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  • Politik
  • JUTTA GRAF, Vorstandssprecherin von amnesty international:

Unsere Grenzen sollten so weit offenbleiben, wie sie sind

  • Lesedauer: 4 Min.

CDU, CSU, FDP und SPD sind sich im Prinzip einig, das Asylrecht zu beschneiden. ND befragte JUTTA GRAF, Vorstandssprecherin der bundesdeutschen Sektion von amnesty international, zur Asyldebatte.

Sie haben sich soeben hier in Bonn für die Beibehaltung des Artikels 16,2 im Grundgesetz ausgesprochen. Was hat Sie dazu bewogen?

Wir sind eine international arbeitende Menschenrechtsorganisation und fordern deshalb auch, daß in der Bundesrepublik das Asylrecht in seiner jetzigen Form und der entsprechende Rechtsschutz bestehen bleiben. Das bedeutet, jeder Asylsuchende hat das Recht auf Überprüfung seines individuellen Asylbegehrens, jeder kann seine persönlichen Fluchtgründe vortragen. Jeder Asylsuchende hat auch das Recht, während der Überprüfung in der Bundesrepublik zu bleiben. Und schließlich haben wir hier noch die Möglichkeit, daß im Falle einer Ablehnung eine gerichtliche Überprüfung stattfindet.

Änderungsvorschläge kann man erst dann diskutieren, wenn eine inhaltliche, materiell-rechtliche Angleichung an das europäische Flüchtlingsrecht stattfinden kann. Davon sind wir noch weit entfernt.

Nun wirft die Bundesregierung den Rettungsanker Länderlisten. Ist das für Ihre Organisation akzeptabel?

Das hieße, Menschen aus völlig unterschiedlichen Ländern würden pauschal aus dem Asylverfahren entfernt. Wir wenden uns vehement dagegen. Durch unsere weltweite Arbeit erfahren wir immer wieder von Menschenrechtsverletzungen. Man kann nicht pauschal sagen, ein Staat begeht keinerlei Menschenrechtsverletzungen. Mit Län-

derlisten würden also auch Menschen aus dem Asylverfahren ausgeschlossen, die möglicherweise gefoltert worden sind. Sicher, es gibt Länder ohne Masseninhaftierungen oder gravierende Menschenrechtsverletzungen. Das heißt aber nicht, daß nicht Einzelne betroffen wären.

Können Sie Beispiele dafür nennen?

Ja. Die Anerkennungsquote der indischen Asylbewerber in der Bundesrepublik geht ge-

fen Null. Das bedeutet jedoch einesfalls, daß es in Indien keine Verfolgungen mehr gäbe. Wir hatten gerade eine internationale Kampagne dazu: In Indien werden noch immer Menschen gefoltert oder verschwinden.

Amnesty international hat in seinem jüngsten Jahresbericht alle Staaten aufgelistet, in denen es politische Verfolgung gibt. Auch die Bundesrepublik ist darunter

Das betrifft einen Teilbereich der Haftbedingungen. Außerdem ist die Abwicklung der Strafverfahren gegen ehemalige SED-Größen angeführt: Da befürchtet man, daß sich das möglicherweise sehr lange hinschleppt. Amnesty fordert, daß bestimmte Täter auch zur Rechenschaft gezogen werden. Im übrigen werden von uns alle Länder geprüft, Maßstab dabei ist das Völkerrecht. Da gibt es unterschiedliche Mißstände; die in der Bundesrepublik sind vergleichsweise gering.

Sie haben eine Verrohung der Sprache hier in Deutschland festgestellt, durch die die Ausländerfeindlichkeit noch verstärkt wird. Was können wir dagegen tun?

Was man dagegen tun kann, haben einige Politiker erkannt, zum Beispiel der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse, der ein Ende dieser unsäglichen Asyl-

debatte forderte. Indem diese ?Debatte ständig am Köcheln gehalten wird, rechtfertigt man indirekt, daß Bürger zur Selbstjustiz greifen.

Mit Verrohung der Sprache meinen wir auch, daß Begriffe wie Asylant negativ besetzt sind und unaufhörlich und monoton wiederholt werden. Das führt dann auch dazu, daß sich diese negative Stimmung festsetzt. So wird dann jeder Asylbewerber zum potentiellen Mißbrauchstäter. Und dagegen wehren wir uns, das muß wieder anders werden.

Die Regierung behauptet, Rechts- und Linksextremisten würden sich gegenseitig aufschaukeln. Teilen Sie diese Ansicht?

Ein bißchen sehe ich .diese Gefahr. Das hängt aber auch damit zusammen, daß sich der sogenannte Normalbürger heraushält. Deshalb sind diejenigen aus dem autonomen Spektrum, aus den Gruppen, die eh schon lange für Flüchtlinge arbeiten, dann meist die r,einzigen,, die ,vor den Asylbewerberheimen stehen. Deshalb muß siclTfeder engagierte Demokrat auch dort zeigen und verhindern, daß es zu dieser Aufspaltung kommt: Die Rechten greifen an, und die Linken schützen.

Die meisten Asylbewerber kommen gegenwärtig aus Osteuropa...

...aus Osteuropa und aus der Türkei.

Als es noch das sogenannte sozialistische Lager gab, forderte die Bundesregierung lautstark, die Grenzen zu öffnen. Nun sind sie offen, und die angerufenen Menschen kommen.

Das ist richtig, das sagen wir auch immer. Man kann nicht jahrzehntelang nach Reise- und Bewegungsfreizügigkeit rufen und nun lamentieren.

Interview: WOLFGANG REX

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