten Fehler seines Lebens sei es gewesen, die Loyalisten nicht gegen Franco unterstützt zu haben (Arthur Miller: Zeitkurven). Roosevelt kannte sein Umfeld sowie die Westregenten und muß geahnt haben, was diese anrichten würden.
Bernecker dokumentiert: Erst die „böswillige Neutralität“ der Westmächte (S. 82), also die Intervention per sogenannter Nicht-Intervention, und der drohende Sieg Hitlers und Mussolinis führten dazu, daß „die Sowjetunion Anfang Oktober 1936 einen radikalen Wandel in ihrer Politik“ vollzog (S. 108). Allzulange, so meine ich, war Stalin der Illusion erlegen, die Westmächte könnten die weitere Ausbreitung der faschistischen Mächte nicht länger tolerieren. (Später setzte er auf die Logik, die es nach der Zweifronten-Erfah-
rung von 1914/18 unvorstellbar machte, daß Berlin es wagen würde, mit einem kämpfenden England im Rücken die SU anzugreifen.) Als im Spätsommer 1936 Stalin das Nichtinterventions-Manöver durchschaute und erkannte, der Westen wollte Berlin und Rom in einen Krieg gegen sein Land hetzen, vollzog er nicht nur eine au-ßenpolitische Wende. Die Zeit, da sich der aus einem Priesterseminar hervorgegangene Machiavellist mit noch erträglichen Verbannungen (Trotzki) begnügte; war passö.
Stalins Wüten gegen Andersdenkende, besonders in KPdSU und Roter Armee, setzte nicht zuletzt in diesem Zusammenhang ein. Nicht nur von außen glaubte er die SU von Feinden umstellt, sondern auch von innen her angegriffen. Daraus ergaben sich in Verbrechen ausartende Fehler, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion beitrugen und so letzthin die Rechnung der Gegenstrategen von 1936 aufgehen ließen.
Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936-1939. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991. 261 S., geb., 42 DM.
FRITZ TEPPICH
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