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  • ES WAR EINMAL ..,

Napoleons Sohn

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Herzog von Reichstadt 1828 in Hauptmannsuniform

„Der König von Rom,/ Napoleons Sohn,/ der war noch zu klein,/ um Kaiser zu sein.“ So hieß es in einem Verslein, an das ich mich noch aus meiner Kinderzeit erinnere. Der da besungene König war kein anderer als der am 20. März 1811 zu Paris geborene Napoleon Franz Joseph Karl, entsprossen der Ehe Napoleons I. mit der österreichischen Kaiserstochter Marie Louise. Im Namen des erwünschten Thronfolgers widerspiegelte sich die Allianz der Usurpatorendynastie Bonaparte mit dem jahrhundertealten Geschlecht der Habsburger. Doch dieser Thronfolger, dessen pompöser römischer Königstitel ein verblase-

nes Produkt imperialer Überhebung war, sollte nie Kaiser werden. Vergeblich suchte sein Vater, Napoleon Bonaparte, 1814 dem Dreijährigen die Thronfolge zu sichern. Nach seiner zweiten Abdankung 1815, nach Waterloo, ließ Napoleon seinen Sprößling, den „König von Rom“, zwar als Napoleon

II. ausrufen, doch sollte dies dem Sohne nicht beschieden sein. Der Posten blieb vakant. Und so gibt es in der Chronologie der französischen Bonarpatiden nach Napoleon I. erst wieder einen Napoleon

III. Denn Bonaparte verschwand alsbald wieder in der Verbannung, diesmal auf St. Helena. Der kleine Prinz und verhinderte Kaiser wurde indes in Wien von seinem Großvater, Österreichs Kaiser Franz I., erzogen, besser gesagt, von damit beauftragten österreichischen Edelleuten. Durch förmlichen Vertrag wurde 1817 der Enkel für die ausgefallene Kaiserwürde mit dem Titel „Herzog von Reichstadt“ entschädigt, einem böhmischen Lehen der Habsburger. Das Städtchen, in der Nähe von Böhmisch-Leipa, heißt tschechisch Zäkupy. Und dank der hohen Protektion brachte es der übrigens recht intelligente Jüngling im österreichischen »Heer bis zum Oberstleutnant.

Mit Frankreich hatte er, wohl unter dem Eindruck der Julirevolution 1830, nichts mehr im Sinn. Jedenfalls äußerte er in jenem Jahr zu einem Vertrauten: „Frankreich gebe ich auf. Ich kann kein Aventurier (Abenteurer) werden, noch den Liberalen dienen wollen. Aus dem allgemeinen Chaos möchte ich mir Polen zusammenstellen und für mich haben.“ Doch diese Pläne reiften nicht, am 22. Juli 1832 starb der einstige „König von Rom“, 21 jährig, in Schönbrunn an Lungentuberkulose und wurde in der Kapuzinergruft in Wien beigesetzt.

Ein Jahrhundert später, im Dezember 1940, versuchte Hitler, die Gefühle der unter der deutschen Okkupation leidenden Franzosen für sich zu gewinnen, indem er die Überführung der Leiche des Herzogs von Reichstadt in den Pariser Invalidendom anordnete. Doch diese Spekulation schlug fehl. Nicht immer eignen sich Gebeine mit historischer Patina für unsaubere politische Geschäfte.

OSKARK RUDOLPH

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